Das sonst ewig flüchtige revolutionäre Subjekt hat für einmal einen Körper gewonnen; oder jedenfalls das Bild eines Körpers: Hervé Le Roux hat es in einem agitatorischen Kurzfilm aus dem Jahr 1968 entdeckt: Eine junge, sehr, sehr wütende Frau mischt sich da in Diskussionen zwischen Arbeitern, Gewerkschaftlern und linksbewegten Studenten ein, die darum kreisen, ob nach einem Streik die Arbeit wiederaufgenommen werden soll. Es bricht regelrecht aus ihr hinaus: Unter welch fürchterlichen Bedingungen sie und ihre Kolleginnen (am Fließband arbeiten ca. 70% Frauen) arbeiten müssen, wie unzureichend die wenigen Zugeständnisse der Betriebsleitung im Zuge des Streiks sind, wie hilflos sie sich fühlt. Alle Umstehenden und auch die Kamera und auch alle, denen Le Roux den Film knapp 30 Jahre noch einmal vorführt, bemerken sofort, dass mit diesem Menschen etwas Besonderes passiert in diesen paar Minuten.
Das revolutionäre Subjekt hat ziemlich sicher im Jahr 1968 am Fließband der Batterienfabrik "Wonder" gearbeitet, und zwar "bei den Kohlen", wo es besonders schmutzig zuging und wo eine besonders unerbittliche Vorarbeiterin die Fließbänder überwachte. Wahrscheinlich war es ebenfalls für kurze Zeit Mitglied in der kommunisitischen Gewerkschaft. Wahrscheinlich ist es, nachdem die Urabstimmung der Belegschaft, bei der es möglicherweise nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, wieder zum Arbeitsplatz zurückgekehrt. Möglicherweise hat es dabei Tränen in den Augen. Vielleicht trägt es den Namen Jocelyn, vielleicht hat es im Nachbarort geheiratet, vielleicht auch (aber wahrscheinlich doch nicht) einen bärtigen Arbeiter, der im Bild neben ihr steht und der seinerseits "ein Gorilla, ein ziemlicher Aufreißer" war; vielleicht hat es kurz nach der Heirat eine Tochter bekommen, die es nach einer Freundin auf den Namen Nenette taufte.
Dass Le Roux am Ende zwar fast alle anderen Personen, die damals vor und hinter der Kamera aktiv waren, aufgestöbert und größtenteils auch gefilmt hat, dass es ihm aber nicht gelungen ist, dem revlutionären Subjekt selbst, das natürlich ohnehin keines mehr wäre, leibhaftig und nicht nur als Bild zu begegnen, ist die von weitem absehbare (und deshalb ohne schlechtes Gewissen spoilerbare) Pointe des Films. Aber beileibe nicht das, worauf es eigentlich ankommt. Es ist auch, nebenbei bemerkt, überhaupt nicht wichtig, ob Le Roux tatsächlich primär am politischen Subjekt Jocelyn interessiert ist, oder ob nicht am Anfang der Untersuchung die erotische Anziehugskraft stand, die durch das grobkörnige Filmmaterial hindurchwirkt, wenn die junge Frau mit Pony und Hochsteckfrisur gleichzeitig aufbrausend und in sich gekehrt zu ihren Tiraden ansetzt. Ihr Gesicht wirkt sozusagen gesteigert formbar, inbesondere, wenn sie den Mund im Affekt aufreist, wird es sofort und zur Gänze zum Medium eines ohne jede Vermittlung (stimmt natürlich nicht) nachfühlbaren Affekts. Vielleicht wollte Le Roux, und das wäre ein sehr integres Motiv, die Frau auch einfach nur aus der paternalistischen Rahmung lösen, in die sie in einer Szene des Films eingebettet ist, wenn gleich zwei besserwisserische Gewerkschaftsfunktionäre (kein bisschen möchte und kann ich Partei ergreifen in der Sachfrage um die es in der Szene geht, in der Frage, ob die Wiederaufnahme der Arbeit letzten Endes gut und schlecht für die Arbeiterinnen und Arbeiter war) ihr gut zureden, ihr von links ein Arm auf die Schulter, ihr von rechts ein anderer auf ihren eigenen gelegt wird.
Viel mehr geht es um das, was bei den Gesprächen sonst alles einerseits erzählt, andererseits (am Sprechenden, an der Gesprächssituation) sichtbar wird; also darum, wie wir in der Gegenwart an diese Vergangenheit (an diese spezifisch gerichtete Vergangenheit) anschließen können. Um eine oral history des Arbeits- und sonstigen Alltags in der Pariser Industrieperipherie geht es, um das Flohmarktviertel von Saint-Ouen, um den Arbeitsprozess, um die Arbeiterinnensolidarität, um den faschistischen Betriebsleiter, um diverse innerlinke Zerwürfnisse, um Frauen an den Fließbändern, die sich nicht betatschen ließen, um Bürokräfte, bei denen man sich da nicht so sicher ist, um den paternalistischen Chef, der der Sekretärin schonmal Kartoffeln fürs Wochenende mitgibt, der aber zu geizig ist, der Belegschaft auch nur ausreichend Seife anzuschaffen (die wird, nachdem sie doch angeschafft wird, mit Sägespänen gestreckt), um einen Vorfall Jahre später, kurz vor der endgültigen Schließung des Werkes, schließlich, bei dem eine Vorarbeiterin dem Abwicklungschef eins mit dem Regenschirm über den Kopf gegeben hat.
Der Film sollte in jedem post-68-er-Filmprogramm laufen. Zu den üblichen Autorenkino-Erinnerungsfilmen von Garrel bis Assayas / Bertolucci usw verhält er sich wie ein Realitätscheck. Und zwar nicht etwa, weil es für einmal tatsächlich um die Arbeiter (und dann auch noch: um Arbeiterinnen) geht, die in den fast durchweg aus (männlicher) Studentenperspektive erzählten übrigen Filmen im Off bleiben, als zu agitierendes, aber dann wohl doch nicht ausreichend agitiertes revolutionäres Verfügungsmaterial. Tatsächlich gibt es diese Perspektive in dem Film auch: Einer der (sympathischsten) Interviewten war 68 ein Gymnasiast, der die Arbeiter zum Weiterstreiken anstacheln wollte und im Film von Gewerkschaftsfunktionären mit sanfter Gewalt ins Abseits, an den Bildrand gedrängt worden war. Heute verleiht er Surfbretter an der Bretagne (?), freut sich sichtlich über die eigene, wiedererwachende Erinnerung. Was Le Roux' Film von den anderen 68er-Erinnerungsfilmen unterschiedet, ist nicht die politische Perspektive, sondern ein spezifischer Materialismus filmischer Aufmerksamkeit, seine Art, Gesten, Möbel, Orte, Welt zu registrieren.
Denn es geht auch um die Gegenwart, um das, was aus den Arbeiterinnen und Arbeitern knapp dreißig Jahre später, im Jahr 1995, geworden ist. Fast interessanter als die Regenschirmgeschichte ist die Art und Weise, wie die betroffene Frau heute über die Vergangenheit redet, wie sie zittert, nervös den Blick abwendet, immer wieder hektisch nachfragt, die Regenschirmepisode derart panisch verdrängen möchte, dass sie selbst doch unwillkürlich immer wieder auf sie zusteuert. Die meisten anderen sind entspannter. Teilweise finden die Gespräche draußen statt, auf Campingstühlen oder Parkbänken. Die meisten Männer sind gemütliche Rentner, die meisten Frauen weiterhin äußerst aktiv. Eine der ehemaligen Fließbandarbeiterinnen (eine von sechs oder sieben Schwestern, die alle in der Batteriefabrik arbeiteten; eine zweite will nicht vor die Kamera; das Gespräch findet in einem Bistro statt und ist eines der schönsten des Films) konnte damals, kann auch heute noch nicht viel mit dem Streik anfangen. Le Roux fragt sie mehrmals, ob sie denn mitgestreikt habe, oder ob sie drinnen arbeiten war. Sie meint jedesmal: "Ich musste streiken, weil ich nicht hineingehen konnte". Sie bekommt beides nicht auseinander.
Besonders toll sind jene Sequenzen, in denen Le Roux seinen Gesprächspartnern den historischen Film zeigt. Der läuft auf einem kleinen Fernseher, der meist behelfsmäßig, oft ebenfalls im Freien aufgebaut ist und sofort alle Blicke bannt. Wütend ist niemand mehr, aber distanzieren will sich auch keiner von seiner politischen Vergangenheit, viele lachen lauthals los, der faschistische Betriebsleiter wird von jeder/m einzelnen erkannt und benannt (wie, als wolle man durch Namensnennung nachträglich einen Fluch bannen), zweimal zeigen Mütter ihren ebenfalls vor dem Fernseher sitzenden Kindern den Arbeitsplatz. Fast alle dauern exakt eine Filmrolle lang, sobald die Abnutzungserscheinungen der Kopie deutlicher sichtbar werden, weiß man, jetzt kommen bald die Überblendzeichen und dann ist das Gespräch zu Ende, dann wird Le Roux (ein schlacksiger, ironischer, äußerst sympathischer Typ) weiter fahren, zum nächsten Gesprächspartner.
Das revolutionäre Subjekt hat ziemlich sicher im Jahr 1968 am Fließband der Batterienfabrik "Wonder" gearbeitet, und zwar "bei den Kohlen", wo es besonders schmutzig zuging und wo eine besonders unerbittliche Vorarbeiterin die Fließbänder überwachte. Wahrscheinlich war es ebenfalls für kurze Zeit Mitglied in der kommunisitischen Gewerkschaft. Wahrscheinlich ist es, nachdem die Urabstimmung der Belegschaft, bei der es möglicherweise nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, wieder zum Arbeitsplatz zurückgekehrt. Möglicherweise hat es dabei Tränen in den Augen. Vielleicht trägt es den Namen Jocelyn, vielleicht hat es im Nachbarort geheiratet, vielleicht auch (aber wahrscheinlich doch nicht) einen bärtigen Arbeiter, der im Bild neben ihr steht und der seinerseits "ein Gorilla, ein ziemlicher Aufreißer" war; vielleicht hat es kurz nach der Heirat eine Tochter bekommen, die es nach einer Freundin auf den Namen Nenette taufte.
Dass Le Roux am Ende zwar fast alle anderen Personen, die damals vor und hinter der Kamera aktiv waren, aufgestöbert und größtenteils auch gefilmt hat, dass es ihm aber nicht gelungen ist, dem revlutionären Subjekt selbst, das natürlich ohnehin keines mehr wäre, leibhaftig und nicht nur als Bild zu begegnen, ist die von weitem absehbare (und deshalb ohne schlechtes Gewissen spoilerbare) Pointe des Films. Aber beileibe nicht das, worauf es eigentlich ankommt. Es ist auch, nebenbei bemerkt, überhaupt nicht wichtig, ob Le Roux tatsächlich primär am politischen Subjekt Jocelyn interessiert ist, oder ob nicht am Anfang der Untersuchung die erotische Anziehugskraft stand, die durch das grobkörnige Filmmaterial hindurchwirkt, wenn die junge Frau mit Pony und Hochsteckfrisur gleichzeitig aufbrausend und in sich gekehrt zu ihren Tiraden ansetzt. Ihr Gesicht wirkt sozusagen gesteigert formbar, inbesondere, wenn sie den Mund im Affekt aufreist, wird es sofort und zur Gänze zum Medium eines ohne jede Vermittlung (stimmt natürlich nicht) nachfühlbaren Affekts. Vielleicht wollte Le Roux, und das wäre ein sehr integres Motiv, die Frau auch einfach nur aus der paternalistischen Rahmung lösen, in die sie in einer Szene des Films eingebettet ist, wenn gleich zwei besserwisserische Gewerkschaftsfunktionäre (kein bisschen möchte und kann ich Partei ergreifen in der Sachfrage um die es in der Szene geht, in der Frage, ob die Wiederaufnahme der Arbeit letzten Endes gut und schlecht für die Arbeiterinnen und Arbeiter war) ihr gut zureden, ihr von links ein Arm auf die Schulter, ihr von rechts ein anderer auf ihren eigenen gelegt wird.
Viel mehr geht es um das, was bei den Gesprächen sonst alles einerseits erzählt, andererseits (am Sprechenden, an der Gesprächssituation) sichtbar wird; also darum, wie wir in der Gegenwart an diese Vergangenheit (an diese spezifisch gerichtete Vergangenheit) anschließen können. Um eine oral history des Arbeits- und sonstigen Alltags in der Pariser Industrieperipherie geht es, um das Flohmarktviertel von Saint-Ouen, um den Arbeitsprozess, um die Arbeiterinnensolidarität, um den faschistischen Betriebsleiter, um diverse innerlinke Zerwürfnisse, um Frauen an den Fließbändern, die sich nicht betatschen ließen, um Bürokräfte, bei denen man sich da nicht so sicher ist, um den paternalistischen Chef, der der Sekretärin schonmal Kartoffeln fürs Wochenende mitgibt, der aber zu geizig ist, der Belegschaft auch nur ausreichend Seife anzuschaffen (die wird, nachdem sie doch angeschafft wird, mit Sägespänen gestreckt), um einen Vorfall Jahre später, kurz vor der endgültigen Schließung des Werkes, schließlich, bei dem eine Vorarbeiterin dem Abwicklungschef eins mit dem Regenschirm über den Kopf gegeben hat.
Der Film sollte in jedem post-68-er-Filmprogramm laufen. Zu den üblichen Autorenkino-Erinnerungsfilmen von Garrel bis Assayas / Bertolucci usw verhält er sich wie ein Realitätscheck. Und zwar nicht etwa, weil es für einmal tatsächlich um die Arbeiter (und dann auch noch: um Arbeiterinnen) geht, die in den fast durchweg aus (männlicher) Studentenperspektive erzählten übrigen Filmen im Off bleiben, als zu agitierendes, aber dann wohl doch nicht ausreichend agitiertes revolutionäres Verfügungsmaterial. Tatsächlich gibt es diese Perspektive in dem Film auch: Einer der (sympathischsten) Interviewten war 68 ein Gymnasiast, der die Arbeiter zum Weiterstreiken anstacheln wollte und im Film von Gewerkschaftsfunktionären mit sanfter Gewalt ins Abseits, an den Bildrand gedrängt worden war. Heute verleiht er Surfbretter an der Bretagne (?), freut sich sichtlich über die eigene, wiedererwachende Erinnerung. Was Le Roux' Film von den anderen 68er-Erinnerungsfilmen unterschiedet, ist nicht die politische Perspektive, sondern ein spezifischer Materialismus filmischer Aufmerksamkeit, seine Art, Gesten, Möbel, Orte, Welt zu registrieren.
Denn es geht auch um die Gegenwart, um das, was aus den Arbeiterinnen und Arbeitern knapp dreißig Jahre später, im Jahr 1995, geworden ist. Fast interessanter als die Regenschirmgeschichte ist die Art und Weise, wie die betroffene Frau heute über die Vergangenheit redet, wie sie zittert, nervös den Blick abwendet, immer wieder hektisch nachfragt, die Regenschirmepisode derart panisch verdrängen möchte, dass sie selbst doch unwillkürlich immer wieder auf sie zusteuert. Die meisten anderen sind entspannter. Teilweise finden die Gespräche draußen statt, auf Campingstühlen oder Parkbänken. Die meisten Männer sind gemütliche Rentner, die meisten Frauen weiterhin äußerst aktiv. Eine der ehemaligen Fließbandarbeiterinnen (eine von sechs oder sieben Schwestern, die alle in der Batteriefabrik arbeiteten; eine zweite will nicht vor die Kamera; das Gespräch findet in einem Bistro statt und ist eines der schönsten des Films) konnte damals, kann auch heute noch nicht viel mit dem Streik anfangen. Le Roux fragt sie mehrmals, ob sie denn mitgestreikt habe, oder ob sie drinnen arbeiten war. Sie meint jedesmal: "Ich musste streiken, weil ich nicht hineingehen konnte". Sie bekommt beides nicht auseinander.
Besonders toll sind jene Sequenzen, in denen Le Roux seinen Gesprächspartnern den historischen Film zeigt. Der läuft auf einem kleinen Fernseher, der meist behelfsmäßig, oft ebenfalls im Freien aufgebaut ist und sofort alle Blicke bannt. Wütend ist niemand mehr, aber distanzieren will sich auch keiner von seiner politischen Vergangenheit, viele lachen lauthals los, der faschistische Betriebsleiter wird von jeder/m einzelnen erkannt und benannt (wie, als wolle man durch Namensnennung nachträglich einen Fluch bannen), zweimal zeigen Mütter ihren ebenfalls vor dem Fernseher sitzenden Kindern den Arbeitsplatz. Fast alle dauern exakt eine Filmrolle lang, sobald die Abnutzungserscheinungen der Kopie deutlicher sichtbar werden, weiß man, jetzt kommen bald die Überblendzeichen und dann ist das Gespräch zu Ende, dann wird Le Roux (ein schlacksiger, ironischer, äußerst sympathischer Typ) weiter fahren, zum nächsten Gesprächspartner.
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