Thursday, July 30, 2015

Wer nimmt die Liebe ernst..., Erich Engel, 1931

Noch vor dem ersten Tonspur hört man aus dem noch absoluten Off des nicht vorhandenen Bildes jemanden Pfeifen - wie als würde sich der noch junge Tonfilm noch einmal vorstellen, ins Recht setzen wollen. Tatsächlich übernimmt dann, wenn die Pfeifenden, zwei Herumtreiber, die eine Straße entlang schlendern, auftauchen, der Soundtrack des Films die von den beiden vorgegebene Melodie. Ansonsten ist der Beginn noch ganz dem Stummfilm verpflichtet: Die Gaunerei der beiden - sie stehlen Hunde und geben sie gleich wieder ihren Besitzern zurück, in der Hoffnung auf eine Belohnung - bringt nicht nur Tiere als visuelle Attraktionen ins Spiel, sondern bereitet auch eine Verfolgungsjagd vor, komplett mit Keystone Kop.

Der folgende Film wirkt eher wie eine mit leichter Hand entworfene Skizze, als wie ein durchkomponiertes Ganzes, ist nicht auf sein Ende hin entworfen, sondern entfaltet sich in autonomen Blöcken. Wenn Max, der eine der Herumtreiber, auf der Flucht bei einem Mädchen Unterschlupf findet, ist der Slapstickbeginn vergessen, dann verwandelt sich Wer nimmt die Liebe ernst... erst einmal in eine Salonkomödie ohne Salon. Bis der Polizist wie aus dem nichts wieder auftaucht, als Max gerade auf dem Balkon steht - und sich diesmal ohne viel Widerstand seinem Schicksal ergibt: Er muss weiter, ins Gefängnis. Sehr schön ist die Abschiedszene, bei der sie ihn zum ersten Mal küsst; erst nur verschämt und kurz, aber dann umarmt sie ihn. Er steht dabei mit dem Rücken zur Kamera, von ihr sieht man nur die Arme, die Intimsphäre bleibt gewahrt (und wird trotzdem bezeichnet).

Die Gefängnissequenz beginnt wieder stummfilmartig, diesmal eher kulissenhaft-expressionistisch: alles voller Gitterstäbe. Dann taucht Otto Wallburg auf, als ein Gefangener, der mit dem Gefängisregime dermaßen inkompatibel ist, dass die Wärter eher verblüfft als wütend sind. Sobald er draußen ist, ist er wieder ganz in seinem Element und kein bisschen komisch.

Einmal müssen sich die Gefangenen in einer Reihe aufstellen und werden durchnummeriert. Das verbindet die Szene mit einer späteren bei einer Schönheitskonkurrenz, wo die teilnehmenden Mädchen ebenfalls nummeriert werden. Beide Reihungen geraten in Unordnung. Ordnungssysteme, die kollabieren: Das ist die Moderne für diesen wunderbaren, wunderbar unaufgeregten, wunderbar unaufgeregt asozialen Film, den man sich auf Youtube in voller Länge ansehen kann.

Thursday, July 23, 2015

Es geschah am 20. Juli, G.W. Pabst, 1955

Wenn Information "a difference which makes a difference" ist, was ist dann eine Fehlinformation? Logisch betrachtet ein Paradox oder eine Unmöglichkeit, vermutlich. Das "fehl-" an der Fehlinforamtion ist aus Sicht der Theorie irrelevant, beziehungsweise: nur aus einer nachzeitigen Perspektive sinnvoll. Eine Differenz, von der man im Nachhinein ("von höherer Vogelwarte aus gesehen", wie es in einem unfreiwillig abgründigen Animationsfilm der 1950er heißt) sagen kann, dass sie doch keine Differenz gemacht hat.

In Pabsts Film geht es um die Ereigniskaskade, die die falsche, aber wirkmächtige Information "Hitler ist tot" auslöst. Im Rahmen der Verschwörung setzt sie das Protokoll "Walküre" in Gang. Vor allem aber sorgt sie dafür, das Personal des Films in zwei distinkte Gruppen aufzuteilen: Jeder ist entweder auf Seiten der Verschwörung oder nicht. Man kann die Seiten wechseln, aber nicht gleichzeitig sich auf beiden befinden. Wie ein Magnet Metallspäne ausrichtet, richtet die Information das Personal des Films aus, reduziert es auf einen eindeutigen Plus/Minus-Aspekt.

Dass Pabst das Hitlerattentat nicht als Rühr-, oder Pathosstück, sondern als eine informationsverarbeitende Maschinerie, eigentlich als ein Computer inszeniert: Das hat mir doch ziemlich gut gefallen. Wenn alle Figuren nur als Träger von Information interessant sind, bleiben ihnen die ideologischen Phrasen der Bundesrepublik ("das heilige Deutschland") äußerlich.

Sunday, July 19, 2015

Crime in the Streets, Don Siegel, 1956

(Der Walter-Hill-artige Auftakt - ein Gangfight in einem anonym und erkaltet anmutenden Gewerbegebiet - könnte kaum mehr in die Irre führen...)

Ich hatte vermutet, dass das - nicht einmal durch allzu viele Bühnentricks abgemilderte - Bühnenartige an dem Film auch tatsächlich auf eine Bühnenvorlage zurückzuführen wäre. Tatsächlich ist Crime in the Streets die Kinoadaption einer Episode der Live-TV-Anthologieserie The Elgin Hour (inszeniert wurde die von Sidney Lumet, die Hauptrolle hatte ebenfalls schon John Cassavetes übernommen).

Mich würde interessieren, ob die ein Jahr nach der Ausstrahlung fertiggestellte Kinofassung direkt am selben Set gedreht wurde - das würde die teils ziemlich extremen Beschränkungen, die der Film seiner Diegese auferlegt, erklären (so oder so könnte man den Film in einer feuilletonistischen, aber nicht ganz schiefen Wendung zusammenfassen: Das Fernsehen hilft Don Siegel dabei, den kleinsten gemeinsamen Nenner von Brecht und poverty row zu entdecken). Jedenfalls ist Crime in the Streets komplett im Studio entstanden. Tatsächlich gibt es nur eine einzige Kulisse, die nur durch die Lichtänderung (es wird Nacht) dynamisiert wird: Der Film spielt in einem einzigen Straßenzug, der sich über fast die gesamte Laufzeit noch weiter verengt, auf einen einzigen Häuserblock und eine kleine, kaum fünf Meter lange Gasse zwischen zwei Häusern.

Diese Gasse misst auch schon die gesamte Tiefe des Sets aus, dessen Herausragende Eigenschaft nicht die auch innerdiegetisch behauptete Enge, sondern die Flachheit ist. Die Figuren bewegen sich mit Vorliebe an der Hausfassade entlang, klettern manchmal sogar an ihr per Feuerleiter empor; gleich zu Beginn gibt es einen tolle Plansequenz, die mehrere dieser planen Bewegungen zeigt und schließlich selbst eine nachvollzieht, mithilfe eines Schwenks, der nicht an einer einzlnen Figurenbewegung, sondern am narrativierten Raum selbst ausgerichtet ist. (Man kann dieser Welt, btw, durchaus entkommen, man muss einfach nur seitlich aus ihr hinaus laufen... vor allem die wenigen Frauen, die in dem Film auftauchen, tun genau das auch immer wieder).

In die Räume, die hinter der Fassade liegen (und die man allesamt mit ein paar Schritten ausgemessen hat), dringt die Kamera selten ein. Eigentlich tut sie das nur in den Szenen, die in der kleinen Wohnung spielen, in der die Cassavetes-Figur Frankie Dane (ein Problemjugendlicher mit Gangaffiliation) mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder lebt. Es herrscht da eine Kargheit, die mehr nach B-Movie-Ökonomie als nach kitchen sink ausschaut; und Intimität schafft dieser Raum schon gleich gar nicht, er ist maximal durchlässig auf die Außenwelt. Zur B-Movie-Ökonomie passt auch, dass die Figuren die Beschränkung des Raumes ohne Umstände internalisieren und ihre Handlungen entsprechend vor sich selbst plausibilisieren: Es ist sinnvoll, ein Verbrechen vor der eigenen Haustür zu begehen, weil: Da würde ja niemand drauf kommen.

Ein planes Set, in das sich ein paar gefährliche Tiefen öffnen: Das ist schon die gesamte Architektur des Films. Den Mordplan Frankies, um den es mit ziemlicher Ausschließlichkeit geht, sobald er einmal gefasst ist, gerät in Gefahr, weil in einer solchen Tiefe der Bruder lauscht. Ausgeführt werden soll er in einer anderen - in der Gasse zwischen den beiden Häuserblocks, die sich im Lauf des Films verwandelt, nicht mehr nur ein Stück leerer, überschüssiger Raum ist, zu einem Spalt in der Welt wird, in der drei Jugendliche (wei davon offensichtlich von Erwachsenen gespielt) kauern und einen Plan fassen, der ihre Welt aus den Angeln heben soll.

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Das morality play, das der Film an der Erzähloberfläche ist, benötigt einen Sozialarbeiter, der feierabends neben seiner Tischtennisplatte sitzt und liest; der aber so sehr eine Funktion von Plot und dem therapeutischen Anliegen des Films ist, dass er einem schon ziemlich leid tun kann. Siegel gelingt es, in diese Erzähloberfläche regelmäßig Momente reiner B-Movie-Intensität einzubauen, die sich in ihrer Gesamtheit ebenfalls zu einer Art Tiefendimension fügen: Die Zigarettenglut, die das Gesicht eines im Bett liegenden Mannes illuminiert, ein verzweifelter Blick von Mutter und Sohn in den Spiegel, ein kurzer nicht-Flirt zwischen Balkon und Straße.

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Frankies Mutter ist eine tolle Figur: Eine arbeitende, alleinerziehende Frau, die stets erst spät abends nach hause kommt (und dann die Welt des Films aus einem absoluten Off, das bereits an der nächsten Straßenecke beginnt) und mit jedem Wort, das sie ausspricht, auch mit jeder Geste eine alles verzehrende Verzweiflung artikuliert. Ein Satz ist mir besonders (wenn auch vielleicht nicht wortwörtlich korrekt) im Gedächtnis geblieben: "I touched every part of your body" (nämlich: während meiner Schwangerschaft), meint sie einmal zu Frankie, als sie sich von ihm besonders entfremdet fühlt.

Friday, July 17, 2015

Il Cinema Ritrovato 2015: Model Shop, Jacques Demy, 1969

It took me two days after revisiting Jacques Demy's Model Shop to realize, that the hotel I stayed in bears a striking resemblance to the eponymous etablissment in the center of this masterful LA-neo-noir: Like the front office and the studio room in the film, the lobby and the rooms of the hotel are linked by a contorted, rather narrow corridor, made up of several right angles. In Demy's film, this passageway is linked with both the mechanics and metaphysics of photography and with erotic intitiation (maybe with the sexual act itself) and it stands in marked contrast with the flat outline of Los Angeles architecture. The inside of the "Model Shop" just doesn't match its outside - this disparity might just be the most important driving force in the film. Of course, the protagonist quickly finds out that the disparity doesn't relate to any dark, exotic mystery. Model Shop is one of the greatest films about fetishism for that very reason: Its central fixation can't be reduced to any fixed object, not even a missing one.

Of course, Model Shop would never work in a city like Bologna, where architectural splendour is always a given.

(Rereading my first blog post - in german - on Model Shop: Oh my, I really do have changed in the last few years. Where the hell went my fucking political consciousness?)

Tuesday, July 14, 2015

Il Cinema Ritrovato 2015: Ejima Ikushima, Hideo Oda, 1955

The film registers a quiet breakdown of social order that starts with a forbidden gaze: a harem woman witnessing an older, more priviledged woman having sex with her lover. The older woman can't stand herself beeing exposed even to this one gaze (that isn't even dublicated by a cinematic one - we just see how the door slides open and how the face of the witnessing woman freezes in shock), and urges the younger one to start an affair with a Kabuki player.

Next to the tale of the cheerful, city-bound orchard sisters this was probably my favourite among the early japanese colour (yellow leaning, actually) films screened in Bologna. Its formal mastery, the patient style and the melodramatically charged use of classical japanese architecture are matched by an intriguing narrative premise: after hefty (+ largely offscreen) clan infighting, the country is left with a much too young shogun, and the prospect of a rule by proxy of several years. A written title announces trouble: this basically never worked out in history. But this time, the abscense of the potent, male ruler doesn't result in civil warfare, but in a much more subtle, ambivalent uproar in the court's woman's quarters.

Actually, in the subtitles, these woman's quarters are calles "harem", though it isn't really clear if the women confined in these thoroughly feminised spaces are normally supposed to sleep with the shogun and his subordinates. At least that doesn't seem to be their only or even principal duty. It's more important that they learn how to sing, play the Samisen, be tender, and feminine in a decidedly non-threatening way. For example, they should not, under any circumstances, leak liquids out into the male world. This is exactly what happens in Ejima Ikushima, though, in a scene rather late in the film, when a group of harem women visit a Kabuki performance and poors sake all over the place. 

Thursday, July 02, 2015

Il Cinema Ritrovato 2015: Hana no naka no musumetachi, Kajiro Yamamoto, 1953

I travel to the Cinema Ritrovato for many reasons... not the least among them are films like this completely unknown, wonderful japanese comedic melodrama about two sisters trying two get away from their rural hometown - and especially from the family business: growing plants, that are beuatiful to look at but that a terrible hustle to mend (like movies). Plus, they hardly bring any money in (like some movies). One of the many great ideas in a film that never even tries to achieve masterpiece status and is all the more relaxed and open-hearted for it: The rack used to raise the plants is just a little bit too low for a person of normal height to stand upright under. So everyone who works their has to stay (and especially walk) slightly stooped. To be sure: This is used only as a subtle comedic device, not at all as a means of social critique - but it still infuses the film with a constant sense of bodily tension.

The film was screened in a section dedicated to early (that is, with one exception: 1950s) Japanese colour films. While the main, rural setting switches back and forth between sumptuous landscape shots and agricultural coercion (that is also beautiful to look at), the real heights of colour stylization are reached in a few shorter scnenes that take place in the city of Tokyo. Or rather in the workplace of the older sister (the younger one, Momoko, brightens up the screen in every single shot and is one of the greatest supporting charakters I've seen in a while): a big hotel with genuinely psychedelic interieurs. Here, all (humble) attempts not only at pictorial, but also at psychological and narrative realism quickly vanish. The dream factory takes over... but dreams can be cruel, too.