Tuesday, August 04, 2015

Retrospektive Ola Balogun - Freitag

Höchst kenne ich nach den beiden Tagen noch nicht wirklich. Es gibt, habe ich gesehen, eine unglamouröse, funktionale Einkaufsstrasse direkt am Bahnhof und, ein paar Minuten zu Fuß entfernt, ein putziges Bilderbuch-Fachwerk-Städtchen mit einer Burg, ein paar Kneipen und Restaurants. Und ziemlich genau dazwischen, in einer absoluten dead zone: das Kulturforum Höchst, in dessen Kino das Filmkollektiv Frankfurt dem nigerianischen Regisseur Ola Balogun eine Retrospektive gewidmet hat.

Zunächst Baloguns Debütfilm „Alpha“, der aus den Überresten eines Rosselliniprojekts entstanden ist und mit texanischem oil money finanziert wurde (ähnlich abenteuerliche Enstehungsgeschichten scheinen die meisten Balogun-Filme zu haben). Eine Gruppe afrikanischer Migranten in Paris. Abwechselnd treffen sie sich in den Straßen, Parks, Cafes, auf Freitreppen und in einem Zimmer, das kein Wohnraum ist, sondern eine Art Labor: „Forms, shapes, colour and movement“ brauche man für die Revolution, meint Alpha, der (umstrittene) Anführer der Gruppe, der in diesem Zimmer am Schreibtisch sitzt, seine Mitstreiter empfängt, von denen manche malen, andere musizieren, wieder andere schreiben. Einer von 1000 verhinderten Dichtern in Paris sei er, meint einer der älteren der Gruppe, weil es niemanden gibt, für den er schreiben kann. So ähnlich geht es wahrscheinlich allen in der Gruppe, und so ähnlich ging es vermutlich auch Balogun in den frühen 1970ern in Paris – Alpha ist ein Film ohne Zielgruppe. Es geht um interne Selbstverständigung: Auch wenn wir erst einmal nur vier, fünf, sechs Leute und gegenseitig unser einziges Publikum sind, lohnt es sich, zu schreiben, zu malen (ein kultobjektartiges, flächiges, vage raketenförmiges Gebilde auf einer Leinwand, die in der Mitte des Zimmers aufgebaut wird), zu musizieren (gleich der erste Film ist äußerst musikalisch, einmal werden gleich drei Lieder hintereinander gesungen, das dritte handelt von der Revolution), zu filmen. Dass das Publikum, auch allgemeiner der soziale Kontext, den es in Paris nicht gibt und den die „Forms, shapes, colour and movement“ zu ihrer eigentlichen Entfaltung brauchen, nur in der afrikanischen Heimat geben kann, ist allen klar. (Trotzdem taucht schon einiges auf, was später in anderen Filmen wiederkommt, zum Beispiel ornamentale Bildeffekte, die die realismtische Inszenierung kurz aufbrechen).

Zwei der Schauspieler aus Alpha tauchen auch im Kurzfilm In the Beginning auf: ein junger, in beiden Filmen sehr lebendiger, energiegeladener Mann und eine hochgewachsene Frau mit kurzen Haaren. In the Beginning basiert auf einem (auf Englisch vorgetragenen) folk tale der Yoruba, das sich am Ende als eine Art Schöpfungsgeschichte offenbart.Ob der Film tatsächlich in Afrika, oder noch in Frankreich gedreht wurde, weiß ich nicht. Jedenfalls glänzt sie in wunderschön lichten Farben, während die Alpha-Kopie ziemlich rotstichig war, nicht ganz unpassend zur Exilantentristesse.

In the Beginning stand am Anfang eines Kurzfilmprogramms. Danach zwei ethnografische Miniaturen. Owuama – A New Year Festival zeigt, ganz ohne Off-Kommentar, ein nigerianisches Volksfest, dessen Hauptattraktion maskierte Tänzer zu sein scheinen, die um die Dorfbewohner – und vor allem die Kinder herumspringen. Ziemlich wild und doch wenigstens teilweise einer Choreographie folgend. Das Fest scheint Balogun nachhaltig zu faszinierend, gleich in mehreren Filmen tauchen fast identische Bilder auf (und allgemeiner geht es immer wieder, insbesondere in den Musikdokumentationen, um Übergänge zwischen Inszenierung und Improvisation, Performance und Geselligkeit). Die Wucht, die die Bilder in Owuama – A New Year Festival haben, erreichen sie freilich in den späteren Wiederaufnahmen nicht mehr. Vielleicht, weil sie nur in diesem frühen Film ganz für sich selbst stehen, ganz (ungerichtetes) Dokument sind.

Mindestens genauso toll der letzte Film des Programms (wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht der einzige der Retrospektive in schwaz-weiß): Eastern Nigeria Revisited fühlt sich an wie ein Reisefilm, weil die Kamera neugierig ist, nicht immer schon weiß, für was sie sich interessieren wird, hat aber gleichzeitig ein Argument: Nigeria im Allgemeinen und Ostnigeria im Besonderen haben den Bürgerkrieg überstanden, jetzt geht es wieder aufwärts. Der Straßenhandel blüht auf, die Bergwerke werden wieder betrieben (eine ziemliche Höllenmaschine ist das allerdings, die die Kohle aus dem Schacht herausführt), aber auch die Traditionen leben wieder auf – zum Beispiel eben die Neujahrsfeste.

Der letzte Film des Tages: Anaji Ogun, Baloguns Durchbruchsfilm. Gleich die erste Szene ist toll: Eine junge Frau wäscht am Bach Wäsche, ein Mann kommt vorbei, sie machen ein bisschen Unsinn, dann tötet er eine Schlange, die sich plötzlich neben ihr aufrichtet. Und sie singt ein Lied, wofür der Film in die Großaufnahme springt, sie zu einem Filmstar, genauer gesagt zu einem Bollywoodstar macht. Solche Szenen mit jungen Liebespaaren – wie sie sich kennenlernen, neugierig aufeinander werden, herumalbern und so weiter – bekommt Balogun immer wunderbar hin. Das ist auch wichtig für seine Filme, weil dann gleich klar ist, dass es sich für seine Figuren am Ende auch tatsächlich lohnen wird, das böse Spiel nicht mitzuspielen, das die restliche Welt mit ihnen spielen möchte. 

Im Fall von Anaji Ogun soll die Frau an einen Anderen, Älteren verheiratet werden, der gleichzeitig, - wie man in einer rot eingefärbten Rückblende erfährt – die Familie des Mannes um Grund und Boden betrogen hat und mit den lokalen Großkopferten unter einer Decke steckt. Der Rahmen ist schnell gesteckt, die notwendigen Verwicklungen werden in einer überschauberen Anzahl von Sets ausagiert. Mal musikalisch, mal komödiantisch. Wobei die Rollen da ziemlich klar aufgeteilt sind: Die good guys singen und tanzen, die bad guys chargieren, gestikulieren wild und schneiden Grimassen. Vor allem, wenn Bestechungsgeld den Besitzer wechselt, laufen sie zur Hochform auf, das ist jedesmal ein neues (und auch jedesmal ein ein bisschen anderes) Spektakel.


Am Ende siegt das Gute nicht durch Rechtschaffenheit, sondern durch die List der Frau – sie willigt zum Schein in die verhasste Verbindung ein, um dem angesichts der Aussicht auf Befriedigung seiner Begierde unvorsichtig werdenden bad guy einen handlungsentscheidenden Schlüssel zu entwenden.

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