Wahrscheinlich sind in den letzten zwei Jahrzehnten nicht nur Dutzende, sondern Hunderte Filme dieser Art entstanden: mittelbüdgetierte "Schauspielerfilme" mit lose organisierter Plots, keine echten Genrefilme mehr, aber doch noch irgendwie Genremischmasch, das irgendwie nach Tarantino riecht aber natürlich nur sehr schlecht beim Original abgeschaut ist, episodisch, inkonsequent, nur soweit ironisch, wie der Schlenker in Richtung Alltagspoesie / wertkonservatives Pathos / kunstgewerblicher Kitsch im weiteren Verlauf noch problemlos möglich bleibt. Starring roles im Ensemblecast ermöglichen Filme dieser Art für diejenigen Hollywoodsternchen aus der eineinhalbsten Reihe, für die es zum echten leading man / zur echten leading lady doch nicht ganz reicht (hier: Danny Aiello und Teri Hatcher, letztere hätte freilich den großen Durchbruch auch außerhalb des Fernsehens längst verdient, Charlize Theron taucht auch auf, in einer ihrer ersten größeren Rollen und noch vor ihrem Durchbruch).
2 Days in the Valley ist ein wahrscheinlich nicht einmal ganz besonders schlimmes Beispiel für die neue Dutzendware des Post-Genrekinos. Das amerikanische Kino war schon immer character driven, aber früher gab es neben dem character noch die Welt / Gesellschaft und ein Genresystem, das zwischen beiden vermittelt. In einem Film wie 2 Days in the Valley ist nur noch der character übrig geblieben. Alle relevanten Figuren "entwickeln sich", werden auf die eine oder andere Weise auf die Probe gestellt; alle Figuren (außer der einen, die sterben muss und trotzdem nicht viel interessanter ist; auch der Schurke braucht ein Weltverhältnis, um als Projektionsfläche zu funktionieren) bestehen die Probe und werden erlöst. Nominell geht es im Film unter anderem um einen Raubmord, um Verrat und um Berufsethos, aber die Intrige und die Figuren bleiben sich gegenseitig äußerlich. Die Figuren werden nicht herausgefordert, sie werden mit nichts konfrontiert außer mit dem eigenen Dämon, der ihnen vom Drehbuch von Anfang an auf den Leib geschrieben wurde (hier: u.a. Selbstmordgedanken, naiver Ehrgeiz, Minderwertigkeitskomplexe). An Durschnittsproduktionen wie dieser kann man den Wandel - oder leider wohl genauer: den langsamen Niedergang - des kommerziellen amerikanischen Kinos vermutlich exakter ablesen, als an den großen Produktionen, in denen es immer viel Überschuss und Idiosynkrasie gegeben hat. Noch bis in die Achtziger überlebte neben den Blockbustern und den großen Starvehikeln ein ausdifferenzertes, kontinuierliches Genresystem, heute gibt es Filme der Art von 2 Days in the Valley; ein System kann man auf sie nicht gründen, weil sie kein Verhältnis haben können zu den anderen Filmen um sie herum. Sie zerrinnen einem unter den Fingern.
Wednesday, March 23, 2011
Monday, March 21, 2011
Lin Jia Pu Zi / The Lin Family Shop, Shui Hua, 1959
In den letzten Wochen habe ich eine ganze Reihe chinesischer Filme der Dreißiger bis Sechziger Jahre angesehen, zwecks Vorbereitung einer Filmreihe, die im Frühjahr nächsten Jahres im Kino Arsenal stattfinden wird (mehr hier). Der vielleicht außergewöhnlichste Film, auf den ich bisher gestoßen bin, ist The Lin Family Shop von Shui Hua. Der Film stamm aus dem Jahr 1959 und damit aus einer Phase der chinesischen Filmgeschichte (die die zehn Jahre zwischen der Hundert-Blumen-Bewegung und dem Beginn der Kulturrevolution umfasst), in der das Kino sich ein wenig von der Staatspropaganda emanzipieren konnte.
Wie viele Filme dieser Zeit siedelt auch The Lin Family Shop seine Handlung in den Dreißiger Jahren an, vor Welt- und Bürgerkrieg; damit auch in der Zeit, in der das chinesische Kino sein erstes goldenes Zeitalter erlebte, hauptsächlich Dank des "leftist movements", der sozialkritischen Melodramen von Fei Mu, Sun Yu und ihrer Kollegen. Die VRC bleibt in diesen Filmen natürlich als Horizont und Rahmung gegenwärtig, in einigen - allerdings nicht in The Lin Family Shop - marschieren dann am Ende auch jubelnde Proletarier durch die Straßen und befreien die Hauptfiguren von ihrem Unglück; die interessantesten Filme der Zeit sind allerdings gerade nicht Heldenmythologien und geradlinige Erlösungsfantasien. Die Filme der dritten Generation etablieren damit eben gerade kein genuin maoistisches Kino, dem ein grundlegend neues, inniges Verhältnis von proletarischer Staatsmacht und Ästhetik zugrunde liegt. Eher kann man sie als reflektierte Fortschreibungen der chinesischen Filmgeschichte und ihrer Beschäftigung mit Macht, Tradition, Gender über den historischen Bruch hinweg beschreiben.
Die Filme der späten Fünfziger und frühen Sechziger sind nicht radikaler, sondern ganz im Gegenteil geordneter, ordentlicher. In The Lin Family Shop sind die melodramatischen Spitzen eines Sun Yu gebrochen, gleichzeitig hat sich die Idee von Urbanität gewandelt. Die Logik des Studios durchaus im Sinne Hollywoods als einer Zähmung des Gewusels, das den Zusammenbruch ständischer Ordnung begleitet im grafisch geordneten, in der Farbskala abgehefteten Bild hat auch in China ihre Entsprechung gefunden. Die rauhen, quasidokumentarischen Bilder zB aus The Goddess verschwinden parallel mit den falschen Bärten der Räuberpistole (Loving Blood of the Volcano heißt ein schöner Film Sun Yus aus den Dreißigern, derartige Titel kommen später nicht mehr vor). Viel los ist auch in The Lin Faily Shop (ein Film über Gemeinschaft, nicht über Vereinzelung), aber doch weiß jeder Komparse in jedem Moment, was er zu tun und was er zu lassen hat.
The Lin Family Shop ist dann allerdings ein Film über den Kapitalismus von einer Klarsicht, wie man sie in den älteren Filmen doch eher nicht findet. Fast der gesamte Film spielt direkt im titelgebenden Family Shop, weiter als zu den neidisch herüber schielenden Nachbarn entfernt sich der Film selten. Kaum einen Film kenne ich, in dem soviel gehandelt wird, in dem derart konsequent die Waren und ihr Wert im Zentrum stehen. Historische Ereignisse werden konsequent auf ihre ökonomischen Folgen abgeklopft. Aus dem Einmarsch der Japaner in der Mandschurei zum Beispiel entsteht für die Familie Lin vor allem anderen ein Geschäftsmodell - sie versorgt die Flüchtlinge mit "Waren für den täglichen Bedarf", die sie, im Gegensatz zur Konkurrenz nebenan, reichlich auf Lager hat. Und der anschwellende Nationalismus schlägt sich in Boykottaufrufen gegen angebliche oder tatsächliche ausländische Produkte nieder.
Zwar ist der Film zweifellos eine Chronik des Niedergangs eines Unternehmens sowie einer Familie und gleichzeitig des Scheiterns eines Gesellschaftssystems. Doch woran Unternehmen / Familie / Gesellschaft scheitern, das erläutert der Film weit weniger eindeutig. Wenn der Kapitalismus schuld trägt, dann als System, nicht etwa deswegen, weil einige Bösewichte dem Lin-Clan ans Leder wollen. Hinter den Bossen stehen weitere Bosse, das erkennt das Lin-Familienoberhaupt schnell, individuelle Schuldzuschreibungen werden, einigen melodramatischen Schlenkern gegen Ende des Films zum Trotz, stets und gründlich ausgebremst. Doch wie weit die systemischen Probleme, die der Film offen legt, tatsächlich und ausschließlich die Probleme des Kapitalismus sind, das ist eine ganz andere Frage, zu der sich Shui Hua nicht wirklich verhält. Ganz im Gegenteil setzt er in den Verkaufsszenen die Lust am reinen, "marktradikalen" money making vor seiner Korruption durch Monopolisierung und Polizei mit erstaunlicher Sympathie ins Bild. Dass eine solche Unterscheidung einer marxistischen Kritik nicht standhält: klar. Umso interessanter, dass der Film sie dennoch trifft.
Wie viele Filme dieser Zeit siedelt auch The Lin Family Shop seine Handlung in den Dreißiger Jahren an, vor Welt- und Bürgerkrieg; damit auch in der Zeit, in der das chinesische Kino sein erstes goldenes Zeitalter erlebte, hauptsächlich Dank des "leftist movements", der sozialkritischen Melodramen von Fei Mu, Sun Yu und ihrer Kollegen. Die VRC bleibt in diesen Filmen natürlich als Horizont und Rahmung gegenwärtig, in einigen - allerdings nicht in The Lin Family Shop - marschieren dann am Ende auch jubelnde Proletarier durch die Straßen und befreien die Hauptfiguren von ihrem Unglück; die interessantesten Filme der Zeit sind allerdings gerade nicht Heldenmythologien und geradlinige Erlösungsfantasien. Die Filme der dritten Generation etablieren damit eben gerade kein genuin maoistisches Kino, dem ein grundlegend neues, inniges Verhältnis von proletarischer Staatsmacht und Ästhetik zugrunde liegt. Eher kann man sie als reflektierte Fortschreibungen der chinesischen Filmgeschichte und ihrer Beschäftigung mit Macht, Tradition, Gender über den historischen Bruch hinweg beschreiben.
Die Filme der späten Fünfziger und frühen Sechziger sind nicht radikaler, sondern ganz im Gegenteil geordneter, ordentlicher. In The Lin Family Shop sind die melodramatischen Spitzen eines Sun Yu gebrochen, gleichzeitig hat sich die Idee von Urbanität gewandelt. Die Logik des Studios durchaus im Sinne Hollywoods als einer Zähmung des Gewusels, das den Zusammenbruch ständischer Ordnung begleitet im grafisch geordneten, in der Farbskala abgehefteten Bild hat auch in China ihre Entsprechung gefunden. Die rauhen, quasidokumentarischen Bilder zB aus The Goddess verschwinden parallel mit den falschen Bärten der Räuberpistole (Loving Blood of the Volcano heißt ein schöner Film Sun Yus aus den Dreißigern, derartige Titel kommen später nicht mehr vor). Viel los ist auch in The Lin Faily Shop (ein Film über Gemeinschaft, nicht über Vereinzelung), aber doch weiß jeder Komparse in jedem Moment, was er zu tun und was er zu lassen hat.
The Lin Family Shop ist dann allerdings ein Film über den Kapitalismus von einer Klarsicht, wie man sie in den älteren Filmen doch eher nicht findet. Fast der gesamte Film spielt direkt im titelgebenden Family Shop, weiter als zu den neidisch herüber schielenden Nachbarn entfernt sich der Film selten. Kaum einen Film kenne ich, in dem soviel gehandelt wird, in dem derart konsequent die Waren und ihr Wert im Zentrum stehen. Historische Ereignisse werden konsequent auf ihre ökonomischen Folgen abgeklopft. Aus dem Einmarsch der Japaner in der Mandschurei zum Beispiel entsteht für die Familie Lin vor allem anderen ein Geschäftsmodell - sie versorgt die Flüchtlinge mit "Waren für den täglichen Bedarf", die sie, im Gegensatz zur Konkurrenz nebenan, reichlich auf Lager hat. Und der anschwellende Nationalismus schlägt sich in Boykottaufrufen gegen angebliche oder tatsächliche ausländische Produkte nieder.
Zwar ist der Film zweifellos eine Chronik des Niedergangs eines Unternehmens sowie einer Familie und gleichzeitig des Scheiterns eines Gesellschaftssystems. Doch woran Unternehmen / Familie / Gesellschaft scheitern, das erläutert der Film weit weniger eindeutig. Wenn der Kapitalismus schuld trägt, dann als System, nicht etwa deswegen, weil einige Bösewichte dem Lin-Clan ans Leder wollen. Hinter den Bossen stehen weitere Bosse, das erkennt das Lin-Familienoberhaupt schnell, individuelle Schuldzuschreibungen werden, einigen melodramatischen Schlenkern gegen Ende des Films zum Trotz, stets und gründlich ausgebremst. Doch wie weit die systemischen Probleme, die der Film offen legt, tatsächlich und ausschließlich die Probleme des Kapitalismus sind, das ist eine ganz andere Frage, zu der sich Shui Hua nicht wirklich verhält. Ganz im Gegenteil setzt er in den Verkaufsszenen die Lust am reinen, "marktradikalen" money making vor seiner Korruption durch Monopolisierung und Polizei mit erstaunlicher Sympathie ins Bild. Dass eine solche Unterscheidung einer marxistischen Kritik nicht standhält: klar. Umso interessanter, dass der Film sie dennoch trifft.
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Aufschreibesysteme
Gut gefallen würde es mir, wenn Musikstücke in ihrer musikalischen Notation in Filmkritiken zitiert würden (ansonsten tun das zwar nicht nur Musikwissenschaftler, sondern zB auch Friedrich Kittler an einer Stelle in Grammophon Film Typewriter, aber insgesamt doch viel zu wenige). Das Wissen, das eine solche Praxis vorauszusetzen scheint, würde sie ganz im Gegenteil selbst schaffen können. Die im Kino wie im Alltag allgegenwärtige Musik würde durch das Notensystem nicht beherrschbar, aber in Maßen verfügbar gemacht, die teilanalogen Notationszeichen würden als Fremdkörper in das rein symbolische alphabetische Schriftsystem eindringen. Im Falle von Conviction zum Beispiel, einem okayen Justizdrama von Tony Goldwyn, würde ich dann die ersten paar Gitarren-Dreiklänge zitieren, die über den ausgewaschenen Amerikana-Bildern der Eingangssequenz liegen. Drei, vier notierte Takte würden bei etwas Übung zahllose ähnliche Filmmusikeingagnsharmonien aufrufen, einen sehr exakten Stimmungseindruck vermitteln und den Text der Filmkritik auf interessantere Weise erweitern als zB ein Szenenbild.
Wednesday, March 09, 2011
Berlinale 2011: Himmel und Erde, Michael Pilz, 1982
Himmel und Erde will zuerst eine möglichst komplette, vielseitige Bestandsaufnahme einer Existenzform sein, die oft wie aus der Zeit gefallen scheint. Äcker werden umgepflügt, die Saat wird eingepflanzt, schließlich wird geerntet. Die Technik, die zum Einsatz kommt, könnte teilweise direkt aus dem Mittelalter stammen: von Pferden gezogene Pflüge und Eggen, nur wenig Motorisiertes, die Kartoffeln sammelt die Bauersfrau von Hand ein. Zwei Schweine werden vor der Kamera geschlachtet, immer wieder wird die Milch ausgefahren, einmal geht es zur Viehauktion, es gibt religiöse Feste, eine Beerdigung. Dazu Aufnahmen der einfachen, funktionalen Dingwelt der Bergbauern - Türen, Fensterrahmen, Scharniere und so weiter - sowie von alltäglichen Gesten, außerdem stilisierte Bewegungsstudien vor allem der kleinen Kinder beim Spiel, des Jungen auf der Autoreifenschaukel.
Zwischen und neben den Beobachtungen stehen verschiedene Formen von Selbstinszenierungen der Gefilmten, Eingriffe des Süjets in, Übergriffe auf den Film. Einen Bauer fragt Michael Pilz, wo er denn am liebsten sein Porträt aufgenommen hätte. Vor dem Hof, meint der alte Mann, im Hintergrund sollen auch die Berge und ein Bergsee zu sehen sein. Er könnte auch sagen: vor meinem ganzen Leben möchte ich gefilmt werden. Im zweiten Teil wird dieser Moment noch einmal aufgegriffen, detaillierter wird gezeigt, wie sich der Alte die Bildkomposition vorstellt.
Es gibt auch kompliziertere Anordnungen, die spielerisch soziales Selbstverständnis verhandeln. In der Schule: zwei Jungen sollen den ersten Teil eines Theaterprojekts aufführen. Später sollen andere, erklärt der Lehrer, an das, was sie tun, anschließen. Der eine der beiden sitzt auf einem Stuhl, hat einen Bleistift wie eine Pfeife zwischen den Zähnen. Das ist der Großvater. Der andere steht seitlich hinter ihm und beginnt, wild auf ihn einzureden. Das ist der Vater. Der Vater fordert den Großvater auf, das Haus zu verlassen, es sei kein Platz mehr, die Mutter werde bald “niederkommen”, es gebe keinen Platz mehr für den Alten. Der Großvater sieht das nicht ein. Es gebe doch das Bett, auf dem könne er doch schlafen. Das Bett, sagt der Vater, das müsse raus. Das geht so eine Weile, keiner der beiden Jungen gibt sich so schnell geschlagen, der Wortwechsel wird zunehmend abstruser; schließlich gibt es einen Schnitt auf einen alten Mann, einen echten Großvater, mit Pfeife im Mund. Das ideologische Selbstverständnis entsteht erst und offenbart sich ausschließlich im Spiel, in der performativen Verdopplung von Lebenszusammenhängen, an denen nie ihre Ursprünglichkeit interessiert. Eine sonderbare Form von Ideologiebildung ist das, erst recht, wenn man sie in Zusammenhang sieht mit der körperlosen Voice-Over-Stimme, die spirituell-konservative Philosophie rezitiert, dabei aber niemanden anruft, sondern sich als Emanation der Bilder selbst gibt.
Es gibt im letzten Drittel des Films einige vermeintlich natürliche Schließungen. Die Ernte ist eingefahren, einer der Porträtierten ist gestorben, lange zeigt Pilz einen Beerdigungszug. Himmel und Erde will dann ganz am Ende aber doch nicht einfach auf den vollendeten Erntezyklus = Lebenszyklus hinaus. Statt dessen gibt es eine Serie von Rückbezügen auf frühere Szenen und Momente im Film, Wiederbefragungen einzelner Körper, Worte, Töne.
Zwischen und neben den Beobachtungen stehen verschiedene Formen von Selbstinszenierungen der Gefilmten, Eingriffe des Süjets in, Übergriffe auf den Film. Einen Bauer fragt Michael Pilz, wo er denn am liebsten sein Porträt aufgenommen hätte. Vor dem Hof, meint der alte Mann, im Hintergrund sollen auch die Berge und ein Bergsee zu sehen sein. Er könnte auch sagen: vor meinem ganzen Leben möchte ich gefilmt werden. Im zweiten Teil wird dieser Moment noch einmal aufgegriffen, detaillierter wird gezeigt, wie sich der Alte die Bildkomposition vorstellt.
Es gibt auch kompliziertere Anordnungen, die spielerisch soziales Selbstverständnis verhandeln. In der Schule: zwei Jungen sollen den ersten Teil eines Theaterprojekts aufführen. Später sollen andere, erklärt der Lehrer, an das, was sie tun, anschließen. Der eine der beiden sitzt auf einem Stuhl, hat einen Bleistift wie eine Pfeife zwischen den Zähnen. Das ist der Großvater. Der andere steht seitlich hinter ihm und beginnt, wild auf ihn einzureden. Das ist der Vater. Der Vater fordert den Großvater auf, das Haus zu verlassen, es sei kein Platz mehr, die Mutter werde bald “niederkommen”, es gebe keinen Platz mehr für den Alten. Der Großvater sieht das nicht ein. Es gebe doch das Bett, auf dem könne er doch schlafen. Das Bett, sagt der Vater, das müsse raus. Das geht so eine Weile, keiner der beiden Jungen gibt sich so schnell geschlagen, der Wortwechsel wird zunehmend abstruser; schließlich gibt es einen Schnitt auf einen alten Mann, einen echten Großvater, mit Pfeife im Mund. Das ideologische Selbstverständnis entsteht erst und offenbart sich ausschließlich im Spiel, in der performativen Verdopplung von Lebenszusammenhängen, an denen nie ihre Ursprünglichkeit interessiert. Eine sonderbare Form von Ideologiebildung ist das, erst recht, wenn man sie in Zusammenhang sieht mit der körperlosen Voice-Over-Stimme, die spirituell-konservative Philosophie rezitiert, dabei aber niemanden anruft, sondern sich als Emanation der Bilder selbst gibt.
Es gibt im letzten Drittel des Films einige vermeintlich natürliche Schließungen. Die Ernte ist eingefahren, einer der Porträtierten ist gestorben, lange zeigt Pilz einen Beerdigungszug. Himmel und Erde will dann ganz am Ende aber doch nicht einfach auf den vollendeten Erntezyklus = Lebenszyklus hinaus. Statt dessen gibt es eine Serie von Rückbezügen auf frühere Szenen und Momente im Film, Wiederbefragungen einzelner Körper, Worte, Töne.
Tuesday, March 01, 2011
Al St. John
Al St. John ist in Roscoe "Fatty" Arbuckles two-reelers zweiter supporting player, neben Buster Keaton. Es hat oft etwas Rührendes, wie zwischen dem kindisch verspielten Egomanen Fatty und dem eleganten Buster dieser grob überschminkte Tölpel in Clownshosen auftaucht. Noch ganz nah am Jahrmarkt ist diese Figur, jede Geste wirkt hoffnungslos überzogen, St. John hat etwas Maschinelles, Vorsubjektives. Kurzgeschlossene Bewegungsbild-Verschaltungen, wo bei Fatty und vor allem bei Buster Keaton schon Selbstreflexion einsetzt. Manchmal wirkt es grausam, wie die Filme mit Al St. John umgehen. In The Cook unterbricht er eine der schönsten Selbstinszenierungen Fattys und Busters (nicht mehr bloße Reaktionen auf gegebene Situationen, sondern fantsamatische Hervorbringungen, mehr oder weniger aus dem Nichts), er macht Krawall und wird dann von einem Hund durch die Stadt gejagt, während die anderen beiden Spaghetti essen. Dem offensichtlich gut dressierte Hund zollt der Film in dieser Verfolgungsjagd fast mehr Aufmerksamkeit, als dem Verfolgten, der, nachdem er entkommen ist, ein-, zweimal in die Luft springt und verschwindet, ohne Spuren zu hinterlassen.
Von den ungefähr 100 B-Western, in denen St. John den "Fuzzy" spielt, habe ich, glaube ich, noch keinen einzigen gesehen. Lediglich seinen Vorgänger (?) Fuzzy Knight habe ich in einigen frühen Hathaway-Filmen entdeckt.
Von den ungefähr 100 B-Western, in denen St. John den "Fuzzy" spielt, habe ich, glaube ich, noch keinen einzigen gesehen. Lediglich seinen Vorgänger (?) Fuzzy Knight habe ich in einigen frühen Hathaway-Filmen entdeckt.
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