Sunday, April 28, 2013

Ihre Majestät die Liebe, Joe May, 1931

Schon gleich die erste Szene, in einer Bar, ist ein kleines Wunder, wie sie sich zusammensetzt aus musikalischen und erotischen Zeichen, die ständig im Fluss sind, eher Energien, die sich übertragen (oder an der Übertragung scheitern), als Identitätsbestimmungen; zum Beispiel, wenn am Ende der Szene plötzlich einer anfängt, das Lied, das im Hintergrund spielt, mitzusingen. Besonders toll sind die drei dirty old men  (eher Hofbauer-Kommando als Brüderle & friends, würde ich sagen) am Tresen, die da erst entspannt vor sich hin geifern, dann langsam in Blödsinnsgespräche wegtriften: Es gibt Frauen, es gibt Damen und es gibt Weiber, erklärt der eine, aber kaum hat er sich auf den sexistischen Blödsinn eingeschossen, wird es auch schon wieder komplizierter, den die Übergänge sind fließend, von der Dame zur Frau, von der Frau zum Weib. Abgesehen haben sie es mit all dem auf die junge Frau hinter dem Tresen, die allerdings solche Avancen gewohnt ist (hier die Szene in ihrer ganzen, vor allem linguistischen Pracht). Als dann ein jüngerer Mann sich ihr nähert, nennt sie für den Tanz, um den er sie bittet, eine zunächst hohen Preis: Er müsse sie schon heiraten.

Das ist ihre Verschwörung. Die Verschwörung des jungen Mannes, der Sprössling einer degenerierten Industriellenfamilie ist, sieht so aus, dass er später, um sich im familieninternen Machtkampf Vorteile zu verschaffen, auf ihr Angebot zum Schein eingeht und sie also tatsächlich zum Tanz auffordert. Aus diesen beiden Verschwörungen heraus (und aus unverstellter sexueller Anziehung, wenn seine Hand,später im Film, über ihr Nachthemd wandert, wieder und wieder, fast manisch, ihre Rundungen abtastend) entsteht die Liebe. Über die Tanzfläche bewegen sie sich dann ganz alleine, was ihr zunächst peinlich ist; aber sie erkennt dann doch, dass die Liebe nicht zuletzt etwas ist, mit dessen Hilfe man sich vor der Welt exponieren kann, zum Subjekt wird.

Illusionen macht sich der Film bei all dem nicht. Schon der Kameraschwenk entlang des brutalistischen Fabrikgebäudes, in dem unsichtbar die Produktion weiterläuft, die die manifeste Handlung erst möglich macht, zeigt an, dass es um eine bruchlose Versöhnung von Hand und Hirn (Metropolis) nicht gehen kann. Die Szene mit der Aktionärsversammlung ist besonders hart: Minoritäre Interessen werden da mit einer wurstigen Bösartigkeit abgebügelt, mit der man auch problemlos die Demokratie abschaffen könnte. Nicht nur da wird der flüssig inszenierte, von großartigen Slapstick- und ethnic humour-Szenen durchsetzte Film von deutschtümelndem Mief heimgesucht; mit dem sich Joe May aber sehr deutlich nicht gemein macht. Eine in der historischen Rückschau gespenstische Szene ganz am Ende: Der größte Trottel des Films fährt, auf dem Rücksitzt eines Mopeds, aus dem Film heraus - in Richtung polnische Grenze.

Was 1931 im deutschen Kino alles möglich war, was diesem deutschen Kino alles verloren gegangen ist nach 1933: Das ist mir noch nie so klar geworden wie in Ihre Majestät die Liebe. Eigentlich kenne ich keinen einzigen anderen (und eben vor allem: keinen einzigen neueren) deutschen Film, der eine ähnliche erotische Leichtigkeit besitzt. Auf der Berlinale habe ich dieses Jahr Gerhard Lamprechts Einmal eine große Dame sein von 1933 gesehen, einen Film, der eine sehr ähnliche Geschichte erzählt, aber bereits in jeder einzelnen Szene den Geist des Nationalsozialismus atmet, in dem einen die Liebe nicht mehr befreit, sondern im Volkskörper aufgehen lässt. Methodologisch mag es nicht viel Sinn ergeben, aber für mich verkörpert sich in den beiden Filmen das ganze Übel des deutschen Films. Vielleicht als späte, schräge Errettung ein paar Filme aus den Sechzigern... Von Joe May zu May Spils (und dann möglicherweise zu den Melodramen Dominik Grafs)... Da sind es dann Vereinzelte, Außenseiter, Slacker, die sich gegen den Rest der Welt jene Freiheiten erkämpfen, die im deutschen Vorkriegskino noch im Gesellschaftsspiel selbst als Möglichkeit enthalten waren.

Thursday, April 18, 2013

Die großartige Szene in Thomas Harlans Torre Bela,...

...in der ein Bauer seinen Spaten nicht an die Kooperative abgeben will; zunächst meint er zum Kooperativenvertreter, bald müsse er dann wohl auch seine Kleider abgeben und auch seine Schuhe, er würde dann schließlich nackt enden. "Wie ein Hund" fügt er hinzu und im gleichen Moment läuft hinter ihm tatsächlich ein Hund durchs Bild, seelenruhig. Und es ist nicht ganz klar (zumindest nicht nach einmaligem Sehen), ob der Hund der Anlass für diesen Zusatz war, oder ob er als eine Art "Beweis" zufällig im Bild anwesend ist, wie durch höhere Gewalt herbeigerufen. Ob der echte Hund dem Wort "Hund" vorgängig ist, oder auf es folgt.

Clint Eastwood, Actor

"...most likely he's younger and less experienced than you..."
"...if that's possible."

(Rawhide, S01E07 "Incident at Barker Springs" R: Charles Marquis Warren)

Friday, April 12, 2013

Love Lifting, Herman Yau, 2012

Solange das Hongkongkino noch solche Filme hervorbringt, kann es nicht ganz schlecht um es bestellt sein: Eine Gewichtheberin, die nicht aussieht, als wäre sie eine, die dafür aber ihr Gesicht beim Gewichtheben umso mehr anspannt, muss den Sport wegen Diabeteserkrankung aufgeben, verdient dann als "strong girl" der Nachbarschaft ihr Geld mit Gelegenheitsarbeit (Umzugshelferin, Eisbrocken schleppen im Fischmarkt; daraus wird keine Abstiegserzählung, jeder Job hat Härten und kleine Schönheiten), heiratet einen Mann, der, als sich ihre sportlichen Ambitionen nach dem ersten Kind zurückmelden, auf seine Karriere verzichtet und ihrem Comebackversuch als Hausmann (wieder: Härten und kleine Schönheiten) den Rücken frei hält.

Das ist fast die gesamte Geschichte, die den dramaturgischen Modellen des Hollywood-Sportfilms im Großen und Ganzen folgt; die da, wo es drauf ankommt, im Kleinen und Partikularen, allerdings genug Freiräume bietet für andere Anschlüsse. Ich habe mich zum Beispiel gefragt, ob der Name der Gewichtheberin - Li Li - nicht etwas zu tun haben könnte mit Li Lili, einer Schauspielerin des klassischen chinesischen Kinos der 1930er-Jahre. Einer der bekanntesten Filme der stets großartig agilen Li Lili (ihr Vitalismus als eine Art Gegenpol zum Todestrieb Ruan Lingyus) war Queen of Sports von Sun Yu, in dem sie eine Art aufgeklärt heroischen Athletizismus verkörpert, den die Gewichtheberin Li Li weitgehend entheroisiert übernimmt, in eine kleinbürgerlich-kapitalistische Lebenswelt und in ein Kino des humanistischen Alltagsrealismus übersetzt. Sehr wahrscheinlich, dass das ein bloßer Zufall ist; vielleicht aber: ein sprechender.

Es gibt dann nur noch, nach zwei Dritteln, ein Schockmoment von einer Drastik, wie sie nur das Hongkongkino kennt. Und nur dem Hongkongkino kann es gelingen, einen solchen Schockmoment in den Alltagsfluss wieder zu integrieren; nicht dass er spurenlos verschwinden würde, er hat sogar eine wichtige Funktion fürs Finale, wird allerdings nicht zu dem einen großen Trauma, das in Zukunft das gesamte Leben der Gewichtheberin verdunkeln wird.

Love Lifting ist ein Film, der seinen Figuren ein paar Eigenschaften zuschreibt - die Gewichtheberin zum Beispiel liebt es, Gewichte zu heben; der jedoch nicht meint, sie bei jeder Gelegenheit psychoanalysieren zu müssen - warum die Gewichtheberin Gewichte heben möchte, bleibt ihr Geheimnis. Bzw eben gerade nicht; der Film interessiert sich nicht fürs Innere, sondern für die Interaktionen mit der Welt, die im Individuum einen Resonanzraum finden, der nicht immer gleich Seele genannt oder traumatisch aufgeladen werden muss. Ein helles Auflachen, ein verliebter Blick reichen aus, um aus den Figuren mehr zu machen als Erfüllungsgehilfen des Drehbuchs.

Wie das in einer lebendigen kommerziellen Kinematografie fast stets der Fall ist, muss man die eine oder andere Unreinheit in Kauf nehmen. Die süßlichen Popsongs zum Beispiel. Und wie das in lebendigen kommerziellen Kinematografien oft der Fall ist, sind in einem guten Film drei oder vier andere, eventuell noch bessere versteckt; weil es einen Überschuss an Lebenswelt gibt, der von einem einzigen Film nicht eingeholt werden kann. Zum Beispiel würde ich sehr gerne einen eigenen Film über die "strong girl"-Episode sehen und  über den Flirt mit dem naiven bad boy, der die Gewichtheberin für seine bislang und wohl auch weiterhin imaginäre Triadenkarriere instrumentalisieren möchte.

Tuesday, April 09, 2013

Hong Kong International Film Festival 2013: ratings


***** To the Wonder, 2012, Terrence Malick
***** Beautiful New Bay Area Project, 2013, Kiyoshi Kurosawa
***** Longing for the Rain, 2013, Yang Tian-yi
***** Kiss the Rain & Street of Everlasting Rain, 2012, Lewis Klahr
***** Jungle Love, 2012, Sherad Anthony Sanchez
**** Ip Man: The Final Fight, 2013, Herman Yau
**** A Queen's Ransom, 1976, Ting Shan-hsi
**** Outrage Beyond, 2012, Takeshi Kitano
**** Bad Film, 2012, Sion Sono
**** Emperor Visits the Hell, 2012, Li Luo
**** Nobody's Child, 1960, Bu Wancang
**** The Present, 2012, Joe Hsieh
**** Petal Dance, 2013, Hiroshi Ishikawa
**** What They Don't Talk About When They Talk About Love, 2013, Mouly Surya
*** A Werewolf Boy, 2012, Juo Sung-hee
*** All Apologies, 2013, Emily Tang
*** Sleepless Night, 2012, Jang Kun-jae
*** I Am Sorry, 1989, Tony Au
** Forever Love, 2013, Shiao Aozaru / Toyoharu Kitamura
** Together, 2012, Hsu Chao Jen
** Philomirrophobia 1, 2011, Yuke
** Forgetting to Know You, 2013, Ling Quan
* A Fallible Girl, 2013, Conrad Clark
* Pluto, 2012, Shin Su-won



* Bobby Yeah, 2012, Robert Morgan

Monday, April 01, 2013

Hong Kong International Film Festival 2013: Nobody's Child, Bu Wancang, 1960



The very first shot: a lamb, alone on the wide meadows, bleating, almost childlike. Much later in the film, the main protagonist, an orphan girl (later superstar Josephine Siao in a very early role), is saved in a cold winter night by a jacket, given to her by the old travelling street artist, who has become something like a father for her. However, the jacket ist clearly made from sheep wool. So in a way, the lamb from the first shot (never to be seen in between) has returned in a crucial moment.


Nobody's Child is a low profile melodrama from a prolific and largely forgotten time of the Hong Kong film industry. There were probably hundreds, if not thousands of small scale films like this made around 1960, before the big budget Shawscope extravaganzas began to dominate the field. Thousands like it, but not a single one exactly like it. Nobody's Child has a fairytale-like, but somehow underdeveloped plot, routinely permuted into a film both naive and touching (the girl, looking in horror in the background through a window, realizing that she is about to be sold away) - and just a little bit weird: The storyline is strangly mirrored, if not displaced entirely, by the animal world - starting with the very first shot of the lamb. 

The orphan, living with a good foster mother and a limping and therefore bad foster father (there are no really bad people in this film, only bad animals: wolfs, roaming the white, innocent snow), escapes being sold for the first time, because a cow is sold instead of her - a strange shot of the cow's behind being moved out of the cage. Later, the orphan doesn’t get eaten by wolfs, but two show dogs do, and she doesn't die in the cold, but a show monkey does instead (after suffering bitterly and being treted by a doctor who's pretty irritated about the taking over of the animal world), and when the travelling artist finally also has to give in, not the girl, but only his third dog stands guard at his grave. Sometimes, the animals are just in the way of the humans, insist on taking a few seconds of screentime away for themselves, as when the street artist collides with another man on the streets, setting loose a group of ducks which escape cheerfully from their sorry fates. In the end, the girl moves on, together with the third dog, away from the camera, towards an uncertain future - she holds the dog on a leash, but who is she kidding: she'll go wherever the animals might lead her.