Höchst kenne ich nach den beiden Tagen
noch nicht wirklich. Es gibt, habe ich gesehen, eine unglamouröse,
funktionale Einkaufsstrasse direkt am Bahnhof und, ein paar Minuten
zu Fuß entfernt, ein putziges Bilderbuch-Fachwerk-Städtchen mit
einer Burg, ein paar Kneipen und Restaurants. Und ziemlich genau
dazwischen, in einer absoluten dead zone: das Kulturforum Höchst, in
dessen Kino das Filmkollektiv Frankfurt dem nigerianischen Regisseur
Ola Balogun eine Retrospektive gewidmet hat.
Zunächst Baloguns Debütfilm „Alpha“,
der aus den Überresten eines Rosselliniprojekts entstanden ist und
mit texanischem oil money finanziert wurde (ähnlich abenteuerliche
Enstehungsgeschichten scheinen die meisten Balogun-Filme zu haben).
Eine Gruppe afrikanischer Migranten in Paris. Abwechselnd treffen sie
sich in den Straßen, Parks, Cafes, auf Freitreppen und in einem
Zimmer, das kein Wohnraum ist, sondern eine Art Labor: „Forms,
shapes, colour and movement“ brauche man für die Revolution, meint
Alpha, der (umstrittene) Anführer der Gruppe, der in diesem Zimmer
am Schreibtisch sitzt, seine Mitstreiter empfängt, von denen manche
malen, andere musizieren, wieder andere schreiben. Einer von 1000
verhinderten Dichtern in Paris sei er, meint einer der älteren der
Gruppe, weil es niemanden gibt, für den er schreiben kann. So
ähnlich geht es wahrscheinlich allen in der Gruppe, und so ähnlich
ging es vermutlich auch Balogun in den frühen 1970ern in Paris –
Alpha ist ein Film ohne Zielgruppe. Es geht um interne
Selbstverständigung: Auch wenn wir erst einmal nur vier, fünf,
sechs Leute und gegenseitig unser einziges Publikum sind, lohnt es
sich, zu schreiben, zu malen (ein kultobjektartiges, flächiges, vage
raketenförmiges Gebilde auf einer Leinwand, die in der Mitte des
Zimmers aufgebaut wird), zu musizieren (gleich der erste Film ist
äußerst musikalisch, einmal werden gleich drei Lieder
hintereinander gesungen, das dritte handelt von der Revolution), zu
filmen. Dass das Publikum, auch allgemeiner der soziale Kontext, den
es in Paris nicht gibt und den die „Forms, shapes, colour and
movement“ zu ihrer eigentlichen Entfaltung brauchen, nur in der
afrikanischen Heimat geben kann, ist allen klar. (Trotzdem taucht
schon einiges auf, was später in anderen Filmen wiederkommt, zum
Beispiel ornamentale Bildeffekte, die die realismtische Inszenierung
kurz aufbrechen).
Zwei der Schauspieler aus Alpha
tauchen auch im Kurzfilm In the Beginning auf: ein junger, in
beiden Filmen sehr lebendiger, energiegeladener Mann und eine
hochgewachsene Frau mit kurzen Haaren. In the Beginning
basiert auf einem (auf Englisch vorgetragenen) folk tale der Yoruba,
das sich am Ende als eine Art Schöpfungsgeschichte offenbart.Ob der
Film tatsächlich in Afrika, oder noch in Frankreich gedreht wurde,
weiß ich nicht. Jedenfalls glänzt sie in wunderschön lichten
Farben, während die Alpha-Kopie ziemlich rotstichig war,
nicht ganz unpassend zur Exilantentristesse.
In the Beginning stand am Anfang eines
Kurzfilmprogramms. Danach zwei ethnografische Miniaturen. Owuama –
A New Year Festival zeigt, ganz ohne Off-Kommentar, ein
nigerianisches Volksfest, dessen Hauptattraktion maskierte Tänzer zu
sein scheinen, die um die Dorfbewohner – und vor allem die Kinder
herumspringen. Ziemlich wild und doch wenigstens teilweise einer
Choreographie folgend. Das Fest scheint Balogun nachhaltig zu
faszinierend, gleich in mehreren Filmen tauchen fast identische
Bilder auf (und allgemeiner geht es immer wieder, insbesondere in den
Musikdokumentationen, um Übergänge zwischen Inszenierung und
Improvisation, Performance und Geselligkeit). Die Wucht, die die
Bilder in Owuama – A New Year Festival
haben, erreichen sie freilich in den späteren Wiederaufnahmen nicht
mehr. Vielleicht, weil sie nur in diesem frühen Film ganz für sich
selbst stehen, ganz (ungerichtetes) Dokument sind.
Mindestens
genauso toll der letzte Film des Programms (wenn mich meine
Erinnerung nicht täuscht der einzige der Retrospektive in
schwaz-weiß): Eastern Nigeria Revisited fühlt
sich an wie ein Reisefilm, weil die Kamera neugierig ist, nicht immer
schon weiß, für was sie sich interessieren wird, hat aber
gleichzeitig ein Argument: Nigeria im Allgemeinen und Ostnigeria im
Besonderen haben den Bürgerkrieg überstanden, jetzt geht es wieder
aufwärts. Der Straßenhandel blüht auf, die Bergwerke werden wieder
betrieben (eine ziemliche Höllenmaschine ist das allerdings, die die
Kohle aus dem Schacht herausführt), aber auch die Traditionen leben
wieder auf – zum Beispiel eben die Neujahrsfeste.
Der
letzte Film des Tages: Anaji Ogun,
Baloguns Durchbruchsfilm. Gleich die erste Szene ist toll: Eine junge
Frau wäscht am Bach Wäsche, ein Mann kommt vorbei, sie machen ein
bisschen Unsinn, dann tötet er eine Schlange, die sich plötzlich
neben ihr aufrichtet. Und sie singt ein Lied, wofür der Film in die
Großaufnahme springt, sie zu einem Filmstar, genauer gesagt zu einem
Bollywoodstar macht. Solche Szenen mit jungen Liebespaaren – wie
sie sich kennenlernen, neugierig aufeinander werden, herumalbern und
so weiter – bekommt Balogun immer wunderbar hin. Das ist auch
wichtig für seine Filme, weil dann gleich klar ist, dass es sich für
seine Figuren am Ende auch tatsächlich lohnen wird, das böse Spiel
nicht mitzuspielen, das die restliche Welt mit ihnen spielen möchte.
Im Fall von Anaji Ogun
soll die Frau an einen Anderen, Älteren verheiratet werden, der
gleichzeitig, - wie man in einer rot eingefärbten Rückblende
erfährt – die Familie des Mannes um Grund und Boden betrogen hat
und mit den lokalen Großkopferten unter einer Decke steckt. Der
Rahmen ist schnell gesteckt, die notwendigen Verwicklungen werden in
einer überschauberen Anzahl von Sets ausagiert. Mal musikalisch, mal
komödiantisch. Wobei die Rollen da ziemlich klar aufgeteilt sind:
Die good guys singen und tanzen, die bad guys chargieren,
gestikulieren wild und schneiden Grimassen. Vor allem, wenn
Bestechungsgeld den Besitzer wechselt, laufen sie zur Hochform auf,
das ist jedesmal ein neues (und auch jedesmal ein ein bisschen
anderes) Spektakel.
Am Ende siegt das
Gute nicht durch Rechtschaffenheit, sondern durch die List der Frau –
sie willigt zum Schein in die verhasste Verbindung ein, um dem
angesichts der Aussicht auf Befriedigung seiner Begierde unvorsichtig
werdenden bad guy einen handlungsentscheidenden Schlüssel zu
entwenden.
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