Tuesday, February 17, 2009

Rabioso sol, rabioso cielo, Julian Hernandez, 2008 (Berlinale Nachlese 1)

Mein allerletzter Film des regulären Festivals: Eine gut dreistündige schwule Stummfilmoper, ein wahnwitziges Meisterwerk (oder zumindest nahe dran) irgendwo zwischen expressionistischem Stummfilm und Weerasethakul.
Rabioso sol, rabioso cielo beginnt mit einer Frau, die aus einer Autobahnbrücke durch eine Serie kreisrunder Öffnungen in die Stadt Mexico City eintritt. Der Film bleibt zunächst bei dieser Frau. Seine leuchtenden Schwarz-Weiß-Bilder folgen ihr durch ihre eilige, aber nicht zielgerichtete Passage durch die Stadt. Manchmal entfernt sich die Kamera, sucht an der Bushaltestelle oder im Bus selbst nach anderen Passanten, verharrt kurz auf Zufallsgesichtern, kehrt wieder zu ihr zurück. So sehr wie hier wird sich der Film, dem alles Soziologische von Grund auf fremd ist, später nie wieder für die Stadt interessieren. Es wird Nacht, die Kamera fährt immer näher an die Frau heran, schließlich trifft diese einen jungen Mann. In der ersten von vielen im starken Sinne choreografischen Szenen des Films nähern sich die beiden an, sie lauthals lachend, er schweigend und vehement. Leuchtende Körper, illuminiert durch Weichzeichner, rhythmische Blick- und Bewegungsfolgen. Dann haben sie Sex in ihrer Wohnung, in einer einzigen, langen Einstellung in Aufsicht.
Vom Gesicht der Frau am nächsten Morgen schneidet der Film in die Toilette eines Pornokinos. Die nächsten gut eineinhalb Stunden verbringt der Film auf dieser Toilette, im Kino selbst, Ausflüge nach draussen sind selten. Es entspinnt sich ein Reigen schwuler (nichtexpliziter) Sexszenen, die sich ganz langsam zu einer Erzählung um drei Männer fügen: Ein junges Liebespaar (einer davon ist der junge Mann aus der Anfangsszene) und ein Dritter ohne feste Affiliation. Dieser Dritte ist ein obsessiv Suchender, bei dem das Misslingen der Suche schon in dieser selbst angelegt ist und der im Filmverlauf lernen muss, die scheiternde Suche als Wert an sich nicht zu akzeptieren, sondern zu entdecken. Nie macht der Film aus diesem Dritten oder aus einem seiner anderen Figuren einen gebrochenen Helden, auch keinen Aussenseiter. Das Pornokino wird nie zu der Freakansammlung aus Tsai Ming Liangs grandiosen Goodbye, Dragon Inn. Freilich geht es in Letzterem auch nicht um ein Pornokino, insofern ist das ein schlechter Vergleich, wichtig ist aber, dass Hernandez sich für sein Kino nicht als subkulturelles Milieu interessiert (auch nicht im Sinne eines utopischen Ortes der befreiten Sexualität), sondern lediglich als idealen, letztlich kontingenten Schauplatz für sein Kino der Triebe.
Trotz des straighten Sex zu Beginn geht es in Rabioso sol... nicht um fluide sexuelle Identitäten. Der Film ist durch und durch schwul, der Prolog verweist ausschließlich auf das metaphysisch-fantastische Finale (dazu unten mehr) und resultiert in keiner Verqueerung. Hernandez sucht nicht die Ambivalenz, sondern eine Ästhetik des schwulen Begehrens (oder eine schwule Ästhetik des Begehrens?) in Reinform. Er findet diese in einer bedingungslosen Affirmation der Körper und in einer opernhaften Filmsprache, die dem Stummfilm (und zwar den naiven Epen der 10er-Jahre genauso wie dem der deutschen Expressionisten) ebenso nahe ist wie Garrel oder Cocteau.
Hernandez interessiert sich auch da nicht für Brüche und Differenzen, wo er Modernismusmarker einsetzt. Dialoge benötigt der Film gar nicht, Sprache kaum. Letztere findet in den Film als ganz und gar körperloser Voice-Over-Kommentar. Es besteht dieser selten nur aus einer Stimme, meist sind die Stimmen multipel, sie chargieren zwischen materialisiertem Bewusststeinsstrom und Halluzination, sie verfolgen imer das Ziel der Intensivierung. Ziel ist nie die Verfremdung als ein Modus der Abstandnahme von etwas Vorgefundenem, es geht um eine Annäherung an etwas, das entweder nicht unmittelbar gegeben ist, oder zu unmittelbar für realistische Modi der Darstellung.
Auch sonst hält der Film Abstand zwar nicht zur Form, wohl aber zur ästhetischen Haltung der Modernismen. Im Gegensatz zu den Filmen Garrels, mit dem Hernandez den obsessiven Zugriff auf den Schauspielerkörper teilt, bleiben die Protagonisten in Rabioso sol, rabioso cielo strikt handlungsorientiert. Aus der Reduktion der Subjektivität auf das sexuelle Verlangen folgt keine Krise der ersteren. Ganz im Gegenteil findet sie am Ende auf durch und durch romantische Weise (im Happy End, nonetheless) zu sich selbst.

Und Weerasethakul? Eine direkte Bezugnahme auf den Thailänder leite ich aus Armond Whites Syndomes and a Century-Semiverriss ab, in welchem eine solche behauptet wird. Mir scheint aber jenseits dieser nicht unbedingt bombensicheren Quelle eine solche sehr wahrscheinlich. Im Grunde ist Rabioso sol... ein Tropical Malady-Remake. Wie Tropical Malady, so bricht auch Rabioso sol... die schwule Liebesgeschichte (bei Hernandez eine Geschichte mit einem Beteiligten mehr) irgendwann ab. In diesem Fall wird die emphatische Zerstörung des Filmmaterials aus Tropical Malady nur noch symbolisch vollzogen, durch einen roten Farbfleck, der sich auf der Leinwand ausbreitet. Wie bei Weerasethakul folgt auf den Zusammenbruch der repräsentativen Modelle ein neuer Filmabschnitt, der anderen Regeln folgt und in einer anderen Welt spielt.
Bei Hernandez ist diese andere Welt die Welt einer nicht genau spezifizierten, aber deutlich klassisch antik geprägten Mythologie. Kahle Berge, grün leuchtend, anstatt, wie vorher, schwarz/weiß. Männerkörper, die noch mehr leuchten als zuvor. Ein Frauenkörper, der nicht mehr von dieser Welt ist. Wie in Tropical Malady wird die Verbidung zwischen den Filmabschnitten zunächst nur über die identischen Hauptdarsteller hergestellt. Doch noch weniger als bei Weerasethakul ist bei Hernandez diese narrative Konstellation als Erzählexperiment interessant. Der Film erklärt seinen letzten, einstündigen Abschnitt selbst (und das, obwohl er sonst überhaupt nichts erklärt, sondern alles nur zeigt) als mythologische Bearbeitung und Überwindung seiner schematischen Grundkonstellation sexueller Eifersucht und unerfüllter Liebe.
Noch stärker als bei Weerasethakul (der auch viel eher ein klassisch queerer Regisseur ist, obwohl Homosexualität weitaus weniger zentral ist in seinem Werk) geht es vor allem zum zwei unterschiedliche Modi der Erfahrung, der Bezugnahme auf das Körperliche, die sich in den beiden Filmabschnitten - die sich vor allem anderen durch ihre jeweilige Materialästhetik unterschieden - machen lassen.

(Es gibt, nebenbei, noch andere Parallelen zu Weerasethakul: Zum Beispiel heftet sich kleiner, aber unübersehbarer Fetisch an das geschriebene, im Gegensatz zum gesprochenen Wort, außerdem gibt es auch bei Hernandez den - wiederum um ein vielfaches ausgeprägteren - affirmativen Einsatz verkitschter Popmusik.)

3 comments:

Anonymous said...

Danke sehr an den Autor.

Gruss Daniela

Anonymous said...

Ein super Blog danke! Gibt es einen Link, wo man über die
Neuigkeiten in diesem Blog benachrichtigt wird?

danke
Hektor Dimansik

Lukas Foerster said...

es gibt einen feed: http://somedirtylaundry.blogspot.de/atom.xml