Die Frau heißt Erotica. Sie hat große Brüste. Wenn sie das erste Mal auftaucht, steht sie in einem Motorboot, hat ein blaues Oberteil an und eine dunkelblaue, kronenartig aufragende Kappe auf dem Kopf. Das Motorboot ist ein Fluchtmotorboot, sie wartet auf zwei Männer, die einen Safe knacken. Aber nur einer entkommt mit ihr.
Eine Kreisblende (!) später rennt Erotica fast nackt über den Strand. Sie behängt sich dann mit zwei Tüchern: ein halbdurchsichtiges legt sie um die Hüfte, ein komplett durchsichtiges über die Brüste, nicht um diese zu verbergen, sondern um sie zu akzentuieren, fast schon zu modellieren. Was insbesondere dann, wenn Erotica läuft (was sie häufig tut), sehr gut funktioniert. Der Kopf ist unbedeckt, das Haar offen. Alles flattert, alles bewegt sich. So bewegt sie sich fast durch den gesamten restlichen Film.
Erotica ist die Erotik jenseits der Scham und diesseits der Obszönität. Sie weiß, dass die Männer sie anstarren, wenn sie, mit zwei großen Obstbehältern behängt (zwei weitere Gewichte, zwei weitere bewegliche Elemente: Erotica wird endgültig zu einem physikalischen Phänomen) durch das Dorf läuft, um Besorgungen zu machen. Aber weder will der Film zeigen, dass sie die Blicke verabscheut und vor ihnen flieht, noch, dass sie sie anzieht und genießt. Es geht in den Szenen, die in langen, gleichmäßigen tracking shots fotografiert sind, lediglich um die Attraktion selbst, die die Frau darstellt, um das filmische und soziale Kraftfeld, das um sie herum entsteht.
"Pure" Erotik? Vielleicht... aber nicht im Sinne von ursprünglicher oder gar animalischer Erotik. Eher geht es dem Film darum, ein wissenschaftliches Modell (nicht aber: einen Versuch, soweit ist der Film noch nicht, die Daten, die er sammelt, sind noch nicht zweckgebunden) zu errichten: die Welt und die Menschen einmal nur unter ein, zwei Gesichtspunkten zu betrachten und dann schauen, was dabei herauskommt. Der Film ist hoch kontrolliert, die Menschen, die sich durch ihn bewegen, auch. Erotica stellt die Erotik als eine interindividuelle Bewegungskaskade dar, nicht als einen Trieb. Das zeigt sich auch, erst recht sogar, in den Szenen, die der zentralen Eifersuchtsgeschichte gewidmet sind. Denn der zweite Mann taucht bald wieder auf, erst als Teil einer Strafkolonie, dann als Flüchtender.
Anders als der ein wenig nervöse, fiebrige erste Mann, der auf die Selbstsicherheit Eroticas (wenn man nach dem Drehbuch geht, das aber wirklich nicht die geringste Rolle spielt für das, was der Film eigentlich ist, ist sie seine Frau) nicht eingehen kann, ist der zweite einer, der ihr entspricht. Bei jeder Gelegenheit zieht er sein Hemd aus, präsentiert den braungebrannten, durchtrainierten Oberkörper, der zwar nicht im selben Maße wie der Erotikas physikalisches Spektakel wird, der aber seine eigene Erotik als eine Art physikalisches Potential ausdrückt: jede Bewegung, jede Beugung des Körpers verweist auf eine Kraft, die sich nicht ganz realisieren kann, die aber selbst bei so alltäglichen Handlungen wie dem Austrinken einer Kokosnuss mitbezeichnet wird.
Weite Teile des Films spielen in einer Hütte, die auf einem Felsen am Rand eines Strandes aufgebaut ist. Abgeschieden von der Welt, aber nicht getrennt von ihr. Eine reduzierte Welt: ein Esstisch, eine Hängematte, ein Bett, immer wieder derselbe Blick durch ein Fischernetz hindurch auf den Sandstrand, der die Hütte mit dem Rest der Welt verbindet und den die Figuren immer wieder durchschreiten, in beide Richtungen. Erotica ist ein Film, der die Welt auf einige wenige, quasielementare Körper und deren Begehren, auf einige wenige, quasielementare Gegenstände, sowie schließlich auf die Elemente selbst (tosende Wellen...) reduziert, der aber dennoch alles andere als primitivistisch ist. Zum einen, weil der Film stets spekulatives, effektbewusstes Pulpkino bleibt und also stets darauf achtet, die Spannung zwischen den Körpern aufrecht zu erhalten; zum anderen, weil alles Elementare in einer sie kontrollierenden Form eingefasst bleibt.
Kaum eine Rolle spielen dabei die wenigen Dialoge, die einem weiß machen wollen, dass Erotica den zweiten Mann erst abweisen will, ihm dann aber verfällt. Tatsächlich geht es um Körperkonstellationen, die mit psychologischen Kategorien wie Eifersucht oder selbst Verlangen nicht kompatibel sind. Tatsächlich wird im Film ausnehmend wenig gesprochen. Sehr viele Szenen entfalten sich komplett wortlos, als quasimaterialistisches Körperkino, in dem (sichtbare, nicht blockierte) Blicke und (unsichtbares, zumeist blockiertes) Begehren wie Gewichte oder Magnete in einer physikalischen Versuchsanordnung eingesetzt werden.
Die beiden schönsten Konstellationen: Einmal tauchen die beiden Männer für Erotica im Meer nach Korallenschwämmen. Die Szene wird aus Eroticas Perspektive aufgefaltet: Sie blickt auf die unter dem Wasser schimmernden Männerkörper, sie nimmt, wenn die Männer kurz auftauchen, die Schwämme entgegen, wägt einen gegen den anderen Mann ab. Es geht aber nicht darum, dass sie eine Entscheidung fällt, einen Entschluss fasst, es geht nur darum, sie als abwägende Empfängerin von Begehren zu zeigen. Noch toller eine andere Sequenz: drei Körper bei der Arbeit. Der zweite Mann hat einen gewaltigen Stock in der Hand und zerstampft irgendetwas, Erotica bearbeitet mit einem Messer eine Kokosnuss, der erste Mann knüpft ein Netz. Eine ganze Weile schneidet Fernandez einfach nur zwischen diesen drei Handlungen hin und her. Aber diesmal zeigt er einen Kipppunkt. Die Kokosnuss öffnet sich, die Frau bewegt sich mit ihr nicht zum ersten, sondern zum zweiten Mann, präsentiert sie ihm, der da mit seinem Stab in der Hand posiert. Er nimmt sie ihr ab und trinkt, den Oberkörper expressiv zurückgebogen.
Eine "explizite" Metapher, klar, aber wiederum keine obszöne, weil sie in gewisser Weise den Geschlechtsverkehr nicht andeutet, sondern vollzieht: Nach den Regeln dieses großartigen, völlig wahnsinnigen Films kann Sex kaum anders aussehen. Tatsächlich gibt es in diesem freizügigen und an der Oberfläche von nichts anderem als von sexueller Eifersucht handelnden Film keine einzige "echte" Sexszene.
Auch noch erwähnenswert: Die Frau, Erotica, raucht. Und zwar spektakulärer als jede andere Frau in jedem anderen Film der Filmgeschichte.
Eine Kreisblende (!) später rennt Erotica fast nackt über den Strand. Sie behängt sich dann mit zwei Tüchern: ein halbdurchsichtiges legt sie um die Hüfte, ein komplett durchsichtiges über die Brüste, nicht um diese zu verbergen, sondern um sie zu akzentuieren, fast schon zu modellieren. Was insbesondere dann, wenn Erotica läuft (was sie häufig tut), sehr gut funktioniert. Der Kopf ist unbedeckt, das Haar offen. Alles flattert, alles bewegt sich. So bewegt sie sich fast durch den gesamten restlichen Film.
Erotica ist die Erotik jenseits der Scham und diesseits der Obszönität. Sie weiß, dass die Männer sie anstarren, wenn sie, mit zwei großen Obstbehältern behängt (zwei weitere Gewichte, zwei weitere bewegliche Elemente: Erotica wird endgültig zu einem physikalischen Phänomen) durch das Dorf läuft, um Besorgungen zu machen. Aber weder will der Film zeigen, dass sie die Blicke verabscheut und vor ihnen flieht, noch, dass sie sie anzieht und genießt. Es geht in den Szenen, die in langen, gleichmäßigen tracking shots fotografiert sind, lediglich um die Attraktion selbst, die die Frau darstellt, um das filmische und soziale Kraftfeld, das um sie herum entsteht.
"Pure" Erotik? Vielleicht... aber nicht im Sinne von ursprünglicher oder gar animalischer Erotik. Eher geht es dem Film darum, ein wissenschaftliches Modell (nicht aber: einen Versuch, soweit ist der Film noch nicht, die Daten, die er sammelt, sind noch nicht zweckgebunden) zu errichten: die Welt und die Menschen einmal nur unter ein, zwei Gesichtspunkten zu betrachten und dann schauen, was dabei herauskommt. Der Film ist hoch kontrolliert, die Menschen, die sich durch ihn bewegen, auch. Erotica stellt die Erotik als eine interindividuelle Bewegungskaskade dar, nicht als einen Trieb. Das zeigt sich auch, erst recht sogar, in den Szenen, die der zentralen Eifersuchtsgeschichte gewidmet sind. Denn der zweite Mann taucht bald wieder auf, erst als Teil einer Strafkolonie, dann als Flüchtender.
Anders als der ein wenig nervöse, fiebrige erste Mann, der auf die Selbstsicherheit Eroticas (wenn man nach dem Drehbuch geht, das aber wirklich nicht die geringste Rolle spielt für das, was der Film eigentlich ist, ist sie seine Frau) nicht eingehen kann, ist der zweite einer, der ihr entspricht. Bei jeder Gelegenheit zieht er sein Hemd aus, präsentiert den braungebrannten, durchtrainierten Oberkörper, der zwar nicht im selben Maße wie der Erotikas physikalisches Spektakel wird, der aber seine eigene Erotik als eine Art physikalisches Potential ausdrückt: jede Bewegung, jede Beugung des Körpers verweist auf eine Kraft, die sich nicht ganz realisieren kann, die aber selbst bei so alltäglichen Handlungen wie dem Austrinken einer Kokosnuss mitbezeichnet wird.
Weite Teile des Films spielen in einer Hütte, die auf einem Felsen am Rand eines Strandes aufgebaut ist. Abgeschieden von der Welt, aber nicht getrennt von ihr. Eine reduzierte Welt: ein Esstisch, eine Hängematte, ein Bett, immer wieder derselbe Blick durch ein Fischernetz hindurch auf den Sandstrand, der die Hütte mit dem Rest der Welt verbindet und den die Figuren immer wieder durchschreiten, in beide Richtungen. Erotica ist ein Film, der die Welt auf einige wenige, quasielementare Körper und deren Begehren, auf einige wenige, quasielementare Gegenstände, sowie schließlich auf die Elemente selbst (tosende Wellen...) reduziert, der aber dennoch alles andere als primitivistisch ist. Zum einen, weil der Film stets spekulatives, effektbewusstes Pulpkino bleibt und also stets darauf achtet, die Spannung zwischen den Körpern aufrecht zu erhalten; zum anderen, weil alles Elementare in einer sie kontrollierenden Form eingefasst bleibt.
Kaum eine Rolle spielen dabei die wenigen Dialoge, die einem weiß machen wollen, dass Erotica den zweiten Mann erst abweisen will, ihm dann aber verfällt. Tatsächlich geht es um Körperkonstellationen, die mit psychologischen Kategorien wie Eifersucht oder selbst Verlangen nicht kompatibel sind. Tatsächlich wird im Film ausnehmend wenig gesprochen. Sehr viele Szenen entfalten sich komplett wortlos, als quasimaterialistisches Körperkino, in dem (sichtbare, nicht blockierte) Blicke und (unsichtbares, zumeist blockiertes) Begehren wie Gewichte oder Magnete in einer physikalischen Versuchsanordnung eingesetzt werden.
Die beiden schönsten Konstellationen: Einmal tauchen die beiden Männer für Erotica im Meer nach Korallenschwämmen. Die Szene wird aus Eroticas Perspektive aufgefaltet: Sie blickt auf die unter dem Wasser schimmernden Männerkörper, sie nimmt, wenn die Männer kurz auftauchen, die Schwämme entgegen, wägt einen gegen den anderen Mann ab. Es geht aber nicht darum, dass sie eine Entscheidung fällt, einen Entschluss fasst, es geht nur darum, sie als abwägende Empfängerin von Begehren zu zeigen. Noch toller eine andere Sequenz: drei Körper bei der Arbeit. Der zweite Mann hat einen gewaltigen Stock in der Hand und zerstampft irgendetwas, Erotica bearbeitet mit einem Messer eine Kokosnuss, der erste Mann knüpft ein Netz. Eine ganze Weile schneidet Fernandez einfach nur zwischen diesen drei Handlungen hin und her. Aber diesmal zeigt er einen Kipppunkt. Die Kokosnuss öffnet sich, die Frau bewegt sich mit ihr nicht zum ersten, sondern zum zweiten Mann, präsentiert sie ihm, der da mit seinem Stab in der Hand posiert. Er nimmt sie ihr ab und trinkt, den Oberkörper expressiv zurückgebogen.
Eine "explizite" Metapher, klar, aber wiederum keine obszöne, weil sie in gewisser Weise den Geschlechtsverkehr nicht andeutet, sondern vollzieht: Nach den Regeln dieses großartigen, völlig wahnsinnigen Films kann Sex kaum anders aussehen. Tatsächlich gibt es in diesem freizügigen und an der Oberfläche von nichts anderem als von sexueller Eifersucht handelnden Film keine einzige "echte" Sexszene.
Auch noch erwähnenswert: Die Frau, Erotica, raucht. Und zwar spektakulärer als jede andere Frau in jedem anderen Film der Filmgeschichte.