Sunday, June 14, 2015

Gesichtsfernsehen

Die zweite Haut, Frank Beyer, 1981
Ein unheimlich starker Abgang, Michael Verhoeven, 1973

Wenn es dem Fernsehen leichter als dem Kino fällt, einen Film um ein Gesicht herum zu konstruieren, dann vielleicht, weil das Gesicht in Großaufnahme im Fernsehen nicht wie im Kino ein überlebensgroßer Spezialeffekt (Deleuze / Affektbild / Mulvey / Fetischismus etc) ist, sondern einfach nur ein was Höhe und Breite angeht ungefähr gleich großes gegenüber, also eher das Subjekt einer simulierten Kommunikation als das Objekt eines stillstellenden Blicks.

In Die zweite Haut gehört das Gesicht Angelica Domröse. Beyers Film wird, soweit überhaupt etwas über ihn zu lesen ist, als Versuch beschrieben, einen DEFA-Film unter den Bedingungen des bundesdeutschen Fernsehens zu drehen. Der zwangsläufige Mangel an Lokalkolorit und äußerer Wirklichkeit (die Handlung spielt im Osten, wurde aber komplett im Westen inszeniert, unter anderem, glaube ich, auf dem Gelände des Virchow-Klinikums). Den Mangel an Welt muss Domröses Gesicht ausgleichen. Wobei die Großaufnahmen trotzdem eher vorsichtig dosiert werden. Die Großaufnahmen punktieren einen Film, dessen Figuren sich zumeist in Räumen mit hohen Decken und Fenstern, durch die man nicht nach draußen blicken kann, zu verlieren drohen. Ein todtrauriger Film gerade darin, wie er darauf besteht, dass Innerlichkeit auf einen positiven, soziologischen Begriff zu bringen ist, dass also zum Beispiel die kleine Differenz zwischen der verhinderten Bürgerlichen (Domröse) und der verhinderten Aussteigerin (Jana Brejchova) durchaus an ihren gesichtern abzulesen sein müsste. Wenn man schon die Hoffnung aufgeben muss, diese Differenz in der Außenwelt, in den "Verhältnissen" dingfest machen zu können.

Einem Film, dem es gelingt, selbst eigentlich schreiende Sinnbilder wie "gemeinsam in der gerade frisch renovierten Wohnung Janis Joplin hören", in eine melancholisch schöne, psychologisch ehrliche Szene umzuformen, kann man kaum Vorwürfe machen. Und sicherlich ist Die zweite Haut in eigentlich jeder Hinsicht ein besserer Film als Ein unheimlich starker Abgang. Trotzdem wird mir von letzterem ziemlich sicher mehr im Gedächtnis bleiben.

Da wird einem das Gesicht, um das es geht, das von Katja Rupé, gleich zu Beginn regelrecht um die Ohren gehauen: Es wird befragt, übt den trotzigen Augenaufschlag, aber wenn es sich störrisch gibt, dann nur, dann nur, um eine Zähmung in Aussicht zu stellen. Und wenn der Film noch so antiautoritär tut: Es geht ihm darum, diese Frau gründlich durchzuverstehen. Das trennt ihn unrettbar von den Fassbinder-Frauenfilmen (die aus ganz anderen Gründen nerven können), an die ich nicht nur deshalb denken musste, weil Irm Hermanns Maskengesicht ab und an auftaucht. Auch das leicht gespreizte Theaterbayrisch wirkt wie schlecht bei RWF abgeschaut. Andererseits: Wenn die Rupé im Erziehungsheim ordinär wird (Halt dai Fotzn), dann hat das was, wenn später im Stripclub ein Philologie(?)student auftaucht, den die Kamera zwischen zwei Stripperbeinen dingfest macht, auch. Wenn Elmar Wepper am italienischen Strand die Sonnenbrille zurecht rückt, sowieso. Besonders schön: All diese kleinen Perlen der Schmierigkeit, alles Exploitative scheint dem Film eher zu unterlaufen, als dass er es als Attraktion ausstellen würde.

Nachtrag - Das tollste Gesicht, aber der blödeste Film drumrum:  Marie / Anna Martins, Hans W. Geissendörfer, 1972.

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