Saturday, November 26, 2011

Tender Mercies, Bruce Beresford, 1983 (American Eighties 12)

Drei weiße Gebäude in der endlosen Weite der texanischen Steppe. Eine Tankstelle und ein Motel, in dem während des gesamten Films nur ein Gast nächtigt. Der ist zuerst als Schatten hinter der Milchglastür zu sehen, sturzbetrunken. Am nächsten Tag bittet er die Besitzerin, ausgenüchtert, um eine Anstellung. Sie stellt ihn ein und er hört auf zu trinken. Der Film dramatisiert das (zunächst; und auch später nur unter Vorbehalt) nicht, man sieht keinen Entzug, auch keine Versuchung, es gibt einfach nur die Feststellung, dass er früher getrunken hat und jetzt nicht mehr trinkt. Es dauert nicht lange - in filmischer Zeit, zumindest - bis die beiden heiraten. Sie ist Witwe, hat ihren Mann in Vietnam verloren und jetzt einen Sohn, er ist geschieden und hat eine Tochter. Ihr Sohn fragt den Mann, als der einmal schweigsam dasitzt, an was er denke, an gute oder an schlechte Dinge. "Some of both, I think" ist seine Antwort. Robert Duvall spielt den Mann und erst jetzt weiß ich, was alle an diesem Schauspieler finden. In True Confessions hatte er mich neulich eher genervt, da schien er immer mehr de Niro als de Niro sein zu wollen, aber diesem Film prägt er sich auf, mit seinem schütteren Haar, mit der Art, wie aus der gezähmten Schweigsamkeit plötzlich die Wut hervorbricht. Sicher hilft dabei, dass die Kamera nie aufdringlich wird, dass er oft mit dem Rücken zu ihr stehen bleiben darf, dass sie nicht jede seiner Regungen zu verdoppeln sucht.
Der Mann war einmal ein berühmter Countrysänger, aber das weiß man am Anfang noch nicht. Zunächst sind da nur drei Häuser in der Steppe, die Kamera bewegt sich nicht mehr, als sie muss und sie ist oft so platziert, dass man weit in den Raum sehen kann, zum Beispiel sind die Figuren in der Steppe, nah an der Kamera und die drei Häuser sind weit weg, ragen in den Horizont hinein. Auch ist die Kamera oft so platziert, dass der Horizont das Bild horizontal teilt: oben der Himmel, unten die Erde. Gelegentlich fährt ein Auto durch das Bild, von rechts nach links, direkt an der Schnittstelle, zwischen Himmel und Erde. Der Mann, die Frau und ihr Sohn wohnen in einem der drei Häuser. Der Film zeigt das Wohnzimmer oft in einer Totalen. Einerseits ist das Zimmer eng, sauber und adrett eingerichtet, wie als würde es sich gegen die weite, wilde Natur als Schutzraum bewähren müssen, andererseits haben die gedeckten, natürlichen Farben der Inneneinrichtung eine kontinuierliche Verbindung zu den Farben der Felder vor dem Haus. Das Haus ist so hellhörig, dass man jedes Wort durch die Wände vernehmen kann, mehrmals bittet einer die anderen beiden durch die Trennwand hindurch um Ruhe.
Der erste Teil des Films hat eine Ruhe und Selbstverständlichkeit, wie man sie im amerikanischen Kino selten findet. Das Drama kommt dann doch noch in den Film, aber es kommt von außen, von der Landstraße, die an der Tankstelle vorbei führt und im Herz des Films setzt es sich nie wirklich fest. Zunächst kommt ein Kleinbus vorbei, als Vorankündigung, einige junge Männer, die Mitglieder einer Country-Band, steigen aus, um ihr Idol zu bewundern. Später packt sein altes Leben den Mann wieder, er schreibt neue Lieder, trifft seine Ex-Frau und seine Tochter, singt schließlich in einer Kneipe und hat dann sogar einen Hit im Radio. Wenn er aber seine neue Frau dazu bringen möchte, seine Lieder zu singen, weil seine eigene Stimme brüchig geworden ist, lehnt sie das ab. So schafft sie es, dass das Drama den Mann zwar berühren und ein paar Meter mitreißen kann, dass er sich aber nicht ganz von ihm vereinnahmen lässt und sich am Ende mit dem selbstverständlichen Leben in den drei Häusern zwischen Himmel und Erde zufrieden geben kann.
Tender Mercies ist einer von mehreren schönen country-music-Filmen der frühen Achtziger Jahre. Ein konservativer Film, ein christlich-konservativer sogar: Die erste Szene ist so etwas wie eine Wiedergeburt, später wird der Mann getauft, aber darum macht der Film dann zum Glück doch eher wenig Aufhebens. Wichtiger scheint mir die Nachträglichkeit, die den gesamten Film prägt: nach dem Suff, nach der Karriere, nach der großen Liebe, nach Vietnam, nach New Hollywood. Vielleicht sogar: gleichzeitig vor und nach New Hollywood. Eine Geschichte, die das zu erzählen scheint, was John-Ford-Helden oder ein Anthony-Mann-Helden nach dem Ende ihrer Filme, ihres Kinos erleben könnten; die das große Drama noch einmal aufruft, aber nur als Nachhall, der den Figuren bis zu einem gewissen Grad äußerlich bleibt, immer schon im Modus der Nachträglichkeit.
(Zufällig lese ich gerade den fünften Jack-Reacher-Roman Echo Burning. Der ist wieder einmal ganz toll, aber zu seinem doch eher konventionell wilden, rauhen Texasbild ist Tender Mercies ein schönes Korrektiv.)

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