Sehr nahe gegangen ist mir Donzoko, vielleicht ist der sogar mein neuer Lieblings-Kurosawa. Ich bin wieder ein, zwei Minuten zu spät gekommen, bei einem Film mit derart wenig Bewegung fiel der Einstieg leicht. Allerdings habe ich nicht mitbekommen, was das genau ist, was da am Anfang auf die Dächer der ärmlichen Behausungen, in und vor denen der Film spielt, niederfällt. Was es auch war, es fühlte sich an wie ein Schlag, den man nicht verwinden kann, weil man seine Herkunft nicht kennt und weil seine Herkunft vermutlich ganz egal ist; den man nicht verhindern hätte können, selbst wenn man sie kennen würde.
Eine Gorky-Verfilmung, die nicht versucht, die Herkunft vom Theater zu verleugnen, die sich auf kaum mehr als zwei, drei "Bühnenbilder" beschränkt: in der Notunterkunft, vor der Notunterkunft, am Rand eines Walls, der den Schauplatz, wie ein Bühnengraben, vom Rest der Welt abtrennt. Schon die Unterkunft des Vermieters ist dem Film nicht mehr - oder nur von außen - zugänglich.
Gefilmt ist Donzoko hauptsächlich in Totalen, nicht viel Welt, aber viel Bühne, die ungewohnte Stasis der Kamera soll ausgeglichen werden durch die Schauspieler, die viel Raum erhalten, auf dass sie ihn sich aneignen. Lange lässt Kurosaw die einzelnen Bilder stehen, es gibt Auftritte und Abgänge wie im Theater, die einzelnen Bereiche der Leinwand erhalten feste Zuordnungen in einer Weise, wie das im Bewegtbildmedium Kino selten ist: eine flache Anordnung, im oberen Drittel eine Mauer, auf der eine Person lang ausgestreckt liegt, im rechten Bildteil ein schräger Balken, an dem eine Frau (?) lehnt. Der eigentliche Handlungsraum ist dann links unten. Das scheint Kurosawas Ansatz zu sein, Theater in Film zu übersetzen: geframeter Raum im frame. Bilder (im Bild) stehen lassen, immer wieder neu befüllen. Wenn im letzten Filmabschnitt alle Hauptfiguren verhaftet oder anderweitig abkömmlich sind, bleibt der Film stur in der Notunterkunft, seiner zentralen Bühne und lässt die hinreißenden Nebenfiguren agieren. Zweimal stimmen sie eine Art rhythmischen Geräuschgesang an, der sicherlich das ist, was vom Film am längsten bleibe wird: eine Gruppe von Männern, die sich im Bild ordnen und immer wider umordnen, einer setzt mit einem Geräusch an, einem Schlag vielleicht, ein zweiter brummt etwas dazu, bis alle zusammen und der ganze frame angefüllt sind von einer Musik, die nicht melodisch sein will, weil da keine Melodie zur Verfügung steht; sondern nur der einzelne, kure, ruckartige, unvermittelte Ausdruck (des in-der-Welt-Seins?), dem man fast ansehen zu können glaubt, wie er sich in eine Schallwelle verwandelt.
Gelegentlich sieht man im Bildhintergrund oben, auf dem Wall, ein paar Menschen stehen, Zuschauer, die das in ihre Gemeinde eingelassene und gleichzeitig von ihnen abgetrennte, von Gorky / Kurosawa narrativierte Elend betrachten. Kurosawa rückt dieses "Publikum" nie in die Bildmitte, wie zufällig taucht es gelegentlich an den Rändern auf, sein Status bleibt ungeklärt: Sind das Passanten? Schaulustige? Zu welchem Text gehören sie: dem des Dramas oder dem des Films? Oder bezeichnen sie gerade diese Differenz? ("The Spectator-in-the-Text" (Nick Browne), oder auch die suture-Theorien; wären "Theaterfilme" wie Donzoko oder auch The Baby of Macon dann ganz strenge "Entnähungen", weil sie den nicht mehr im Schnitt verschwindenden Zuschauer tatsächlich im Bild auftauchen lassen?)
Aber das sind nicht nur akademische Fragen. Nachdem ich sie einmal entdeckt hatte, konnte ich die Zuschauer oben auf den Pallisaden nicht mehr vergessen. Diese nicht differenzierten, schemenhaften Gestalten, die da hinunterschauen (Das Publikum aus Werner Schroeters Die Generalprobe kommt mir in den Sinn) auf das unerbittliche Sozialdrama. Sie werten die Bilder um. Ein unschuldiger Blick ist nicht mehr möglich.
Obwohl er über den Film nicht schreibt, scheint mir Stefan Ripplingers Kurosawa-Text in cargo 05 viel über Donzoko zu sagen zu haben (es gibt auch eine wichtige, schwierig zu lesende Idioten-Figur im Film). Viel instruktiver war er für mich da als in Bezug auf Hakuchi, mit dem ich überhaupt nicht so recht warm werden konnte. "Ein Bild ist immer etwas anderes, immer mehr als ein Bild, doch, und das ist das Verrückte daran, je unwahrer Kurosawas Bilder erscheinen, umso wahrer sind sie (...)."
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