Tuesday, February 17, 2009

Dongbei, dongbei, Peng Zou, 2009 (Berlinale Nachlese 2)

Unaufdringliche Einstellungen, in die sich kleine Irritationen einnisten: Ein Gespräch auf der Straße wird von einem zunächst scheinbar willkürlichen Standort gefilmt, irgendwann laufen die Figuren direkt auf die Kamera zu, schlagen dieser die Tür vor der Nase zu und fahren los. Ein leises Brummen wird rückwirkend als der Automotor im Stand-by-Modus identifiziert.
Ein Frau in Großaufnahme mit Lustschreien auf den Lippen. Im Anschluss an eine vorherige Szene hält man das zunächst für Masturbation, irgendwann greift eine Hand ihr Gesicht. Zunächst hält man die für ihre eigene, dann sieht man wegen des Winkels, dass das nicht sein kann. Ob es sich um eine Männer- oder eine Frauenhand handelt, erkennt man erst nach einem kleinen Schwenk.
In einer Küche steht ein junger Mann und macht sich an den Küchengeräten zu schaffen. Im Hintergrund Gestöhne. Es hört sich an wie ein Pornofilm, doch wo der Fernseher steht, verrät der Film nicht, er deutet es nocht einmal an. Weder der Mann, noch seine beiden Kumpels, die später hinzutreten, wenden sich um oder lassen sich sonst etwas anmerken. Das kann durchaus auch ein Paar im Nebenzimmer sein.
Manchmal steckt die Irritation schon im Profilmischen: Die Hauptfigur Xiao Xue steppt in High Heels über glänzende Eisquader, die von Arbeitern mit einer Maschine zurecht geschnitten werden. Das sieht ganz großartig bizarr aus.
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Um junge, mondän aufgetane Menschen in der chinesischen Provinz geht es. Und gleichzeitig, das machen erst die allerletzten Einstellungen deutlich, um einen Abschied von dieser Provinz. Wohin die Reise geht, lässt der Film offen, doch ganz am Anfang unterhalten sich zwei blonde Russinnen (auch die sind zu den unaufdringliche Irritationen zu zählen, mit denen der Regiedebütant Zou Peng so meisterhaft umgeht) über ihre Abreise in Richtung Peking. Gut möglich, dass die letzte Reise des Films dasselbe Ziel hat.
Dazwischen nur Fragemente von Erzählungen. Liebschaften, Familienstreit, eine Schwangerschaft. Und immer wieder leitmotivisch (höchstwahrscheinlich, auch weil immer aus exakt derselben Perspektive gefilmt) dokumentarische Aufnahmen einer schräge Bühnenshow, die ganz und gar Provinz ist: Ein (sehr sympathischer) tätowierter Muskelmann und eine (ebenfalls sympathische) singende Schlangenfrau machen Unsinn und sind stets mit ganzem Herzen und voller Stimme bei der Sache, egal, ob sie kitschige Schlager intonieren, oder sich Pfannen gegen den Kopf schlagen. Wie manches andere im Film erinnert das an Jia Zhang-ke, konkret an dessen wahrscheinlich immer noch besten Film Platform.
Die kleinen Irritationen verleihen dem gesamten Film einen Hauch des Uneigentlichen, der im Moment der Abreise rückwirkend als eine dieser Abreise real vorauseilende Nostalgie für ein Leben in der Provinz, das man in dem Moment, in dem man sich zur Abreise entschlossen hat, schon nicht mehr authentisch führt, lesbar wird. Noch ist man hier und doch ist man es schon nicht mehr ganz. Die dokumentarischen Aufnahmen der Showbühne sind frei von irritierenden Momenten und werden zum Realitätscheck.
Ein toller Film!

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