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Sunday, July 10, 2016

Immer schon eine Erfindung

Zu den drei Regisseuren der deutschen Exil-Filmgeschichte, deren Werk das Zeughauskino in den letzten Jahren präsentiert hat - Max Ophüls, Fritz Lang und Robert Siodmak -, steht Sirk in vieler Hinsicht quer. Sirk hat Deutschland deutlich später verlassen als diese drei und auch als die meisten anderen Exilanten. Seine Filmkarriere hat er nicht in der Weimarer Republik begonnnen, sondern in der NS-Zeit. Tatsächlich muss man davon ausgehen, dass er inbesondere bei seinem Einstieg ins Filmgeschäft 1934 direkt von der nationalsozialitischen Filmpolitik profitiert hat; schließlich hatte die UFA, die ihn unter Vertrag nahm, bereits im Frühjahr 1933 ihre jüdischen Angestellten entlassen. Und schließlich hat er das Land seines Exils, die USA, zwar ebenfalls wieder verlassen, aber er hat nach seiner Rückkehr nach Europa seine Filmkarriere nicht fortgesetzt.

Vielleicht nicht zufällig ist Sirk auch der einzige der vier, der in den USA seinen Namen wechselte. Und auch weil der geborene Hans Detlef Sierck selbst gerne und ausführlich über die Titel seiner Filme nachdachte, kann man einen Moment bei diesem Namenswechsel bleiben. Gleich dazu gesagt: Das beruht jetzt nicht auf ernsthafter historischer Recherche, sondern ist lediglich ein Gedankenspiel, die Filmhistoriker unter Ihnen mögen mir das Nachsehen. Aber gerade was den Vornamen betrifft, scheint mir der Namenswechsel nicht uninteressant. Sirks Gebutsname Detlef bedeutet ethymologisch “Sohn des Volkes”, oder “der im Volke lebende”, sein erwählter Name Douglas stammt zwar ursprünglich aus dem Gälischen, ist aber vor allem mit einer schottischen Adelsfamilie assoziiert. Insofern wäre seine Namensänderung gleichzeitig ein Akt der Entwurzelung und ein Hinweis auf die aristokratischen Sehnsüchte eines Bürgersohns.

Jedenfalls war Sirk stärker als Lang, Siodmak, Ophüls, selbst Lubitsch darum bemüht, sich in Amerika neu zu erfinden. Tatsächlich scheint der Regisseur ein grundsätzlich anderes Verhältnis zu den USA gehabt zu haben als die meisten anderen Exilanten, denen Sirk in Interviews vorgeworfen hat, sich gar nicht wirklich auf ihr Gastland einzulassen. Das ist zwar auch wieder unfair, aber es gibt da glaube ich tatsächlich einen Unterschied. Der zeigt sich schon darin, dass Sirk sich, gezwungenermaßen, in den ersten Jahren seines amerikanischen Exils nicht, wie die anderen Exilanten, in Los Angeles niederließ, sondern im San Fernando Valley und in Pomona als Farmer arbeitete, Hühner züchtete, Luzerne anbaute. Seine erste filmische Arbeit in Amerika war eine leider verschollene Dokumentation über Weinanbau in einer kalifornischen Abtei. Und auch der Film des heutigen Abends offenbart Sirks besonderes Interesse am ländlichen Amerika.

Meet Me at the Fair ist nicht der nächstliegende Film, um eine Sirk-Retrospektive zu eröffnen. Einer der Gründe, warum wir ihn dennoch ausgewählt haben, ist die außergewöhnlich schöne Technicolor-Kopie, die uns Universal zur Verfügung gestellt hat. Ein anderer ist, dass wir Sirk in dieser Reihe gerade nicht als den Schöpfer einer Handvoll Meisterwerke vorstellen wollen, sondern als einen Kino-professional, der in zwei unterschiedlichen Studiosystemen reüssierte. Meet Me at the Fair stammt aus Sirks produktivster Phase Anfang der 1950er, als er für Universal jedes Jahr bis zu vier meist eher niedrig büdgetierte Filme abdrehte.

Ein dritter Grund ist der Film selbst. Meet Me at the Fair ist nicht nur ein reflexives komödiantisches Musical, das besonders in seiner zentralen, bezaubernden Song-and-dance-Nummer, im Grunde aber von Anfang an ein fluides Verhältnis zwischen Fiktion und Leben, zwischen Bühne und Welt etabliert. Sondern auch ein Stück americana. Also eine nostalgisch gefärbte Erzählung über die Lebensart des kleinstädtischen Amerikas, die der Film gleichzeitig amüsiert beobachtet, durchaus detailverliebt rekonstruiert und mit jener sanften Ironie kritisiert, die in intensivierter Form auch seine späteren, weitaus berühmteren Melodramen prägt.

Wenn es Sirk in Meet Me at the Fair darum geht, in das ländliche Herz der USA vorzudringen, dann findet er da allerdings gerade keine Essenz zum Beispiel des Völkischen, sondern eine populäre Kultur, die hybrid und in sich widersprüchlich ist. Das Amerika, das Sirk interessiert, ist nicht mit sich selbst identisch, sondern immer schon eine Erfindung, und die Sympathien des Films gehören, scheint mir, durchweg den Figuren, die genau das auch anerkennen. Das betrifft insbesondere die Hauptfigur Doc, die Richard Brody im New Yorker recht nachvollziehbar als ein alter ego des Regisseurs beschrieben hat. Brody bezieht sich dabei auf die hochkulturelle Prägung, die in der Figur bisweilen durchscheint, ich würde hinzufügen, dass eine vielleicht noch wichtigere Ähnlichkeit im kreativen Umgang mit eigenen und fremden Identitäten besteht. Nicht umsonst greift Sirks Regie Docs Angebereien gleich mehrmals spielerisch auf.

Das betrifft aber zum Beispiel auch Enoch Jones, einen Schwarzen, der mit Doc gemeinsam durchs Land zieht (gespielt von Scatman Crothers, später der Koch in The Shining). Auf den ersten Blick ist das ein geradezu prototypischer black sidekick, der sich dann auch noch ausgerechnet vor Geistern fürchten muss. Der sich aber nicht nur schnell von solchen rassistischen Stereotypen emanzipiert, sondern sie in einer denkwürdigen Gesangsnummer sogar umzudrehen und strategisch einzusetzen versteht.

Sunday, January 31, 2016

The Inside Story rewatch, Allan Dwan, 1948

I seriously underrated this the first time around. Some of the set-ups are a bit laborious, and it neither has the wit nor (in fact: not at all) the dynamism of the high velocity farces Dwan made just a few years earlier. But it has a lot of other values.

The unwavering, but always clearly, even loquatiously articulated commitment of everyone involved off and on screen to its rather looney central premise is kind of touching in itself, especially when it turns out that even the crooks think in terms of community values; and the decidedly pedestrian, sometimes a bit awkward acting plays into these strengths. Sometimes this almost feels like a (expertly done) community theater production, made by people who want to explain themselves and their neighbours how capitalism works. After smoking some dope the night before, probably.

It's not a masterpiece like BREWSTER'S MILLIONS, RENDEZVOUS WITH ANNIE or ANGEL IN EXILE, three films that are similar in some aspects, and completely different in others. But in its at the same time relaxed and completely dedicated rhythm it finds a cadence all of its own.
(Maybe the best comparison would be RISE AND SHINE, another - in this case completely - weird, but lovely piece of dwamericana.)

Friday, October 30, 2015

Dwamericana

In den frühen 40er Jahren hat Dwan scheint mir, ein eigenes Genre begründet, in Windeseile zur Blüte gebracht, und dann wieder fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Dwamericanas könnte man diese Filme nennen, die eine höchst synthetische Art von Volkstümlichkeit zum Thema haben und allesamt in einem Zwischenbereich von Showbusiness und Kleinstadtamerika angesiedelt sind. Und in allen Filmen wirken in zentralen Rollen Stars mit, deren Popularität sich nicht auf das Kino begrenzt: Der Kinderstar Shirley Temple in Young People (1940), die multimedial aktiven Comedians Jack Oakie und Milton Berle in Rise and Shine (1941), die Radiostars Edgar Bergen, Jim Jordan / Fibber McGee, Marian Jordan / Molly und Harold Peary / Gildersleeve erst in Look Who's Laughing (1941) und dann noch einmal in Here We Go Again (1942), schließlich eine ganze Horde von Entertainern in Around the World (1943), der freilich nur noch halb in die Reihe passt, weil er sich ganz auf die Seite des Showbusiness schlägt.

Dwan versucht gerade nicht, die Stars ins Kino zurück zu holen, oder sie dort dingfest zu machen; Ihn interessiert an ihnen gerade die Aspekte, die das Kino aufsprengen. Das dabei aber nicht kaputt gemacht, sondern lediglich neu, anders zusammen gebaut wird. Look Who's Laughing stellt die Frage: Wie bekommt man eine Geschichte um einen professionellen Bauchredner, der die Hochzeit seiner Assistentin verhindern will, mit einer anderen Geschichte zusammen, in der ein schusseliger Ehemann (der jedesmal, wenn er die Treppe zum Wohnzimmer herunter- oder heraufläuft, den Knauf des Treppengeländers umstöpselt, um seiner Frau anzuzeigen, wo er sich gerade befindet) in seiner Heimatstadt eine Fabrik bauen will? Antwort: mithilfe einer ausufernden, aeronautischen Actionsequenz, in deren Verlauf der Bauchredner im freien Flug von einem Flugzeug ins andere klettert.

Alle genannten Filme haben selbst für Dwan-Verhältnisse ausgesprochen durchgeknallte Plots. Der Höhepunkt dieser kleinen Serie ist Rise and Shine (1941). Da ergibt endgültig gar nichts mehr auch nur den geringsten Sinn - und doch passt alles zusammen. Das lose und gründlich hohle, aber gleichzeitig quicklebendige Zentrum bildet ein College-Footballstar (Oakie), der eine Geschichtsprüfung bestehen muss, um weiter an der Uni und damit im Footballteam bleiben zu können - und der dabei von der gesamten Kleinstadt, in der er wohnt, unterstützt wird. In einer Szene rückt tatsächlich die ganze Stadt an, um sich vor seinem Fenster aufzustellen und ihm ein Ständchen zu singen, wie der Minnesänger seiner Angebeteten. Eine Liebesgeschichte zwischen einer Stadt und einem wohlgenährten, kognitiv nicht allzu fitten Sportstar (der sich nicht einmal das Jahr merken kann, in dem Amerika entdeckt wurde und der ohne irgendeine Rechtfertigung panische Angst vor Staudämmen hat).

"They're serenading Boley, when he should be sleeping", jammert Linda Darnell, die eifersüchtige Cheerleaderin, die Oakie gerne für sich alleine haben würde. Aber vielleicht eher als ein Spielzeug oder einen Teddybären denn als einen Liebhaber. Darnell ist ihrerseits fantastisch und eine der Hauptenergiequellen dieses durch und durch manischen Films. Ihre Cheerleaderroutinen treiben nicht einfach einen einzelnen Spieler oder ein Team an, sondern die gesamte Stadt, den gesamten Film. Der Titel, Rise and Shine, meint: Auch Du hast heute die Chance, Dich zum Affen zu machen. Und wie sie das machen! In Abwesenheit einer strukturierenden, hierarchisierenden narrativen Ursache-Wirkungs-Logik müssen die Figuren ihre Anwesenheit anderweitig rechtfertigen. Jeder trägt seine eigene Marotte in den Film, beziehungsweise in die ihrerseits ganz und gar nicht chaotischen Einstellungen hinein. Hinten links ist noch ein Platz frei. Oft hat man den Eindruck: Je unwahrscheinlicher die Marotte einer Figur und je konsequenter die Ausprägung der Marotte, desto mehr Respekt bringen ihr die anderen Figuren entgegen. Am allerkonsequentesten ist dann doch Oakie selbst, der ganz am Ende auf dem Footballfeld Staudammbrüche zu halluzinieren beginnt.

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Saturday, November 26, 2011

Tender Mercies, Bruce Beresford, 1983 (American Eighties 12)

Drei weiße Gebäude in der endlosen Weite der texanischen Steppe. Eine Tankstelle und ein Motel, in dem während des gesamten Films nur ein Gast nächtigt. Der ist zuerst als Schatten hinter der Milchglastür zu sehen, sturzbetrunken. Am nächsten Tag bittet er die Besitzerin, ausgenüchtert, um eine Anstellung. Sie stellt ihn ein und er hört auf zu trinken. Der Film dramatisiert das (zunächst; und auch später nur unter Vorbehalt) nicht, man sieht keinen Entzug, auch keine Versuchung, es gibt einfach nur die Feststellung, dass er früher getrunken hat und jetzt nicht mehr trinkt. Es dauert nicht lange - in filmischer Zeit, zumindest - bis die beiden heiraten. Sie ist Witwe, hat ihren Mann in Vietnam verloren und jetzt einen Sohn, er ist geschieden und hat eine Tochter. Ihr Sohn fragt den Mann, als der einmal schweigsam dasitzt, an was er denke, an gute oder an schlechte Dinge. "Some of both, I think" ist seine Antwort. Robert Duvall spielt den Mann und erst jetzt weiß ich, was alle an diesem Schauspieler finden. In True Confessions hatte er mich neulich eher genervt, da schien er immer mehr de Niro als de Niro sein zu wollen, aber diesem Film prägt er sich auf, mit seinem schütteren Haar, mit der Art, wie aus der gezähmten Schweigsamkeit plötzlich die Wut hervorbricht. Sicher hilft dabei, dass die Kamera nie aufdringlich wird, dass er oft mit dem Rücken zu ihr stehen bleiben darf, dass sie nicht jede seiner Regungen zu verdoppeln sucht.
Der Mann war einmal ein berühmter Countrysänger, aber das weiß man am Anfang noch nicht. Zunächst sind da nur drei Häuser in der Steppe, die Kamera bewegt sich nicht mehr, als sie muss und sie ist oft so platziert, dass man weit in den Raum sehen kann, zum Beispiel sind die Figuren in der Steppe, nah an der Kamera und die drei Häuser sind weit weg, ragen in den Horizont hinein. Auch ist die Kamera oft so platziert, dass der Horizont das Bild horizontal teilt: oben der Himmel, unten die Erde. Gelegentlich fährt ein Auto durch das Bild, von rechts nach links, direkt an der Schnittstelle, zwischen Himmel und Erde. Der Mann, die Frau und ihr Sohn wohnen in einem der drei Häuser. Der Film zeigt das Wohnzimmer oft in einer Totalen. Einerseits ist das Zimmer eng, sauber und adrett eingerichtet, wie als würde es sich gegen die weite, wilde Natur als Schutzraum bewähren müssen, andererseits haben die gedeckten, natürlichen Farben der Inneneinrichtung eine kontinuierliche Verbindung zu den Farben der Felder vor dem Haus. Das Haus ist so hellhörig, dass man jedes Wort durch die Wände vernehmen kann, mehrmals bittet einer die anderen beiden durch die Trennwand hindurch um Ruhe.
Der erste Teil des Films hat eine Ruhe und Selbstverständlichkeit, wie man sie im amerikanischen Kino selten findet. Das Drama kommt dann doch noch in den Film, aber es kommt von außen, von der Landstraße, die an der Tankstelle vorbei führt und im Herz des Films setzt es sich nie wirklich fest. Zunächst kommt ein Kleinbus vorbei, als Vorankündigung, einige junge Männer, die Mitglieder einer Country-Band, steigen aus, um ihr Idol zu bewundern. Später packt sein altes Leben den Mann wieder, er schreibt neue Lieder, trifft seine Ex-Frau und seine Tochter, singt schließlich in einer Kneipe und hat dann sogar einen Hit im Radio. Wenn er aber seine neue Frau dazu bringen möchte, seine Lieder zu singen, weil seine eigene Stimme brüchig geworden ist, lehnt sie das ab. So schafft sie es, dass das Drama den Mann zwar berühren und ein paar Meter mitreißen kann, dass er sich aber nicht ganz von ihm vereinnahmen lässt und sich am Ende mit dem selbstverständlichen Leben in den drei Häusern zwischen Himmel und Erde zufrieden geben kann.
Tender Mercies ist einer von mehreren schönen country-music-Filmen der frühen Achtziger Jahre. Ein konservativer Film, ein christlich-konservativer sogar: Die erste Szene ist so etwas wie eine Wiedergeburt, später wird der Mann getauft, aber darum macht der Film dann zum Glück doch eher wenig Aufhebens. Wichtiger scheint mir die Nachträglichkeit, die den gesamten Film prägt: nach dem Suff, nach der Karriere, nach der großen Liebe, nach Vietnam, nach New Hollywood. Vielleicht sogar: gleichzeitig vor und nach New Hollywood. Eine Geschichte, die das zu erzählen scheint, was John-Ford-Helden oder ein Anthony-Mann-Helden nach dem Ende ihrer Filme, ihres Kinos erleben könnten; die das große Drama noch einmal aufruft, aber nur als Nachhall, der den Figuren bis zu einem gewissen Grad äußerlich bleibt, immer schon im Modus der Nachträglichkeit.
(Zufällig lese ich gerade den fünften Jack-Reacher-Roman Echo Burning. Der ist wieder einmal ganz toll, aber zu seinem doch eher konventionell wilden, rauhen Texasbild ist Tender Mercies ein schönes Korrektiv.)