Der Jahrmarkt ist ein privilegierter Schauplatz des Kinos, weil er ihm entspricht – beides sind Orte der mechanisierten, kommerzialisierten Massenkultur, der gezielten Sinnesüberflutung, der Schaulust. Es gibt aber, und vermutlich ist das genauso wichtig für die Faszination, die der Jahrmarkt auf das Kino ausübt, eine unhintergehbare Differenz: Im Jahrmakt ist jeder Besucher zu jedem Zeitpunkt (selbst noch in der Geisterbahn) Teil einer öffentlichen Gemeinschaft der Sichtbaren. Die Attraktionen, Buden, Achterbahnen, selbst noch die an intimen Urängsten rührende Geisterbahn sind nicht zu trennen von der Tatsache, dass sie gemeinsam betrachtet, besucht, befahren werden. Die Energien, die sie freisetzen, werden letztlich nicht im Einzelnen gebunden, sondern in Kommunikation. Natürlich ist auch das Kino ein sozialer Ort. Sobald jedoch die Lichter ausgehen und der Film einsetzt, sind die Nebensitzer zwar nicht vergessen, aber mindersichtbar, und deshalb wird das Kino auch zu einem minderöffentlichen Ort. Als Wahrnehmungsdispositiv zielt es auf den isolierten Einzelnen. Und seine wohl wichtigste soziale Funktion besteht darin, Intimität außerhalb der Sphäre des Privaten zu ermöglichen.
Das einst außerordentlich erfolgreiche, heute zumindest außerhalb Italiens komplett vegessene Melodram Der letzte Schnee des Frühlings (L'ultima neve di primavera, Raimondo Del Balzo, 1973) endet mit einer erstaunlichen Szene, in der eben diese Differenz zwischen Jahrmarkt und Kino, zwischen gesteigerter Sicht- und strategischer Unsichtbarkeit, zwischen leutselig-kollektiver und individuell-intimisierender Addressierung auf faszinierende Weise kollabiert. Der letzte Schnee des Frühlings, der auf dem diejährigen Terza Visione, einem dem italiensichen populären Kino der 1950er bis 1980er Jahre gewidmeten Filmfestival, wiederentdeckt wurde, erzählt von Luca (Renato Cestiè) einem zehnjährigen Jungen, der an Leukämie erkrankt. Bereits auf dem Sterbensbett liegend äußert er einen letzten Wunsch geäußert: Er möchte gemeinsam mit seinem Vater Roberto (Bekim Fehmiu) den örtlichen Jahrmarkt besuchen. Dabei hat der noch gar nicht seine Pforten geöffnet – aber weil jede Minute zählt, brechen die beiden dennoch sofort auf und tatsächlich gelingt es Roberto, die Angestellten dazu zu überreden, den Park nur für die beiden einsamen Besucher zu eröffnen.
Die Szene spielt spät abends, die Dunkelheit verschluckt alles bis auf den Jahrmarkt selbst und seine beiden von ihm (und nur von ihm) beleuchteten Besucher. Vom Trubel der amüsierwilligen Öffentlichkeit entkleidet, werden die technischen Attraktionen des Parks zur reinen Form – besonders eindrücklich ist das Riesenrad, eine in das Schwarz der Nacht hinein gezeichnete Bewegungsinstallation. Auch der weiße Plastikschwan, auf dem Vater und Sohn über einen Pool schippern und die weißen Plastikpferde, die auf einem Karussell vor eine Plastikkutsche gespannt sind, die Vater und Sohn ein paar letzte gemeinsame Runden ermöglicht, werden plötzlich anders, neu sichtbar, verwandeln sich fast in Fabelwesen, in gute Geister, die zwischen dem Reich der Lebenden und dem der Toten vermitteln.
Die beiden einsamen Besucher finden hier, unter freiem Himmel und inmitten einer kommerzialisierten Kunstwelt, jenen intimen Schutzraum, den sie vorher in ihrem von Trennung, Eitelkeiten und Eifersüchteleien geprägten familiären Alltag vergeblich gesucht hatten. Tränen- und bis zu einem gewissen Grad selbstverloren liegen sie sich in den Armen, innere und äußere Welt fließen ineinander, sie lassen sich treiben, sanft gebettet in bunte Lichter, Plastik, Musik und Erinnerungen an lichtdurchflutete Sonnenblumenfelder. Man könnte auch sagen: Der Jahrmarkt ist für die beiden zum Kino geworden. Vater und Sohn blicken endlich so auf die Welt, wie wir auf sie blicken.
Das einst außerordentlich erfolgreiche, heute zumindest außerhalb Italiens komplett vegessene Melodram Der letzte Schnee des Frühlings (L'ultima neve di primavera, Raimondo Del Balzo, 1973) endet mit einer erstaunlichen Szene, in der eben diese Differenz zwischen Jahrmarkt und Kino, zwischen gesteigerter Sicht- und strategischer Unsichtbarkeit, zwischen leutselig-kollektiver und individuell-intimisierender Addressierung auf faszinierende Weise kollabiert. Der letzte Schnee des Frühlings, der auf dem diejährigen Terza Visione, einem dem italiensichen populären Kino der 1950er bis 1980er Jahre gewidmeten Filmfestival, wiederentdeckt wurde, erzählt von Luca (Renato Cestiè) einem zehnjährigen Jungen, der an Leukämie erkrankt. Bereits auf dem Sterbensbett liegend äußert er einen letzten Wunsch geäußert: Er möchte gemeinsam mit seinem Vater Roberto (Bekim Fehmiu) den örtlichen Jahrmarkt besuchen. Dabei hat der noch gar nicht seine Pforten geöffnet – aber weil jede Minute zählt, brechen die beiden dennoch sofort auf und tatsächlich gelingt es Roberto, die Angestellten dazu zu überreden, den Park nur für die beiden einsamen Besucher zu eröffnen.
Die Szene spielt spät abends, die Dunkelheit verschluckt alles bis auf den Jahrmarkt selbst und seine beiden von ihm (und nur von ihm) beleuchteten Besucher. Vom Trubel der amüsierwilligen Öffentlichkeit entkleidet, werden die technischen Attraktionen des Parks zur reinen Form – besonders eindrücklich ist das Riesenrad, eine in das Schwarz der Nacht hinein gezeichnete Bewegungsinstallation. Auch der weiße Plastikschwan, auf dem Vater und Sohn über einen Pool schippern und die weißen Plastikpferde, die auf einem Karussell vor eine Plastikkutsche gespannt sind, die Vater und Sohn ein paar letzte gemeinsame Runden ermöglicht, werden plötzlich anders, neu sichtbar, verwandeln sich fast in Fabelwesen, in gute Geister, die zwischen dem Reich der Lebenden und dem der Toten vermitteln.
Die beiden einsamen Besucher finden hier, unter freiem Himmel und inmitten einer kommerzialisierten Kunstwelt, jenen intimen Schutzraum, den sie vorher in ihrem von Trennung, Eitelkeiten und Eifersüchteleien geprägten familiären Alltag vergeblich gesucht hatten. Tränen- und bis zu einem gewissen Grad selbstverloren liegen sie sich in den Armen, innere und äußere Welt fließen ineinander, sie lassen sich treiben, sanft gebettet in bunte Lichter, Plastik, Musik und Erinnerungen an lichtdurchflutete Sonnenblumenfelder. Man könnte auch sagen: Der Jahrmarkt ist für die beiden zum Kino geworden. Vater und Sohn blicken endlich so auf die Welt, wie wir auf sie blicken.
Ab Minute 5:18:
Die Textreihe "Konfetti" entsteht im Rahmen des Siegfied-Kracauer-Stipendiums. Mehr Informationen hier.
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