In Tom Tykwers The International gibt es im Anschluss an ein erfolgreiches Attentat auf einen italienischen Politiker (landestypisch wild gestikulierend; das rettet ihn vor der ersten Kugel, aber nicht vor der zweiten) eine schöne Szene: Clive Owen und Naomi Watts untersuchen den Tatort. Sie überprüfen den Einschusswinkel der beiden verwendeten Kugeln in einer Kulisse, vor der der Politiker positioniert war. Schnell finden sie heraus, was der Zuschauer bereits weiß: Die Kugeln sind aus unterschiedlichen Waffen abgefeuert worden. Dann laufen Owen und Watts einmal um die Kulisse herum. Die Kugeln haben die Kulisse durchschlagen und sind auf ihrer Rückseite wieder ausgetreten. Clive Owen und mit ihm die Kamera blicken von dieser Rückseite aus durch das Schussloch auf die jeweilige Position des Schützen. Der Kamerablick wird in diesem Moment ganz buchstäblich zu einem investigativen und macht die beiden Orte des Attentats sichtbar, indem er den Flugweg der Kugel rückwärts verfolgt.
In dieser Kameraeinstellung konzentriert Tykwer die Essenz des investigativen Films in einer einleuchtenden und unaufdringlichen Geste. Investigatives Kino – das Genre Politthriller, in dem Tykwer in The International arbeitet, ist zwar nur nur eine von mehreren investigativen Kinoformen, aber doch wahrscheinlich die interessanteste – definiert sich über das Versprechen, in projizierten Bewegungsbildern hinterher etwas sichtbar zu machen, was in der realen Welt vorher unsichtbar geblieben ist.
Freilich ist das mit dem investigieren andererseits nicht so einfach, gerade im Politthriller, der das Objekt der Investigation fast schon automatisch verfehlt hat, wenn er es bloß darstellt, bzw auf naive Weise im Bewegungsbild aufgehen lässt. Nicht nur erstarren rein investigative Formen dann schnell in Obsessionen und Zirkelschlüssen, ganz grundsätzlich vertrauen sie zu sehr auf die Unmittelbarkeit des Faktischen. Gute Politthriller wählen nicht den Weg der Bescheidenheit, sondern sie beginnen zu fabulieren.
The International ist zwar beileibe kein schlechter Genrebeitrag, aber er fabuliert doch manchmal ein bisschen zu wenig. Es geht um eine Bank, genauer gesagt die International Bank of Business and Credit (IBBC). Angelehnt ist diese, wie in allerdings sehr vager Hinsicht das gesamte Drehbuch, an der 1991 zusammengebrochene BCCI. Die realweltlichen Zeitungsschlagzeilen sollen dann, und das ist mit Sicherheit das trashigste Moment in einem vom Trash nicht immer ganz weit entfernten Film, im Abspann durch fiktive Zeitungsschlagzeilen evoziert werden. Wie hier, so funktionieren auch in einigen anderen Szenen der anvisierte Sprung aus der Fiktion nicht so recht.
Owen ist Louis Salinger, seines Zeichens tatsächlich Interpol-Agent (Tykwer geht aufs Ganze) und hat bereits länger ein Auge auf deren krumme Machenschaften geworfen. Ihm zur Seite steht Naomi Watts als toughe Staatsanwältin und mit ihr hätte der Film ruhig etwas mehr anstellen können. Als vor seinen Augen ein Kollege, der die IBBC infiltrieren wollte, stirbt, nimmt Salingers Kampf gegen die Bank die persönliche Note an, die eine Geschichte dieser Art benötigt. Salinger möchte aus dem alles beherrschenden System – Tykwer figuriert dieses System nicht besonders einfallsreich, aber doch effizient durch immer wiederkehrende Aufsichten, die alle Individuen zu Ameisengröße schrumpfen lassen, und manchmal auch, noch einfacher, durch modernistische Architektur – aussteigen. Sein Gegenspieler ist IBBC-Chef Skarssen, der über Leichen geht, um über noch mehr Leichen gehen zu können. Der weißt die Möglichkeit eines Ausstiegs in einer Szene explizit zurück. Ein Ausstieg aus dem System sei unmöglich, erklärt er seinen Beratern (die natürlich keine Berater sind, sonst müsste er ihnen das ja nicht erklären), und wenn man aus einem System nicht aussteigen könne, bleibe nur die Möglichkeit, noch tiefer in es einzudringen.
Die Gegenüberstellung ist klassisch und auf beiden Seiten absurd: Der eine beharrt wider besseren Wissens auf dem Wert seiner Individualität, auf seiner Handlungsmacht als Subjekt, der andere, der tatsächlich am längsten Hebel sitzt, ergibt sich sehenden Auges dem System und dessen Eigengesetzlichkeit, der er am Ende zum Opfer fallen muss. Tykwer entwickelt diese Opposition nahe an Genreklischees (Owen ist nicht nur einfach unrasiert, sondern die Essenz der Unrasiertheit, sein Gegenspieler aalglatt und ausgestattet mit dem obligatorischen psychopathischen Zug) und platziert um die Hauptfiguren jede Menge pulpifiziertes Personal, vom streetsmarten Cop in New York bis zu Armin Mueller-Stahl als (hier übertreibt Tykwer) Ex-Stasi-jetzt-Banker-cum-Waffenhändler, der trotz dieser Biografie noch einmal die Kurve bekommen und in einem verranzten Keller Clive Owen ganz tief in die Augen schauen darf. Platziert wird das Personal im abstrakten Raum der verglasspiegelten Hochfinanz, im Nichtraum des Transits (der Film beginnt am Berliner Hauptbahnhof, der freilich auf eine wirklich eingängige Piktorialisierung weiter warten muss) und im Postkartenraum des Tourismus: In Istanbul führt ein türkischer Waffenhändler seinen Gast durch die Basilika-Zisternen, die italienischen Waffenhändler dagegen verfügen über einen mondänen Unterschlupf mit Meeresblick, der jedem Bond-Schurken zur Ehre gereichen würde.
Soll heißen: Alles in allem ist The International überraschend ununterscheidbar vom Mainstream des Genres, in dem er sich bewegt. Auch aus der Tatsche, dass recht dezidiert in erster Linie eine Bank der Hauptbösewicht ist, schlägt der Film in keine Richtung Kapital und entschärft das Ganze spätestens durch die immer unproblematischen Repersonalisierungen aller Abstrakta. Es sind doch eher kleine Gesten, in denen Tykwers Autorenfilmersensibilität durchschlägt. In erster Linie wahrscheinlich tatsächlich in der Wahl des Schauplatzes für das zentrale Setpiece: Das New Yorker Guggenheim-Museum, bzw dessen Nachbau im Studio Babelsberg, wird in einer epischen Schießerei fachgerecht in seine Einzelteile zerlegt und auch die dort ausgestellte Videokunst bekommt ihr Fett weg.
Wenn The International nicht ganz zu überzeugen weiß, dann sicherlich nicht deswegen, weil Tykwer seine Autorenfilmersensibilitäten an der Garderobe / beim Produzenten abgegeben hat. Dem Film mangelt es nicht an psychologischen oder metaphysischen Tiefendimensionen, sondern höchstens an ein wenig Eklektizität der Oberfläche.
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