Saturday, September 30, 2006

Die Staatstragenden, das Fernsehen und Karmakar; Notizen anlässlich des Symposiums "Neue Berliner Schule" im Berliner Filmmuseum

Die Veranstaltung begann durchaus hoffnungsvoll: nach einer Einführung durch Rainer Gansera, der sich die Erfindung des Begriffs "Neue Berliner Schule" auf die Fahne schreiben darf und der Verlesung dieses schönen Textes unterhalten sich Petzold, Arslan, Faroki, Christina Nord und andere tendenziell umsichtige, reflektierte Zeitgenossen über Ursprünge und Position der eigenen Filme, Abgrenzungen zum "filmischen Gammelfleisch" der Neunzigerjahre-Komödien, Primetime TV-Movies und den Geschichtspornos der Hirschbiegel / Becker Liga sowie das Für und Wieder von Schuss Gegenschuss. Deutlich wird das Moment, welches die Berliner Schule zumindest in ihren besten Momenten vom großen Rest der deutschen Filmproduktion unterscheidet: die genaue Reflektion der eigenen Mittel, die produktive Auseinandersetzung mit Filmgeschichte, die Ablehnung von Schlampigkeit einerseits und Manipulation andererseits.
Diesen Eindruck vermitteln jedoch vor allem die Mitglieder der sogensannten ersten Generation: Petzold, Arslan, Schanelec. Die jüngeren Regisseure legen im weiteren Verlauf der Veranstaltung gerne eine mir doch etwas zu staatstragende Attitüde an den Tag, aus der viel Anspruch an sich selbst spricht - was ja nicht schlecht sein muss, und sich anhand Filmen wie Falscher Bekenner oder Bungalow ja tatsächlich begründen lässt - aber sich manchmal mit einer weniger schönen form von Anspruchsdenken zu verbinden scheint. Dies drückt sich freilich weniger in den Redebeiträgen selbst aus, als in einem allzu sicheren Auftreten, in einer von anderen Teilnehmern zurecht gerügten Tendenz zum Floskelgebrauch, einer mancherorts durchscheinenden Geringschätzung des Technischen. Dies gilt sicher nicht für alle gleichermaßen, für Grisebach und Köhler schonmal überhaupt nicht. Doch gerade das Revolverumfeld: Nicolas Wackerbarth hat noch gar keinen Spielfilm gedreht, Heisenberg einen, Hochhäusler zwei. Nicht dass die nichts taugen - im Gegenteil. Aber mehr als ein Anfang ist das in keinem Fall. Und wenn Hochhäusler meint, wer sich im Europäischen Kino auskennen möchte, käme an den Filmen von ihm und seinen Kollegen nicht vorbei (das Zitat ist schon älter und stammt nicht vom Symposium) dann sagt dies wenn überhaupt mehr über das Europäische Kino aus als über die Neue Berliner Schule.
Richtig ärgerlich wird jedoch erst der letzte Teil der Veranstaltung. Zuerst labert Josef Schnelle irgendwas über eine neue Kinokultur oder sowas, was wir angeblich brauchen. Hollywood ist natürlich MacDonalds, Arthaus für Gourmets. Hach. Noch schlimmer: Annett Busch labert irgendwas über Claire Denis, argentinisches und deutschtürkisches Kino, Lola rennt, Die fetten Jahre sind vorbei, das Politische und das Private, den Film im Allgemeinen und will gar nicht aufhören, die Diktion stinkt fast noch mehr als der Rest von Inhalt, den man aus der Ferne auszumachen scheint. Hätte man sich ja denken können: Frau Busch schreibt für die spex. Noch viel schlimmer: Vertreter des Fernsehens sitzen auf dem Podium, erzählen irgendwas über das Potential dieser tollen jungen Regisseure, sie sollen ihren eigenen Weg machen, aber doch bitte mit etwas mehr Genre wenns geht, die Inhalte könnten ja in eine andere Form gebracht werden, oder war es andersrum? Sogar ein Vertreter der vielleicht sinnfreiesten Institution dieses an sinnfreien Institutionen nicht gerade armen Landes, der FBW sitzt da und schwadroniert etwas über die tollen, produktiven Gespräche in den Gremien mit ihren genauso tollen, überraschenden Ergebnissen (Petzolds Innere Sicherheit wurde erst 5:0 abgelehnt und nach Widerspruch plötzlich angenommen - mit demselben Ergebnis).
Zum Glück sitzt auch Karmakar auf dem Podium, macht sich in einem grandiosen Monolog über die gesamte Neue Berliner Schule lustig und schießt auch zumindest anfangs gegen die Fernsehvertreter, die sich dadurch natürlich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Überhaupt wäre es vielleicht keine schlechte Idee für einige der Regisseure aus diesem Umfeld, sich an Aussenseiter wie Karmakar, aber auch Thome oder Lemke zu orientieren, die Autorenfilm ohne Korpsgeist schaffen und sich dem System fast vollständig entziehen. Damit lässt sich natürlich nichts verändern, aber man ist die Fernsehplage los und vielleicht hört ja auch Annett Busch auf, über die Filme zu schreiben.
Ein anderer Aussenseiter (freilich einer innerhalb des Systems) war eingeladen, aber nicht erschienen. Dominik Graf liefert dennoch in einem email-Gespräch mit Petzold und Hochhäusler den vielleicht schönsten Satz des Symposiums:
"Ich wollte nach meinen ersten Filmen eine Filmografie wie Anthony Mann erwerben, das heißt: Filmen mit dem Schrotgewehr, also im Schnitt drei Western pro Jahr, denn irgendeiner wird dann schon dabei sein, der was taugt und mal ins Schwarze trifft."

2 comments:

Thomas said...

Hochhäusler berichtet.

Anonymous said...

Habe den Post über das Symposium „Neue Berliner Schule” eben zufällig gelesen. Wollte nur eine Sache berichtigen: Ich habe eben NICHT behauptet, man müsse unsere Filme kennen, wenn man sagen wolle, man kenne das Europäische Kino --- sondern im Gegenteil meinte ich, dass diese Qualität eben noch nicht erreicht sei...

(nachzulesen z.B. in dem Senses of Cinema-Interview mit Marco Abel)

Grüße, Christoph Hochhäusler