Saturday, September 30, 2006

Dealer, Thomas Arslan, 1999

Thomas Arslans hyperformalistisches Werk Dealer vollzieht die komplette Fragementarisierung der filmischen Zeichen in einer derart konsequenten Weise, dass einem fast Angst werden kann. Die sichtbare Welt verwandelt sich in "Layer", einzelne Schichten, die sich zweidimensionalen, regelmäßigen, grafischen Strukturen annähern, wo sie es nicht per se ohnehin sind (die den gesamten Film bestimmenden Tapeten, Mauermuster etc.). Alles verwandelt sich in strukturierte Fläche, die Bäume etwa bieten nicht etwa einen Ausweg aus der Berliner Großstadtwüste, sondern fügen sich perfekt in die flächigen Strukturen ein, in einen vollkommen parzellierten Raum, der keine Unterscheidung zwischen Öffentlich und Privat mehr kennt.
Um diesen Effekt zu erzielen, schreckt Arslan vor keiner Form der Stilisierung zurück: Voice-Over Kommentare, die das Leinwandgeschehen nicht erklären, nicht verdoppeln, sondern einfach mit einer weiteren Layer versehen verwendet er ebenso wie deutlich flächige, kontemplative Synthieklänge, die sich über die flächigen Bilder legen, ohne einen Ausweg zu öffnen. Im Gegenteil, auch die Klänge von Bohren und der Club of Gore und Konsorten dienen ausschließlich dazu, das Geschehen noch hermetischer in einem hoffnungslos durchstrukturierten Gesamtbild festzuhalten.
Die nicht auf Informationsweitergabe, nicht auf Figurenpsychologie, nicht auf Milieuschilderung ausgerichteten Dialoge stellen vielleicht das verwirrenste Element des Werks dar. Auch diese fungieren letzlich als eine weitere Strukturierungsleistung: die unterschiedlichen Sprachklischees, Tonfälle, letztlich sogar die unterschiedlichen Sprachen selbst werden in ihrer Differenz offen ausgestellt, ohne dass der Regisseur gleichmachend eingreifen würde (analog die Schauspielstile: Amateure spielen neben Berufsschauspielern, Arslan macht keinen Versuch, dies zu verstecken, ordnet die Figuren/Gespräche im Gegenteil in einer Weise an, die die Unterschiede deutlich macht und verschiedene, distinkte Pattern lesbar macht).
Selbst der stellenweise exzessive Einsatz von Weichzeichner, in der Neuen Berliner Schule eigentlich, zumindest noch 1999, fast ein Skandal, vollzieht dieselbe Bewegung, gleicht heterogenere Strukturen mit zuviel Tiefeninformation der flächigen Welt Arslans an.
Ein wunderbarer Film jenseits aller Sozialarbeiterklischees und doch vielleicht eine Spur zu bedrückend, zu perfekt in ein formales Korsett eingepasst. Natürlich ist zu begrüßen, dass Arslan naheliegende Auswege verschließt, die Körperlichkeit, die letzte Berührung zweier ehemals Liebenden führt genausowenig zur Erlösung wie der Versuch, eine andere strukturelle Position im System einzunehmen: in der zwar komplexeren, aber letztlich genauso formalisierten Küche des Restaurants scheitert der Dealer Can vor allem deshalb, weil deren Strukturen sogar von seinem Körper Besitz zu ergreifen drohen: er stinkt nach billigem Fett.
Doch was dann? Am Ende stehen Bilder der Stadt frei von Menschen, leere Räume, Straßenzüge und Häuserblocks. Erst jetzt scheint Berlin bereit zu sein für echtes Leben, für organische Materialität jenseits der unendlichen Parzellierung.

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