Der handelsübliche (und zwar beileibe nicht nur aber doch auch in besonderem Maße: deutsche) Zeitgeschichte bearbeitende Historienstreifen beschwört die Vergangenheit mithilfe opulenter Ausstattung und einer im besten Fall wertkonservativen, meist jedoch schlicht und einfach armen Filmsprache. Beschworen wird hierzulande stets die Macht des Faktischen, der damit einhergehende Authentizitätsgestus artikuliert sich meist weniger im Film selbst, sondern in den mit diesen einhergehenden öffentlichen Diskursen, in Fernsehspecials, Feuilletonstreitereien etc. Wie anders funktioniert dagegen Buongiorno, notte, ein großartiger, unglaublich intensiver Film über die politischen Wirren im Italien der Siebziger Jahre.
Bellocchios wählt in beeindruckender Konsequenz den entgegengesetzten Weg: Buongiorno, notte verzichtet auf 70ies Chick jeder Art, die Annäherung an die Vergangenheit findet äußerst vorsichtig statt, mithilfe einer sparsamen Zeichenökonomie. Abgesehen von einigen teilweise recht sonderbaren Ausflügen, deren genauer Status nicht immer zu entschließen ist: Manchmal ein Büro, zweimal (in zwei grandiosen Sequenzen) ein Fahrstuhl, vor allem jedoch die kleine Wohnung, in welcher die Rotbrigadisten Aldo Moro, den ehemaligen Ministerpräsidenten und damaligen Parteichef der Christdemokraten Italiens, gefangen halten. Doch auch wenn der Handlungdraum beschränkt ist, der Film selbst ist es nicht.
Bereits innerhalb der Wohnung entwickelt sich ein beeindruckendes Versteckspiel zwischen dem alten Politiker, seinen Entführern, die nur maskiert mit ihm kommunizieren und Chiara, ihrer einzigen weiblichen Verbündeten, die (und mit der Zeit nicht mehr nur sie, sondern auch die Kamera unabhängig von ihr: Buongiorno, notte etabliert die psychologisierende Erzählperspektive nur, um sie bei jeder Gelegenheit zu transzendieren) Moro durch ein kleines Loch in der Türe beobachtet.
Immer wieder entwickelt der Film neue Konstellationen der Sichtbarkeit und der Nichtsichtbarkeit, die Brigadisten sind in ihrer Wohnung (und ihren Gedankengebäuden) fast ebenso gefangen wie Moro selbst, wie nicht zuletzt der Blick durch das wie vergittert wirkende Fenster belegt. In diesem Mikrokosmos spiegeln sich die politischen Auseinandersetzungen innerhalb und außerhalb der Gruppe auf sonderbare Art: Der Balkon der Wohnung wird buchstäblich zum utopischen Raum, und zwar zum einzigsten, der unmittelbar zugänglich ist.
Doch Buongiorno, notte erweitert seinen äußerst übersichtlichen Handlungsraum gleich auf zweifache Weise nach innen: Nicht nur in Richtung auf die Innenarchitektur und die Blickverhältnisse (sowie technsich Vermittelt über Fenrsehbilder auf die historische Realität der siebziger Jahre), sondern auch auf die Figuren selbst. Chiaras Erinnerungen, Wünsche, Ängste werden in einen illusorischen Raum projiziert, den Bellocchios Kamera bald nicht mehr so eindeutig von seiner historischen Rekonstruktion trennen möchte.
Seltsame Zeichenketten entwirft Bellocchio in einigen dieser Sequenzen: Chiara liest in einem Buch Briefe italienischer Partisanen im zweiten Weltkrieg, erinnert sich daran, wie ihr Vater ihr dieselben einst vorgelesen hatte. Der Film schließlich visualisiert dies mithilfe einiger Ausschnitte aus Paisa, begleitet von der empathischen, wunderschönen Musik, die den gesamten Film ein wenig über dem Gezeigten zu schweben scheint.
Langsam aber sicher lösen sich diese Gedankenbilder in Buongiorno, notte von ihrem Ursprung in Chiaras Psyche und sorgen für eine weitere Öffnung: In Richtung auf einen alternativen Geschichtsverlauf, in Richtung auf eine Utopie, deren unwiederbringlichen Verlust Bellocchios Film zwar betrauert, der er jedoch dennoch bildlichen Ausdruck verleiht, und zwar sogar noch in der allerletzten Einstellung.
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