Selbst das Programm des Kinos Arsenal, das selbst die frühen Propagandafilme, die Roberto Rossellini für Mussolinis Faschisten anfertigte, mit dem Argument verteidigt, diese Werke würden ihren Zweck nicht erfüllen und statt dessen die "Absurdität des Krieges" oder ähnliches darstellen (zumindest der von mir gesehene La nave bianca allerdings rechtfertigt diese Lesart in keiner Weise), kann mit einem Film, der sich mit dem Sieg der Christdemokratie im Nachkriegsitalien auseinandersetzt und dabei Position für De Gasperi bezieht, nicht anfreunden. Dabei ist Anno uno kein Produkt eines faschistischen Staatsapparates, nicht einmal eine Auftragsarbeit, sondern zuallererst ein Autorenfilm, der nicht nur unter einer demokratisch gewählten Regierung entstanden ist, sondern auch von einer ebensolchen handelt. Mag man nun von der europäischen Christdemokratie halten was man will, erstaunlich bleibt es doch, dass ausgerechnet dieses Sujet vom Arsenalprogramm als nicht mehr ganz legitim dargestellt wird. Im Kino setzt sich dies dann dergestalt fort, dass mindestens zwei Besucher den Saal während der Vorstellung verlassen, während sie sie sich über den "Propagandafilm" auslassen, den sie gesehen zu haben glauben.
Dabei ist Anno uno alles andere als ein Propagandafilm. Nicht einmal die grundlegendsten Voraussetzungen für einen solchen werden erfüllt. Schließlich ist De Gasperi im Jahr 1974 bereits seit 20 Jahren tot und nie versucht der Film, den Bogen zur italienischen Gegenwart zu schlagen, zumindest nie in einer Weise, die geeignet erscheint, die Figur De Gasperi (und noch weniger die Partei der Christdemokraten) für aktuelle politische Auseinandersetzungen zu instrumentieren.
Und Anno uno entzieht sich nicht nur diesem direkt instrumentellen Zugriff, sondern auch zahlreichen anderen Konsumptionsparadigmen, die sich mit Historienfilmen verbinden lassen. Nach der Titelsequenz (hat es eine Bedeutung, dass diese exakt die Titelsequenzen Ozus nachahmt) entwickelt Rossellini einen sonderbaren, irgendwie erkalteten Modernismus. Die Eröffnungssequenz spielt noch während dem Weltkrieg. Zu dezent atonaler Musik entwickelt Anno uno mehrere dezidiert komponierte Schlachtfeldvignetten. Wie in der großartig fotografierten ersten Schlacht in Viva L'Italia ist die bevorzugte Einstellungsgröße die Totale oder gar die Panoramaaufnahme, wie in Viva L'Italia bewegt sich die Kamera sanft, aber bestimmt, unabhängig von den Bewegungen einzelner Figuren, orientiert sich an den größeren Truppenverschiebungen und Flüchtlingsströmen, die die Leinwand in ihrer ganzen Breite ausfüllen.
Doch in Anno uno findet sich als zusätzliche Komponente eine unübersehbare Theatralität. Die Kadrierung wird durch die genau ausgewählte Architektur (und nicht zufällig steht zwischen den Ruinen ein fast intakter antiker Tempel) oft explizit als Bühne gekennzeichnet, teilweise übernehmen Mauernbögen eine zusätzlich rahmende Funktion. Diese Anfangssequenz, die die brutale Dynamik des Krieges auf verwirrende Weise mit der domestizierenden Kraft der Inszenierung verbindet, schreibt von Anfang an eine unüberwindliche Distanz zwischen Zuschauer und Film einerseits und zwischen Film und Realgeschichte andererseits in Anno uno ein. Außerdem scheinen diese Bilder, die in gewisser Weise immer etwas zu groß für die Leinwand sind (zu viel Informationen enthalten, zu viel Abstand zu den Figuren halten, zu große Gebäude im Vergleich zu zu kleinen Menschen zeigen etc) im weiteren Verlauf immer als Drohung über der Handlung zu schweben.
Die spezielle Form der Long-Take-Ästhetik setzt sich im späteren Film genauso fort wie die ausgestellte Theatralität der Inszenierung. Mit sehr wenigen Ausnahmen wird eine Szene in genau einer Einstellung aufgelöst, die (beständige, aber mit gleichbleibender Geschwindigkeit vorgenommene) Kamerabewegung folgt im Allgemeinen nicht den Bewegungen der Figuren, nicht einmal unbedingt dem Gesprächsverlauf, sondern scheint sich vielmehr an den Gedanken, die zwischen Rossellini, dem Publikum und dem Geschehen auf der Leinwand ausgetauscht werden, zu orientieren.
Immer wieder versammelt sich eine Gruppe von Figuren vor der Kamera (nicht: die Kamera sucht eine Gruppe von Figuren auf), die sich gegenseitig, vor allem aber das Publikum, über die politischen Ereignisse der letzten Wochen oder Monate aufklärt. Eine seltsame Form der Informationsvergabe, die formal die Kohärenz der Diegese aufrecht erhält, jedoch die Illusion der vierten Wand bei jeder Gelegenheit untergräbt. Verschiedene Dispositive innerhalb des Films (im Gesellschaftssalon, in der Kneipe etc) tauchen immer wieder auf, kommentieren die Handlung, ordnen sie in die Weltpolitik ein etc.
Das ganze spielt in meist auffällig entleerten Räumen und Straßen, viele Schauplätze sind extrem stilisiert, mindestens einer, der mehrere Male auftaucht, ist hauptsächlich eine gemalte Kullisse (und auch dies wird nicht etwa versteckt, sondern ausgestellt).
Es geht um Politik und deren moralische Grundlage, den christlichen Glauben und sein Verhältnis zum Klassenkampf, vor allem jedoch um die italienische Realgeschichte, die Geschichte der Regierungsbildungen und -krisen, der Geschichte der unterschiedlichen Koalitionen und ihres Zusammenbruchs, nicht jedoch um die Darstellung derer Folgen im sozialen Gefüge Italiens in Form einer weinerlichen Intrige, die einfache Ursache-Wirkung-Zusammenhänge ausweist, wo solche einfach nicht postulierbar sind (insofern hat das Arsenalprogramm natürlich recht: die sozialen Widersprüche werden ausgeblendet, aber nur, weil der Film auf einer Differenz zwischen dem Politischen und dem Sozialen besteht, was vor allem in der einzigen Szene deutlich wird, in welcher dieses Soziale mit Gewalt in den Film einzudringen scheint: De Gasperi besucht, inzwischen gewählter Ministerpräsident, ein verarmtes Dorf im Süden Italiens und versucht verzweifelt, eine gemeinsame Sprache mit seinen potentiellen Wählern zu finden, dabei scheinen beide Gruppen kaum in einem einzigen Bildkader Platz zu finden).
Und der Personenkult? In der letzten halben Stunde wird De Gasperi umringt von meistens gleich vier Frauen, die sich während seiner Telefongespräche und pathetischen Monologen diskret im Hintergrund halten, ihm höchstens einmal ein, zwei respektvolle Fragen stellen (aber über die Kamera haben sie selbstverständlich nie Kontrolle), die seine Koffer packen und in mancher Hinsicht als natürliche Verlängerung /Begleiterscheinung seiner Anwesenheit auftreten. De Gasperi geschichtswirkende Gedanken schreiben sich nicht zuletzt durch diese weibliche Anhängerschaft in einer besonders privilegierten Position in den Film ein. Doch nie werden die Frauen (oder irgendwelche anderen Elemente des Films) eingesetzt, um De Gasperi etwas zu verschaffen, was er nach der dem Film inhärenten Logik nicht verdient hätte. Die zunehmende Konzentration des gesamten filmischen Apparats auf die Fiur entspringt einem offenen Diskurs, den Rossellini mit dem Publikum führt. Und der es letzterem selbstverständlich auch erlaubt (und ihn durch die in den Film eingeschriebenen dialogartigen Auseinandersetzung mit politischen und philosophischen Fragen fast dazu auffordert), der Argumentation in dem einen oder anderen Punkt zu widersprechen.
Ein großer Film.
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