Friday, April 11, 2014

Überhang

Guys and Dolls, Joseph L. Mankiewicz, 1955
The Raid 2: Berandal, Gareth Evans, 2014

Zufällig kurz hintereinander im Kino gesehen: Zweieinhalb Stunden hochreflexives 50s-Musicalkino, das Spektaktel komplett intellektuell gebunden, (fast) ohne jeden utopischen Überhang; und zweieinhalb Stunden indonesisches Knochenbrecherkino, das Spektakel komplett in den akkumulierten Schauwerten gebunden, (fast) ohne jeden mythopoetischen Überhang.

Bei Guys and Dolls habe ich mich irgendwann, so nach eineinhalb Stunden, gefragt, ob irgendwann einmal ein Stück Himmel gezeigt wurde, den ich übersehen hatte, und sei es nur ein gemalter. Erst im Anschluss an diese Frage ist mir ein wohl ziemlich zentrales Element der New-York-Kulisse aufgefallen: wo sie nicht komplett mit Zeug zugestellt ist, sich doch perspektivisch in die Tiefe öffnet, lösen sich die Häuserfronten selbst schnell auf, was bleibt, sind isoliert im Bild hängende Leuchtreklamen und Hinweisschilder, die jeden Gedanken an einen dem hustle der Welt entgegengesetzt ewig blau und unerreichbar leuchtenden Himmel verunmöglichen. Es gibt nichts als den hustle, in New York natürlich sowieso nicht, aber auch nicht in Kuba, wo die Männer ganz besonders aufdringlich den Frauen am Busen hängen.

In The Raid 2 ist die Welt ebenfalls vom hustle her gedacht. Allerdings ist dieser hustle bei Evans keine allumfassende Grundbewegung, kein flow, der der Welt vorgängig ist. Sondern eher ein Potential, das sich nur verwirklichen kann, wenn man nachhilft. Um den Film in Schwung zu bekommen, muss erst einmal ein Gangsterfilmplot in Gang gesetzt werden; vor allem aber müssen Räume definiert werden. Ausnahmslos alle sets sind auf ihre Brauchbarkeit für Prügelorgien hin entworfen, es muss immer schon mitbedacht werden, wie das alles blutverschmiert aussieht. Gleich die Gefängnisszene fast zu Beginn setzt Zeichen: Der Matsch, in dem die Sträflinge und Wächter kämpfen, hat eine sonderbar cremige Konsistenz, wirft tolle Falten, im Hintergrund wabert die rote Mauer. Überhaupt: wenn schon color grading, dann bitte so wie hier. Nicht nur Farben der Welt abziehen, sondern ihr auch wieder welche hinzufügen. Mit kräftigen Pinselstrichen. Das digitale Rot in Evans Film zumindest ist fast schon wieder bei der Technicolor-Fülle angekommen.

Wenig ist geblieben von der sozialen und materiellen Beengung des ersten Teils. Überhaupt ist wenig geblieben, natürlich abgesehen von den Prügelszenen (die schon sehr gut gemacht sind, denen der Film aber diesmal doch nicht immer genug zu trauen scheint, und sie deshalb gelegentlich mit Zeitlupen- und Großaufnahmenblödsinn unterfüttert). Nur in einer weiteren Hinsicht schließt der zweite Teil direkt an den ersten an: In beiden Filmen gibt es kurze Szenen, die Rama, den Protagonisten, mit seiner Frau zeigen, wie ihr, die ein Leben in ziemlicher Isolation zu führen scheint, verspricht: Nur noch einmal raus in die Schlacht, dann komme ich für immer zu Dir, nur noch ein wenig Geduld. Und in beiden Filmen bleibt die Frau dann im Folgenden das Unerreichbare Außen, das Andere der maskulinen Gewaltorgie. Im neuen Film gibt es mehrmals Andeutungen, dass der Gangsterfilmplot irgendwann auch diese Sphäre erreichen könnte (was narrativ äußerst naheliegend wäre), aber das passiert nie, es gibt nur immer weitere Unterscheidungen innerhalb der Männerwelt, die mit immer mehr Knochen- und Schädelbrüchen einhergehen. Zum emotionalen Anker (und zu einem wichtigen Grund dafür, dass mir dieser durchaus anstrengede Film am Ende doch gefallen hat) wurde die abwesende Frau für mich gerade aufgrund der absoluten Unerreichbarkeit des Glücksversprechens, für das sie einsteht.

Und warum hat mir Guys and Dolls gefallen (wenn auch lange nicht so sehr wie zB Cukors verwandter Les Girls)? Und zwar nicht nur als Akkumulation von "Brillanz auf allen Ebenen" (und vor allem auch: als Akkumulation toller Nebendarsteller, inbesondere Johnny Silver, der seinen Mund selbst beim Singen ganz großartig hardboiledmäßig verzieht)? Und auch nicht nur als intellektuelles Spiel der sich vervielfältigenden Lügen, die am Ende doch wieder eine Wahrheit ergeben, aber eben nur eine gefühlte, als filmische Ausformulierung der tollen Dialogzeile "fight fire with fire"? Wahrscheinlich doch vor allem wegen Frank Sinatra, dem Unterton der Resignation und Melancholie, die seine Präsenz dem gesamten Film beigibt (Brando ist da ein schwierigerer Fall: gegen seine Gesangskünste ist gar nicht so viel einzuwenden, mich stört an ihm in Guys and Dolls eher sein Vitalismus; am stärksten ist er in den intimen Szenen). Das Spiel, das der Film ist, kann nur aufgehen, wenn es Reaktion auf und Durcharbeitung von vorgängigen Niederlagen ist. Erst aus dieser Perspektive wird das Uneigentliche, auf dessen Seite sich der Film mit Haut und Haaren schlägt, als ein bewusst gewähltes Möglichkeitsfenster lesbar, in dem sich Freiheit artikuliert, am schönsten im besten Lied des Films: "Taking a chance on love".

No comments: