Wahrscheinlich ist es nicht besonders sinnvoll, den ersten Langfilm Antonionis vor allem auf Spuren der späteren, kanonischen Antonioni-Ästhetik zu befragen und das, was nicht in dieser aufgeht, als vernachlässigbaren Überschuss abzutun. Dennoch scheint mir zumindest der Noir-Plot (der recht leicht als James M. Cain-Variation zu identifizieren ist, nicht nur, weil Massimo Girotti seine Rolle aus Ossessione wieder aufgreift), der den Film auf den ersten Blick prägt, etwas zu sein, was - auf interessante Art - von außen in das Antonionische Werk hineinragt. In der Tat tritt der Detektiv, der in den Film einführt und in der Vergangenheit Paolas stöbert, bald in den Hintergrund, taucht eher pflichtschuldig alle Viertelstunde kurz auf, führt ein Telefonat oder schreibt einen Brief und verschwindet wieder. Am Ende desintegriert die Kriminalerzählung völlig: Ob das Knallen in der Dunkelheit ein platzender Autoreifen ist oder der Schuss einer Pistole, interessiert den Film ganz einfach nicht mehr.
Es kommt mir so vor, als ob Antonioni in Cronaca di un amore sein Material noch nicht vollständig unter Kontrolle hat. Die einzelnen Elemente stehen noch etwas quer: der erwähnte Noir-Plot, die neorealismo-Zeichen, um die man in einem ambitionierten italienischen Film aus dem Jahr 1950 wohl einfach nicht herum kommt, schließlich das zentrale Charakterdrama, das sich zwischen Paola (Lucia Bosé) und Girottis Guido entfaltet. Der Film stellt heterogenes Material gegen- und nebeneinander, ist aber deswegen nicht ein bisschen chaotisch. Das zentrale bourgeoise Melodram ist hier über die Biografie der Hauptfigur noch an eine neorealistisch konnotierte working-class-Vergangenheit angebunden (auch in Le amiche, einem weiteren frühen, freilich weitaus weniger gelungenen Antonioni, findet sich ein ähnliches Motiv, das Antonioni in die Nachbarschaft Rossellinis rückt; allein seine beiden Kurzfilme N.U. und Gente del Po machen deutlich, dass der Regisseur vom nerorealismus nocht nur beeinflusst, sondern einer seiner Protagonisten war). Die beiden sozialen Sphären fügen sich nicht harmonisch in-, sondern stehen schroff nebeneinander. Genauer: man benötigt schon einen Privatdetektiv, um sie gemeinsam in den Blick zu bekommen. (Der Privatdetektiv im klassischen Hard-Boiled-Roman hat btw gelegentlich eine ähnliche Funktion; bei Chandler und Hammet eher nebenbei, bei Ross Macdonald viel expliziter.)
Großartig sind schon in diesem ersten Film die Sequenzen, die das Herzstück des Antonionischen Werkes darstellen: Die Dialoge der beiden sich immer wieder ver- und entliebenden Hauptfiguren, aufgelöst in Szenen mit jeweils sehr wenigen, fließenden Kameraeinstellungen. Deren schönste beschreibt einen 180°-Drehung auf einer Brücke in einer einzigen Einstellung. Eine andere derartige Szene ist um den Aufzugsschacht eines Treppenhauses herum konstruiert, die meisten spielen in Schlafzimmern. Anders als in der Eröffnungssequenz von L'eclisse gibt es in Cronaca di un amore nur wenig, was zwischen das Paar gerät. Dominiert werden die Zimmer von den jeweiligen Betten. Mal liegt er darauf, mal sie, mal keiner, selten beide.
Die Art, wie sich die Kamera zu den beiden Figuren verhält, ähnelt dem Verhältnis der Figuren zueinander. Beide Verhältnisse sind konstant nur in ihrem Wandel. Die langen Einstellungen setzen nicht nur zwischenmenschliche Verhandlungen ins Bild, sie stellen selbst Verhandlungen dar. Verhandlungen über Natur, Sinn und Zweck von Kommunikation, über die Voraussetzungen und Bedingungen der sozialen Konventionen, in denen sich Liebe zwangsläufig artikulieren muss. Verhandlungen durch stetiges Reframing. Mal liegen beide nebeneinander, mit den Rücken zur Kamera, dann stehen sie sich gegenüber, oder sie stehen hintereinander, sie hat den Kopf abgewandt, er insistiert auf der eigenen Präsenz, die Kamera folgt den Figuren nicht einfach, sie verhält sich in ihren Bewegungen zu ihnen.
Das Folgende mag banal klingen oder auch sein, egal: Dass es in Antonionis Filmen um von sich selbst und von anderen entfremdete Individuen, um "leeren Raum" und misslingende Kommunikation geht, dieses Klischee stimmt nicht einmal im Fall von L'eclisse oder L'avventura. Antonionis Räume sind nur selten leer und erst recht nicht ist diese Leere jemals einfach nur nihilistisch / existentialistischer Kommentar, Versinnbildlichung einer anderen, inneren, psychischen Leere. Antonionis Räume sind soziale Räume, von denen die Illusion ihrer unproblematischen Lesbarkeit abgezogen ist, die aber dennoch nie außerhalb von Sinn und Bedeutung stehen. Noch weniger zeigen die Filme einfach nur das Misslingen / die Abwesenheit von Kommunikation. Statt dessen zeigen sie Kommunikation als das, was sie ist: als einen sozialen Prozess mitsamt Redundanzen und Rauschen, als einen Prozess vor allem, an dem mindestens zwei menschliche Körper im physikalischen Raum beteiligt sind. Dieser Prozess verlangt bei Antonioni nach der Plansequenz und nicht nach der Montage, weil letztere tendenziell von Körpern und Räumen zugunsten einer "reinen" Bedeutung abstrahiert. (Die Montage bleibt dem Film weitgehend äußerlich, wenn einige Schnitte eine direkte Analogie zwischen dem Mann und dem Liebhaber nahelegen, wird diese im weiteren Verlauf nie eingeholt.) Gerade die Art Gespräch, die Antonioni bevorzugt, könnte in entkörperlichter und enträumlichter Form automatisch auch keine genuine Bedeutung mehr transportieren. Das heißt auch: der Vulgärexistenzialismus, den sich die Filme - allen voran I vinti - selbst auf die Fahnen schreiben, bleibt ihnen in letzter Instanz ebenso äußerlich wie die Vulgärpsychoanalyse den Filmen Hitchcocks.
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