Die Sorgen einer anderen Zeit: "Ohnehin hatte man hier Sorgen genug mit linksradikalen Medizinern, (...)" Der Satz entstammt einem Artikel einer Kölner Lokalzeitung anlässlich jener Schießerei, im Verlauf derer der vorher im Untergrund lebende Philip Werner Sauber ums Leben kam. Zitiert wird er im Film Vor vier Jahren - vor zwei Jahren, gedreht von Wolfgang Höpfner und Norbert Weyer, entstanden an der dffb, wo Sauber ebenfalls einst studiert hatte. Gedreht wurde 1978/1979, die vier Jahre beziehen sich auf die Schießerei (im Anschluss an eine Polizeikontrolle, auf einem Kölner Parkplatz), die zwei Jahre, so rekonstruiere ich das zumindest, auf den Prozess, an dessen Ende Saubers Genossen - sie nennen sich gegenseitig immer noch so, auch derjenige, der sie interviewt, wird, glaube ich, mindestens einmal so angesprochen - freigesprochen werden; aber nur auf Kosten Saubers, der post mortem wegen Mord an einem Polizisten verurteilt wird.
Der Film versucht erst gar nicht, die unsichtbaren Jahre, die Sauber im Untergrund verbracht hat, wieder in Sichtbarkeit zu übersetzen. Ein Erinnerungsfilm an den Toten ist Vor vier Jahren - vor zwei Jahren nur ganz am Ende, wenn einer seiner beiden ehemaligen Genossen, ein langhaariger Mann, der nach Knasterfahrungen innerlich nicht mehr jung ist, aber noch immer eine junge Stimme hat, der Kamera zugewandt in die mit ihm sich verbrüdernde Kamera über den toten Freund spricht. Die Augen hat er bis vor den letzten Satz gesenkt, dann blickt er auf einmal doch direkt in die Kamera und hebt die Hand in Mano-cornuta-Geste zum letzten Gruß. Peinlich wäre der Moment, wenn er auf eine Revitalisierung gezielt hätte; ihre Kraftlosigkeit, sein schüchternes Lachen dagegen machen diese eine Pathosgeste, die er sich doch noch gönnt am Ende dieses denkbar unpathetischen Films, stark.
Kurz vor Schluss eine Einstellung wie bei Ozu: Tiefe Kameraposition, eine stinknormale Straße in einem Wohnviertel, die sich zentralperspektivisch in die Tiefe fortsetzt, Passanten auf dem Fußweg neben den parkenden Autos, im Hintergrund verläuft, senkrecht zur Straße, eine ein, zwei Meter erhöhte Bahntrasse, ein Zug fährt langsam von links nach rechts. Unvermittelt scheint dieses Bild, das keinen didaktischen, auch keinen melancholischen, auch keinen polemischen Mehrwert hat, das in gewisser Weise interesselos ist, in den Film einzudringen. Aber gibt es wirklich keine Vermittlung? Oder, anders: gibt es aus diesem Film einen anderen Ausweg, gibt es an diesen Film einen anderen Anschluss als dieses Bild?
Bevor zum Schluss doch noch Saubers Leben im Untergrund gedacht wird, breitet der Film die Lebensläufe seiner Komplizen als eine Serie von Institutionenportraits aus. Kurz portraitiert wird zu Beginn die Zeitung (repräsentiert durch verlesene Zeitungsmeldungen und einen sich selbstsicher im Sessel zurücklehnender Journalist, der zwar den allzu souveränen Sound des Nachrichtenprofis drauf hat, in dessen Mund sich die Rede von den "facts", die es zu präsentieren gelte, trotzdem noch ein wenig unsicher, wie gerade erst eintrainiert, anhört); gegen Ende, ebenfalls kurz, die Polizei, die gerade im Übergang vom Rohrpost- ins Computerzeitalter zu befinden scheint - zumindest drei Jahrzehnte später erscheint diese Passage fast als Komödie, besonders angetan hat es mir ein geradezu theatral sich durch das schäbige Dienstzimmer krümmendes Rohrsegment; deutlich länger, in der Mitte des Films, geht es um das Gefängnis, in dem einer der beiden Angeklagten auf seinen Prozess wartete.
Auf der Tonspur erzählt er, wie er sich, schon nach Haftantritt, verliebt habe und wie seine Liebe zu Waltraud, der neuen Frau in seinem Leben (kurz erwähnt: die Verlobte Monika - aber dieser Spur geht der Film nicht nach), von der Staatsmacht als Waffe benutzt worden sei. Beeindruckt hat mich an diesen Passagen nicht so sehr, was da genau erzählt wird: Man muss und sollte ihm und dem Film nicht jedes Wort glauben (auch die spätere Nachinszenierung der Schießerei wirkt in der Sache allzu selbstsicher, gefällt eher wegen ihrer Nähe zu B-Movie-Phonyness...), die geduldige Introspektion, die aus seinen Worten spricht, auch das Bewusstsein für den Wert von Intimität, hebt den Film wohltuend von jenen Agitpropfilmen ab, die zehn Jahre vorher an der selben Hochschule entstanden waren. (Einige davon hatte ich zufällig kurz vorher gesehen.)
Dazu zeigt der Film wieder und wieder die Fassade der Haftanstalt, in der der Angeklagte eingesperrt war. Auch die Inneneinrichtung, inklusive Zellenarchitektur und Schließmechanismen, tauchen auf, zwischendurch werden Aussagen der Architekten verlesen, die darauf bestehen, das modernste Gefängnis überhaupt gebaut zu haben, obwohl: "Grau in grau gibt es natürlich trotzdem. Auf Beton kann man einfach nicht verzichten." Den meisten Raum, die meiste Zeit erhält jedoch die Fassade, die wieder und wieder mit horizontalen Kameraschwenks abgetastet wird. Die Gefängnisfenstersind mit einem Gitter aus Betonstreben zusätzlich gesichert. Das führt dazu, dass sie nicht wie Öffnungen, sondern lediglich wie Ornamente wirken, deren regelmäßige Wiederkehr die Kamerabewegung rhythmisiert. In Volker Pantenburgs Eintrag "Schwenk" im Wörterbuch kinematografischer Objekte lese ich, dass Carl Akerley nicht nur Erfinder des Schwenkstativs, sondern auch des Spritzbetons war.
Der Film versucht erst gar nicht, die unsichtbaren Jahre, die Sauber im Untergrund verbracht hat, wieder in Sichtbarkeit zu übersetzen. Ein Erinnerungsfilm an den Toten ist Vor vier Jahren - vor zwei Jahren nur ganz am Ende, wenn einer seiner beiden ehemaligen Genossen, ein langhaariger Mann, der nach Knasterfahrungen innerlich nicht mehr jung ist, aber noch immer eine junge Stimme hat, der Kamera zugewandt in die mit ihm sich verbrüdernde Kamera über den toten Freund spricht. Die Augen hat er bis vor den letzten Satz gesenkt, dann blickt er auf einmal doch direkt in die Kamera und hebt die Hand in Mano-cornuta-Geste zum letzten Gruß. Peinlich wäre der Moment, wenn er auf eine Revitalisierung gezielt hätte; ihre Kraftlosigkeit, sein schüchternes Lachen dagegen machen diese eine Pathosgeste, die er sich doch noch gönnt am Ende dieses denkbar unpathetischen Films, stark.
Kurz vor Schluss eine Einstellung wie bei Ozu: Tiefe Kameraposition, eine stinknormale Straße in einem Wohnviertel, die sich zentralperspektivisch in die Tiefe fortsetzt, Passanten auf dem Fußweg neben den parkenden Autos, im Hintergrund verläuft, senkrecht zur Straße, eine ein, zwei Meter erhöhte Bahntrasse, ein Zug fährt langsam von links nach rechts. Unvermittelt scheint dieses Bild, das keinen didaktischen, auch keinen melancholischen, auch keinen polemischen Mehrwert hat, das in gewisser Weise interesselos ist, in den Film einzudringen. Aber gibt es wirklich keine Vermittlung? Oder, anders: gibt es aus diesem Film einen anderen Ausweg, gibt es an diesen Film einen anderen Anschluss als dieses Bild?
Bevor zum Schluss doch noch Saubers Leben im Untergrund gedacht wird, breitet der Film die Lebensläufe seiner Komplizen als eine Serie von Institutionenportraits aus. Kurz portraitiert wird zu Beginn die Zeitung (repräsentiert durch verlesene Zeitungsmeldungen und einen sich selbstsicher im Sessel zurücklehnender Journalist, der zwar den allzu souveränen Sound des Nachrichtenprofis drauf hat, in dessen Mund sich die Rede von den "facts", die es zu präsentieren gelte, trotzdem noch ein wenig unsicher, wie gerade erst eintrainiert, anhört); gegen Ende, ebenfalls kurz, die Polizei, die gerade im Übergang vom Rohrpost- ins Computerzeitalter zu befinden scheint - zumindest drei Jahrzehnte später erscheint diese Passage fast als Komödie, besonders angetan hat es mir ein geradezu theatral sich durch das schäbige Dienstzimmer krümmendes Rohrsegment; deutlich länger, in der Mitte des Films, geht es um das Gefängnis, in dem einer der beiden Angeklagten auf seinen Prozess wartete.
Auf der Tonspur erzählt er, wie er sich, schon nach Haftantritt, verliebt habe und wie seine Liebe zu Waltraud, der neuen Frau in seinem Leben (kurz erwähnt: die Verlobte Monika - aber dieser Spur geht der Film nicht nach), von der Staatsmacht als Waffe benutzt worden sei. Beeindruckt hat mich an diesen Passagen nicht so sehr, was da genau erzählt wird: Man muss und sollte ihm und dem Film nicht jedes Wort glauben (auch die spätere Nachinszenierung der Schießerei wirkt in der Sache allzu selbstsicher, gefällt eher wegen ihrer Nähe zu B-Movie-Phonyness...), die geduldige Introspektion, die aus seinen Worten spricht, auch das Bewusstsein für den Wert von Intimität, hebt den Film wohltuend von jenen Agitpropfilmen ab, die zehn Jahre vorher an der selben Hochschule entstanden waren. (Einige davon hatte ich zufällig kurz vorher gesehen.)
Dazu zeigt der Film wieder und wieder die Fassade der Haftanstalt, in der der Angeklagte eingesperrt war. Auch die Inneneinrichtung, inklusive Zellenarchitektur und Schließmechanismen, tauchen auf, zwischendurch werden Aussagen der Architekten verlesen, die darauf bestehen, das modernste Gefängnis überhaupt gebaut zu haben, obwohl: "Grau in grau gibt es natürlich trotzdem. Auf Beton kann man einfach nicht verzichten." Den meisten Raum, die meiste Zeit erhält jedoch die Fassade, die wieder und wieder mit horizontalen Kameraschwenks abgetastet wird. Die Gefängnisfenstersind mit einem Gitter aus Betonstreben zusätzlich gesichert. Das führt dazu, dass sie nicht wie Öffnungen, sondern lediglich wie Ornamente wirken, deren regelmäßige Wiederkehr die Kamerabewegung rhythmisiert. In Volker Pantenburgs Eintrag "Schwenk" im Wörterbuch kinematografischer Objekte lese ich, dass Carl Akerley nicht nur Erfinder des Schwenkstativs, sondern auch des Spritzbetons war.
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