Monday, September 17, 2012

Hotte im Paradies, Dominik Graf, 2003

Hart getroffen hat mich Dominik Grafs toller Hotte im Paradies, ein Film über Prostitution ganz aus der Sicht eines Zuhälters - schon die ersten Bilder werden von einem Voice over geordnet. Oder genauer, von einer Weltsicht, von einer Wahl: Drogen, Autos, jede Nacht eine andere Frau, das ist meine Welt, die andere ist die Falsche, sagt Hotte (Misel Maticevic, der später nach dem Sex genauso halbnackt vor einem weiß gleißenden Fenster steht, wie er ein Jahr später in Kalter Frühling nach dem Sex halbnackt vor einem weiß gleißenden Fenster stehen wird, in beiden Fällen ist das als Blick der Frau auf ihn markiert). Natürlich gehöre ich zu dieser anderen Welt, wie fast alle anderen, die den Film gesehen haben. Aber die Stimme bleibt, bis zum Ende, lässt einen (und den Film) nicht frei, zwingt einen zu kleineren und größeren Investitionen in Hottes Welt.

Und es geht durchaus auch darum, dass die Sache nicht so einfach ist mit den beiden Welten, wie Hotte meint und wie die auf der anderen Seite auch meinen (wie ich meine). Selten markiert der Film da eindeutige Grenzen, in dem Moment, in dem Hotte Elvira in der Disco anblickt, lauert unter der Verführung schon der Geschäftsvorgang, der Ausflug in die Natur wäscht nichts weg, sondern verunreinigt die Natur (wie in L'Apollonide von Bonello). Eigentlich kann ich mich nur an eine Szene erinnern, in der sich die beiden Welten so klar getrennt voneinander gegenüberstehen, wie sie es in Hottes Kopf (und von der anderen Seite her in meinem) sind: Der Zuhälter und drei Prostituierte fahren Auto (was sowieso im Film das prinzipielle Moment von Freiheit ist, was mehr berauscht als Drogen, andauernd mehr oder weniger blind fährt Misel Maticeviv durch Berlin, einmal lässt er sich dabei ficken), er bremst plötzlich, steht schräg auf der Straße, vor ihm überqueren zwei Kinder mit Schultaschen die Straßen, dann fährt ein Fahrzeug der Berliner Stadtreinigung vorbei.

Warum mich der Film so hart getroffen hat, weiß ich immer noch nicht so recht. Es geht ihm nicht darum, Prostitution irgendwie erfahrbar zu machen, auch nicht in einzelnen, herausgelösten Aspekten wie dem der toten Zeit in Utopia von Saless (der mich allerdings noch härter getroffen hat, vor zwei oder drei Jahren, ebenfalls im Zeughauskino, nach beiden Filmen bin ich da aus dem Kino gekommen und wusste nicht mehr so recht, wie ich mich zur Welt verhalten sollte, zu der Stadt, die dieselbe ist, wie die im Film und durch die ich mich noch eine Weile bewegen musste, bis ich zu hause, in der Sicherheit, angekommen sein werde). Freier kommen so gut wie gar nicht vor, kaum einmal folgt der Film den Frauen auf den Strich, wenn doch, dann bleibt er jenseits der Windschutzscheibe beim blow job.

Es geht in dem Film auch ums Immerschonverstricktsein aller Beteiligten, ohne dass deswegen die sexistische Gewalt, auf der Prostitution basiert, geleugnet werden würde. Die Welt ist durchbrutalisiert, aber selten entlädt sich das in Gewaltexzessen (die brutalste Szene ist ein Raubüberfall, dem eine alte Frau außerhalb des Systems zum Opfer fällt), eher in Schlägen, die im Selbstverständnis derer, die schlagen (und erschreckenderweise manchmal auch im Selbstverständnis derer, die geschlagen werden), wie Währung funktionieren; das Problem ist natürlich von Anfang an, dass es da um Leute geht, die schon mit den harmlosen Geldscheinen selbst nicht umgehen können. Es ist eher das Ausdauernde Prasseln der Schläge (physisch und psychisch) als eine besonders fürchterliche Qualität jedes Einzelnen, das einen kaputt macht in Hotte in Paradies. Dazu passend gibt es nicht die großen dramaturgischen Bögen der "gefallene Mädchen"-Melodramen. Statt dessen: mal hat Hotte einen Tausender pro Woche fürs schicke Auto, mal nicht; mal verliert er eine Prostituierte an die Konkurrenz, mal rekrutiert er eine Neue. Sein downfall am Ende ist überdeterminiert, aber eher durch das, was nebenbei so angefallen ist, als durch irgendeine Schicksalskraft.

Nur bewundern kann man, wie Graf und Basedow diese kleinen Bögen ausgestalten. Am Anfang, wie die beknackte Zuhälterwelt eingeführt wird, wenn bei einem Regenschauer alle fluchen und aus dem Cafe rennen, um ihre Cabrios abzudecken; und Hotte traurig sitzen bleibt, weil er sich noch kein Cabrio leisten kann, von den Einnahmen, die seine (noch) zwei Frauen ihm beschaffen. Und wie er sich später freut, wenn er mitrennen darf. Wie man nicht anders kann, als diese Freude irgendwie nachzuvollziehen. Oder die Szene mit dem Herd und der herausgezogenen Sicherung, eine abgrundtief asoziale, zynische, widerwärtige Handlung, auf die man als immerschonverstrickter Graf-Zuschauer aber eben doch nicht ganz wie von außen blicken kann.

1 comment:

thomas said...

als loser kommentar/ergänzung dazu:

http://filmtagebuch.blogger.de/stories/2126760/