Saturday, April 07, 2012

Am Tag, als der Regen kam, Gerd Oswald, 1959

Es gibt einen toughen Lederjackentypen in der Gang, ansonsten sind das alles keine harten, teilweise sogar regelrecht windelweiche Jungs, die im Grunde ihres Herzens vom Film, den Eltern und sogar dem fesche Sprüche klopfenden Jungpolizisten verstanden werden wollen. Ein besonders seltsamer Rebell without a cause ist Mario Adorfs Werner, der Anführer, ein massiver Typ mit Bürstenhaaren, dominanten Augenbrauen und trotzdem immerzu herumdrucksend, stammelnd, schwammig in den Tag hinein lebend. Einmal trägt er einen schon richtiggehend bizarren, weiten Pullover aus grober, zentimeterweit ausfasernder Wolle, ein Kleidungsstück, das hilflos um Zuneigung bettelt, zwar ein bisschen unangemessen wild herumwuchert, aber eigentlich gestreichelt werden will, das modische Zeichen vielleicht für den Abstand des Films vom harten, amerikanischen Straßenkrimi, der als Vorbild aber immer durchscheint und in vielen tollen Kompositionen auch gut emuliert wird (Oswald hat selber in Hollywood Noirs gedreht, nur wenige Jahre vorher). Auch wenn man das diesem Text nicht ganz entnehmen können wird: Ich mochte den Film durchaus.
Eine tolle Figur ist der "Professor", der vermutlich weniger aus den Noirs (da kenne ich keine derartige Figur) kommt, als aus der deutschen Jugendliteratur: Ein schmächtiger, seitengescheitelter Brillenträger, der bei den Großen mitmachen will und in seinem Eifer etwas Selbstmörderisches hat, in der schönen Mutprobenszene auch keine Angst vor dem Schienentod hat. Und man ahnt auch schon, dass er ein Typ ist, dem man lieber keine Waffe in die Hand geben sollte, weil er sich dann um die Waffe herum strukturiert, weil die Waffe dann ihn hält und nicht er die Waffe.
Fast wie bei Brynych geistern zwei Popsongs durch den Film. Meist werden sie in der Jukebox einer Kneipe gespielt, an deren Wand Pin-up Zeichnungen projiziert werden, die aber, wie eigentlich alle Schauplätze des Films (der Bandentreffpunkt im Keller eines ausgebombten Gebäudes, "dunkle Seitenstraßen", selbst bürgerliche Wohnzimmer sehen irgendwie komisch aus, am besten gefallen hat mir der provisorische Unterschlupf des jüngsten Gangsters, an dem die ganze Zeit Eisenbahnen vorbeirauschen) eher einem versponnenen Samstagvormittagtraum von Milieu entsprungen zu sein scheinen, als dass sie als konsequent pulpifizierter Großstadtdschungel durchgehen könnten. Neben dem Titellied ist das vor allem die deutsche Version von "Charlie Brown", ein Lied, das mindestens so bizarr ist wie Adorfs Wollpullover ("Wer knistert mit Papier, hoho, hihi? / Und wer schießt auf das Katheder mit Kaugummi? / Charlie Brown, Charlie Brown / Das ist ein Clown, der Charlie Brown") und das einmal sogar von einem Betrunkenen gegrölt wird, als der von der Polizei mitgenommen wird. Der muss schon verdammt dicht gewesen sein.

6 comments:

Whoknows said...

Du bist heute bereits Nummero Zwo, der mich zu einer Neusichtung nach vielen Jahren verführt. Aber offenbar kann man ja bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf eine DVD warten...

Christoph said...

Will ich schon seit Jahren sehen. Wurde der in einem Berliner Kino gezeigt oder bist du anderweitig in den Genuss gekommen?

Christoph said...

Du setzt aber nicht zu einer "German Fifties"-Reihe an, oder?

Lukas Foerster said...

@christoph: gesehen in dieser reihe im zeughauskino: http://www.dhm.de/kino/papas_kino_2012_april_mai.html
das eine oder andere aus der reihe (insbesondere käutners "die rote" habe ich mir vorgemerkt) werde ich da wohl noch sehen, aber eine reihe wird daraus erst einmal nicht, fürchte ich. so etwas stehe ich vielleicht in dreißig, vierzig jahren durch, momentan stößt mich da noch viel zu viel ab in diesen (nicht so sehr in diesem speziellen) filmen.
eher warm werden könnte ich mit einer harald-reinl-retro...

Christoph said...

Ich sehe, dein cineastisches Rückgrat biegt sich hinsichtlich des deutschen Kinos der Post-WWII-Vergangenheit (und was an diesem abstoßender sein sollte, als an irgendeinem anderen Kino der Post-WWII-Vergangenheit, kann ich dann doch nicht sehen) immer noch unter schwerem Vorurteilsballast, das ist trist. Ich glaube, gerade SOLANGE DU LEBST von Reinl würde dir etwa die Augen aus dem Kopf sprengen vor Abstoßung. Und Reinl ist nun wahrlich nicht der interessanteste Kommerzfilmer seiner Generation. Wie dem auch sei, wenn es nur einer der beiden Käutners sein kann, dann lieber der erschöpfenden und unerklärlicherweise ebenfalls eher vergessenen HIMMEL OHNE STERNE, DIE ROTE ist zwar unheimlich faszinierend missglückt (man stelle sich vor, einer der amerikanischen Studioregisseure dieser Generation wäre zur gleichen Zeit auf den Autorenfilmgeschmack gekommen), Letzteres aber heftig und ideologisch wie künstlerisch ziemlich beschämend.

PS: Das Programm ist insgesamt ziemlich super, ich sehe neidvollen Auges nach Berlin. Wenn ich könnte, würde ich mir ALLES ansehen.

Lukas Foerster said...

himmel ohne sterne kenne ich, den finde ich großartig... genauso wie ja auch das totenschiff und die winnetou-filme, die ich anfang des jahres sehen konnte. ich werde mich da weiter langsam herantasten und sicher eher über die genrefilme der sechziger als über dieses fünfzigerjahre-starkino. das magst du noch so engstirnig finden: ich halte es da nach wie vor mit der klassischen cinephilie und schaue lieber rossellini, naruse und ozu (um bei den achsenmächten zu bleiben; alle anderen vergleiche stehen eh noch schiefer).
das programm ist toll, klar, aber parallel läuft halt powell/pressburger in technicolor im arsenal...
zu harald reinl: heute habe ich zufällig das buch "Regie: harald reinl" von raimund fritz entdeckt; über 1000 seiten, knapp 3000 fußnoten, absolut unglaublich.