Wednesday, November 02, 2011

Late Kurosawa

Schwer zu verarbeiten, manchmal schwer zu ertragen waren für mich die beiden letzten Filme Akira Kurosawas, Rhapsody in August und Madadayo. Ihre Schönheit wirft mich um, aber was für eine Schönheit ist das? Die politics beider Filme verabscheue ich aus ganzem Herzen, aber was bedeutet das für die Schönheit (ihren Status im Film)? Ein Komplize der Politik ist sie nicht so ohne weiteres, aber stellt sie sich ihr deswegen schon entgegen?
Die Filme sind nicht einfach nur sehr offensichtlich konservativ und restaurativ, darüber hinaus ist ihnen ein fragwürdiger erinnerungspolitischer Einsatz gemeinsam, der in beiden Fällen darauf hinausläuft, den von Japan verschuldeten Pazifikkrieg zu verdrängen und wo das nicht geht, zu naturalisieren und die Täter mit der derart von der Geschichte bereinigten Geschichte zu versöhnen (als leidende Objekte). In Rhapsody in August werden die Atombombenabwürfe nicht dem japanischen Faschismus, ja noch nicht einmal den Amerikanern (nach deren Motiven man dann fragen müsste), sondern "dem Krieg" zur Last gelegt und dadurch ebenfalls der Geschichte entrissen. (Damit man nicht falsch versteht: Ich habe kein Problem damit, dass Kurosawa zeigt, dass und wie der Toten in Nagasaki gedacht wird, das sind ergreifende Darstellungen nachvollziehbarer Trauer, es geht mir um den erkennbaren Willen zur selektiven Wahrnehmung von Geschichte, um die immense Verdrängungsleistung, die sich direkt in den Dialogen manifestiert.)
In Madadayo zerstört "der Krieg" das Haus der Hauptfigur, eines Deutschprofessors, wie eine Naturkatastrophe. Wenn dann kurz nach dem Krieg der Professor und seine ehemaligen Schüler hinter fetten Biergläsern und vor mit deutschsprachigen Plakaten geschmückten Wänden sitzen, der gemeinsamen Universitätszeit gedenken und sich über Korruption und moralischen Verfall in der Besatzungszeit lustig machen, erkennt der Film in keiner Weise den fast schon grotesk reaktionären Charakter der Veranstaltung, die er da skizziert, an. Im Alkoholrausch werden die strengen Hierachien gerade in ihrer Überschreitung wieder und wieder bestätigt. Später, bei der zweiten Feier, sind Frauen und Töchter mit dabei, die Gesellschaft hat sich demokratisiert, allerdings unter zutiefst autoritären Vorzeichen. Das ewige "madadayo" ("noch nicht") des Titels ist überwunden.
Der dynamische Erneuerer, Modernisierer - nach amerikanischem Vorbild - des japanischen Kinos war Kurosawa zu Beginn der Neunziger Jahre schon lange nicht mehr. Schon spätestens Dodeskaden (1970) (wo Kurosawa die verschiedenen Episoden nicht synthetisiert, sondern als ein Panorama präsentiert: das hier gibt es, das hier gibt es und dann gibt es auch noch das hier) weist in eine fast entgegengesetzte Richtung, auf ein Kino jenseits der narrativen Integration, bei dem Kurosawa erst mit seinem allerletzten Film vollends anlangt. In Rhapsody in August gibt es noch als Klammer einen festen Zeithorizont - die Sommerferien - und ein Spannungsmoment (wird die Familie nach Amerika fahren?), die einzelnen Szenen, gerade die langen, fast durchweg mit statischer Kamera gefilmten Gespräche der Enkel untereinander und mit der Großmutter, stehen dennoch immer zuerst für sich selbst und außerhalb der Zeit. Die ständig wiederkehrenden schiefen Klänge der verstimmten Orgel, auf der der älteste Enkel fast zwanghaft alle paar Minuten verschiedene Melodien ausprobiert, isolieren das traditionelle Haus der Großmutter vom Rest der Welt. Madadayo setzt dann nur noch eine Handvoll langer, unbehauen wirkender Blöcke hintereinander: Krieg, Kriegsende, erste Feier, Tod der Katze, zweite Feier.
Kurosawa übertreibt in jedem Abschnitt: zu viele Details, zu viele Trinksprüche, zu viele emotionale Exzesse, zu viel Liebe für die Hauptfigur (und in der einen bösartigen Szene des Films dann viel zu viel Hass für den Grundstückspekulanten, der ein Hochhaus vor deren Nase bauen möchte). Die Katzenepisode gehört zum schönsten, was ich im Kino dieses Jahr gesehen habe. In einer besonders tollen Einstellung schleicht das Tier im Hintergrund herum, eigensinnig und ohne Sinn für Kadrierung oder Drama. Bald darauf zähmt der Film die Katze mit Hilfe einer Zeitlupe, danach ist sie verschwunden und vermutlich tot.
In beiden Filmen tritt die Musik Vivaldis (in Rhapsody in August "Stabat Mater", in Madadayo das zweite Konzert aus dem "L'estro Armonico"-Zyklus) in einigen, wenigen Momenten von außen an die Bilder. Auch, weil es nichts in den Filmen gibt, an was sie direkt andocken könnten (keine throw-away-Landschaftsaufnahmen zum Beispiel), kann man sich dieser Musik nicht entziehen, man muss sich auf sie um ihrer selbst willen einlassen.
Das mag alles geeignet sein, die ideologische Schlichtheit der Filme zu verkomplizieren, aber das genügt nicht, glaube ich. Nicht so recht zu fassen bekomme ich auch über solche Gedanken das, was mich an der Schönheit der Filme zutiefst verstört hat.

2 comments:

Michel said...

Ich glaube, du missverstehst Kurosawa da, was seine ideologischen Standpunkte angeht, bzw. die verwechselst die Ideologien der Figuren mit denen des Regisseurs. Wie es in der Alex-Cox-Doku über Kurosawa so schön hieß: "Madadayo ist kein sentimentaler Film. Es ist ein Film über Sentimentalität."

Dass die offensichtliche Verdrängungsarbeit der Figuren in "Rhapsodie im August" nicht der Standpunkt des späten Kurosawas ist, hat er ja ein Jahr zuvor in "Träume" mehr als deutlich gemacht, wenn ein Kriegsveteran sich im Angesicht seiner toten Untergebenen eingesteht, dass die abstrakte Schuld des Krieges niemals Ausrede für persönliches Handeln sein darf.

Die Ideologie des Großmutter aus "Rhapsodie" wird in der vieldeutigen Schlussszene ja mehr als deutlich hinterfragt. Letztendlich ist "Rhapsodie" aber ein Film über Versöhnung. Und Kurosawa ist in diesem Sinne auch viel zu schlau, um auf irgend jemanden mit dem Finger zu zeigen. Für ihn ist es da einfach irrelevant, wer für den Atombombenabwurf verantwortlich ist. Wichtig ist, dass Menschen darunter gelitten haben und immer noch leiden. Und selbst wenn man die Vergangenheit nicht ändern kann, kann man doch wenigstens das Leid in der Gegenwart verringern.

Natürlich kann man sich fragen, ob das Ausklammern der historischen Verantwortung dafür ein adäquates Mittel ist, aber ein interessanter Punkt in dem Film ist ja, dass das Pochen auf der Verantwortungsfrage der Aussöhnung im Wege zu stehen scheint. Letztendlich ist die Situation um den Atombombenabwurf ideologisch auch weiter weniger einfach zu beurteilen als beispielsweise die Schuldzuweisung Nazideutschlands. Hier trifft ja Kriegsverbrechen (Faschismus) auf Kriegsverbrechen (Massenmord an Zivilisten), und man kann sich bei der Frage nach der Verantwortung endlos im Kreis drehen und gegenseitig beschuldigen, oder man kann die Wirkung stellvertretend für die Ursache sein lassen und gemeinsam ein Kriegsdenkmal besuchen.

Die stoische und selbstironische Gelassenheit angesichts des abgebrannten Hauses in "Madadayo" ist für mich auch eindeutig keine Opferperspektive. Das merkt man schon daran, dass die verschwundene Katze für den Film dramaturgisch wesentlich wichtiger ist, auch im Hinblick auf das Thema Sentimentalität. Das Haus ist kein Bestandteil der Elegie.

Also ich wäre etwas vorsichtig damit, den späten Kurosawa-Filmen voreilig ideologische Programmatiken unterzuschieben. Man ist da mit seiner deutschen Historisierungskeule immer etwas vorbelastet bei dem Thema. Sicherlich nimmt sich Kurosawa des Thema anders an als deutsche Filmbeiträge zum zweiten Weltkrieg, ist dabei aber auch deutlich weniger verlogen als die oftmals aufgesetzte Empörtheit als Rechtfertigung für die filmische Darstellung von Grausamkeiten hierzulande.

Verdrängung historischer Verantwortung ist sicherlich ein wichtiges Thema im Bezug auf Japan, aber Kurosawa ist da einfach nicht die richtige Adresse. Einige seiner Figuren mögen in dieser Hinsicht darunter fallen, seine Filme aber ganz sicher nicht.

Lukas Foerster said...

Vermutlich werden wir uns in einem Punkt nicht einig: Ich denke nicht, dass man sich bei der Frage nach der "Verantwortung" für die Atombombe "endlos im Kreis drehen" kann. Koji Wakamatsus "Caterpillar" ist in dieser Hinsicht imo eine wichtige Antwort auf "Rhapsody in August" und vergleichbare Filme / Romane.
Aber vieles, was Du sonst beschreibst, kann ich gut nachvollziehen. Auch mir haben beide Filme viel, viel besser gefallen als fast alles, was ich an deutscher "Vergangenheitsbewältigung" kenne.