Otto Premingers The Man With the Golden Arm gilt als einer der ersten Filme, die Drogenmissbrauch offen thematisieren. Zumindest im Hollywoodstudiokino war das vorher nicht in dieser Form möglich und der Film selbst sorgte dafür, dass die Zensurregeln anschließend gelockert wurden. Die Hauptfigur Frankie Machine, ein heroinsüchtiger Kartenspieler, der von einer Karriere als Jazzmusiker träumt, wird von Frank Sinatra verkörpert, dessen gleichzeitig energetisches und fragiles Spiel im Zentrum des Films steht.
Durchaus zurecht. Und doch hat mich beim Wiedersehen eine andere Figur mehr interessiert: Frankies Frau Sophia, genannt Zosh, gespielt von Eleanor Parker. Die Figur ist dasjenige Element, das an dem in vieler Hinsicht erstaunlich realistisch anmutenden Film aus heutiger Sicht am Falschesten oder jedenfalls Fragwürdigsten wirkt, zumindest auf den ersten Blick. Sie verkörpert einen melodramatischen Exzess, der dem psychosozialmedizinischen Drama, das der Film in erster Linie ist, fremd bleibt: eine offensichtlich psychisch labile junge Frau, die vorgibt, nach einem Unfall ihre Beine nicht bewegen zu können, um Frankie, der sie nicht liebt, an sich zu binden.
Es liegt nahe, Parkers Figur zumindest teilweise metaphorisch zu lesen, als eine Verkörperung der Zwänge und Ängste (vor Veränderung, vor allem), die Frankie an die Droge binden. Auch, weil es eine andere, “gute” Frau gibt, die für die Hoffnung auf Gesundung steht: Eine von Kim Novak gespielte Nachbarin, bei der Frankie Unterschlupf findet, erst fürs Musizieren, später für den kalten Entzug. Parker hat beim impliziten Vergleich der beiden Frauen von Anfang an einen schlechten Stand. Bereits ihr Rollenname - Zosh Mashine - ist unvorteilhaft bis fast schon bizarr (Novaks Figur heißt dagegen wie ein harmloses, gutmütiges Buddy-Girlfriend: Molly Novotny).
Aber die beiden Frauen sind eben nicht, wie das in einem aktuellen, filmschulsmarten Film vielleicht der Fall wäre, tatsächlich psychische Projektionen. Sie bleiben gleichzeitig autonom gedachte Figuren einer fiktionalen Welt. Erst diese Dopplung verleiht ihnen Komplexität und, im Fall von Parker, Tragik. Letzteres, die Tragik, findet im Film eine sonderbare Verkörperung: in einer Pfeife, die Zosh um ihren Hals hängen hat. In erster Linie ist die Pfeife, auch das thematisiert Preminger offen, eine Rape-Whistle, ein letztes Hilfsmittel für eine im Rollstuhl sitzende und deshalb Vergewaltigern hilflos ausgelieferte Frau.
Als solche wird die Pfeife in The Man With the Golden Arm allerdings nicht eingesetzt, überhaupt hat sie im engeren Sinne keine narrative Funktion. Zosh sitzt fast den gesamten Film über hinter verschlossener Tür in ihrer Wohnung, manchmal gemeinsam mit Frankie, manchmal alleine. Sie sperrt die Welt aus, auf eine Pfeife ist sie dabei nicht angewiesen (erst recht nicht, weil sie ja eigentlich durchaus ihren Rollstuhl verlassen könnte). Dennoch bleibt die Kamera erstaunlich oft auf der Pfeife hängen und Zosh selbst greift immer wieder, wie unwillkürlich, zu dem Objekt, das sie um den Hals trägt. Aber nicht aus Angst; jedenfalls nicht aus Angst vor einer Vergewaltigung. Einmal bläst sie, im Verlauf einer Auseinandersetzung mit Frankie, in die Pfeife, aber halbherzig, es ertönt lediglich ein schwacher, jämmerlicher Ton. In diesem Moment ist für mich klar: Die Pfeife ist auch beides, materielles Objekt und Metapher. Sie ist nicht nur ein materielles Holfsmittel, sondern sie steht außerdem ein für Zoshs Wunsch, aus dem Korsett, das sie umgibt, auszubrechen; und zwar ist das ein Ausbruchswunsch auf zwei Ebenen, er richtet sich gleichzeitig gegen das Gefängnis, das sie sich selbst erbaut hat und gegen ein Drehbuch, das sie als Metapher missbraucht (und deshalb als Figur opfert).
Anders formuliert: Zosh sehnt sich nach einer Möglichkeit, sich Auszudrücken. Die Pfeife ist ein potentielles Medium dieses Ausdrucks, aber gleichzeitig unbrauchbar, weil sie keine Nuancen und Innerlichkeit darstellen kann, sondern lediglich einen einzigen, grellen Ton hervorbringt. Insofern ist sie letztlich doch nur ein weiteres Zeichen für die absolute Hilflosigkeit einer Frau, die nur funktional denken kann, weil sie, vom Drehbuch, nur funktional gedacht wird. Einmal bläst Zosh dann doch richtig, lauthals, in die Pfeife: Unmittelbar bevor sie sich vom Balkon stürzt und Selbstmord begeht.
Durchaus zurecht. Und doch hat mich beim Wiedersehen eine andere Figur mehr interessiert: Frankies Frau Sophia, genannt Zosh, gespielt von Eleanor Parker. Die Figur ist dasjenige Element, das an dem in vieler Hinsicht erstaunlich realistisch anmutenden Film aus heutiger Sicht am Falschesten oder jedenfalls Fragwürdigsten wirkt, zumindest auf den ersten Blick. Sie verkörpert einen melodramatischen Exzess, der dem psychosozialmedizinischen Drama, das der Film in erster Linie ist, fremd bleibt: eine offensichtlich psychisch labile junge Frau, die vorgibt, nach einem Unfall ihre Beine nicht bewegen zu können, um Frankie, der sie nicht liebt, an sich zu binden.
Es liegt nahe, Parkers Figur zumindest teilweise metaphorisch zu lesen, als eine Verkörperung der Zwänge und Ängste (vor Veränderung, vor allem), die Frankie an die Droge binden. Auch, weil es eine andere, “gute” Frau gibt, die für die Hoffnung auf Gesundung steht: Eine von Kim Novak gespielte Nachbarin, bei der Frankie Unterschlupf findet, erst fürs Musizieren, später für den kalten Entzug. Parker hat beim impliziten Vergleich der beiden Frauen von Anfang an einen schlechten Stand. Bereits ihr Rollenname - Zosh Mashine - ist unvorteilhaft bis fast schon bizarr (Novaks Figur heißt dagegen wie ein harmloses, gutmütiges Buddy-Girlfriend: Molly Novotny).
Aber die beiden Frauen sind eben nicht, wie das in einem aktuellen, filmschulsmarten Film vielleicht der Fall wäre, tatsächlich psychische Projektionen. Sie bleiben gleichzeitig autonom gedachte Figuren einer fiktionalen Welt. Erst diese Dopplung verleiht ihnen Komplexität und, im Fall von Parker, Tragik. Letzteres, die Tragik, findet im Film eine sonderbare Verkörperung: in einer Pfeife, die Zosh um ihren Hals hängen hat. In erster Linie ist die Pfeife, auch das thematisiert Preminger offen, eine Rape-Whistle, ein letztes Hilfsmittel für eine im Rollstuhl sitzende und deshalb Vergewaltigern hilflos ausgelieferte Frau.
Als solche wird die Pfeife in The Man With the Golden Arm allerdings nicht eingesetzt, überhaupt hat sie im engeren Sinne keine narrative Funktion. Zosh sitzt fast den gesamten Film über hinter verschlossener Tür in ihrer Wohnung, manchmal gemeinsam mit Frankie, manchmal alleine. Sie sperrt die Welt aus, auf eine Pfeife ist sie dabei nicht angewiesen (erst recht nicht, weil sie ja eigentlich durchaus ihren Rollstuhl verlassen könnte). Dennoch bleibt die Kamera erstaunlich oft auf der Pfeife hängen und Zosh selbst greift immer wieder, wie unwillkürlich, zu dem Objekt, das sie um den Hals trägt. Aber nicht aus Angst; jedenfalls nicht aus Angst vor einer Vergewaltigung. Einmal bläst sie, im Verlauf einer Auseinandersetzung mit Frankie, in die Pfeife, aber halbherzig, es ertönt lediglich ein schwacher, jämmerlicher Ton. In diesem Moment ist für mich klar: Die Pfeife ist auch beides, materielles Objekt und Metapher. Sie ist nicht nur ein materielles Holfsmittel, sondern sie steht außerdem ein für Zoshs Wunsch, aus dem Korsett, das sie umgibt, auszubrechen; und zwar ist das ein Ausbruchswunsch auf zwei Ebenen, er richtet sich gleichzeitig gegen das Gefängnis, das sie sich selbst erbaut hat und gegen ein Drehbuch, das sie als Metapher missbraucht (und deshalb als Figur opfert).
Anders formuliert: Zosh sehnt sich nach einer Möglichkeit, sich Auszudrücken. Die Pfeife ist ein potentielles Medium dieses Ausdrucks, aber gleichzeitig unbrauchbar, weil sie keine Nuancen und Innerlichkeit darstellen kann, sondern lediglich einen einzigen, grellen Ton hervorbringt. Insofern ist sie letztlich doch nur ein weiteres Zeichen für die absolute Hilflosigkeit einer Frau, die nur funktional denken kann, weil sie, vom Drehbuch, nur funktional gedacht wird. Einmal bläst Zosh dann doch richtig, lauthals, in die Pfeife: Unmittelbar bevor sie sich vom Balkon stürzt und Selbstmord begeht.
Die Textreihe "Konfetti" entsteht im Rahmen des Siegfied-Kracauer-Stipendiums. Mehr Informationen hier.
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