Schon von Undercover Ibiza ziemlich begeistert gewesen vor ein paar Tagen, dann ein wenig genervt von Das Flittchen und der Totengäber (Wolfgang Fierek und Cleo Kretschmer wiederverheiraten sich in Vegas, aus der Lemke-Insiderperspektive hat das natürlich trotzdem was), jetzt mit einem unglaublichen Film zurück in die frühen Siebziger. Da ist noch alles möglich, es gibt schon die völlige Freiheit und Offenheit, das Unbehauene im Schauspiel der späteren Filme, aber gleichzeitig gibt es auch noch echte Kinoträume im Fernsehen, vor allem ein Fotoshooting auf dem World Trade Center, wahnwitzige Hubschrauberaufnahmen drehen sich an Sylvie und den Fotografen heran, die trotzdem winzig klein bleiben vor der Weltstadtkulisse; so etwas habe ich in einem deutschen Film noch nie gesehen und überhaupt, die ersten zehn Filmminuten in New York: ein reines Delirium, nach dem Shoot geht es mitten rein in die Straßen, ein schwarzer Prediger wird verhaftet, dazwischen posiert schon wieder Sylvie, nicht mehr auszumachen, was da los ist, was inszeniert ist und was nicht, ob es da überhaupt noch eine Instanz Regie gibt, oder ob das nur noch ein paar Verrückte sind, von denen einer zufällig eine Kamera dabei hat (Lothar E. Stickelbrucks dreht heute u.a. Forsthaus Falkenau). Etwas später in der U-Bahn fast wieder etwas zuviel "echtes Kino", stilisierte Großaufnahmen, im Hintergrund rauscht unscharf die U-Bahn durch, so etwas hat Lemke später nicht ganz zu Unrecht aus seinem Repertoire verbannt. Aber trotzdem ist es schön, dass es hier noch einen direkten Bezug zur Cinephilie der Sechziger gibt, zu Filmen wie Strategen, 48 Stunden bis Acapulco, Thomes Rote Sonne.
Sylvie Winter und Paul Lys (aus Paul und Rocker) spielen so etwas ähnliches wie sich selbst, sie tragen die eigenen Vornamen und werden auseinander und aus ihren jeweiligen wilden Erzählungen und Geständnissen nie so recht schlau. Beide bekommen gelegentlich in Voice-Over-Kommentaren zu Wort, aber es ist nicht etwa so, dass sie dann zu einer überlegenen Perspektive fänden, das bleibt alles genau so unsicher und tastend. Einmal beobachtet Paul Sylvie während eines Fotoshootings (mehrere Shootings gibt es im Film, eines aggressiver als das andere, eines geht beinahe in eine Vergewaltigung über), man hält seine Stimme erst für einen Voice-Over, aber dann schwenkt die Kamera und man sieht, dass er tatsächlich redet, halb vor sich hin, halb in Richtung Sylvie und Fotograf, derartige Überschreitungen gibt es immer wieder, nie geht es da um Distanznahme oder gar Verfremdung, es gibt einfach eine Energie in diesem Paul, die irgendwohin muss, die sich nicht in klassische, auf Zurückhaltung, Aufschub ausgerichtete Szenenauflösungen kanalisieren lassen kann (Sylvie dagegen kann auch mal eine ganze Weile still stehen und von der Großaufnahme beobachtet werden, sie gehorcht da aber auch keiner Drehbuchökonomie, es sind einfach nur Pausen, die als Pausen schön und richtig sind oder gar nicht).
Der Film ist zu diesem Zeitpunkt schon längst wieder in Deutschland, aber auch da kommen Sylvie und Paul nie zur Ruhe, es geht von Hamburg nach Frankfurt und München und wieder zurück, fast ausschließlich spielt Sylvie auf Flughäfen (Paul mit winzigem Blumenstrauß), in Zügen (Sylvie schaut in die Abteile, entgegen blickt ihr bundesdeutsche Spießigkeit, genauer gesagt blickt diese gerade nicht entgegen, sie schaut auf den Boden, zur Seite, weg von der Kamera, weg vom Kino, in dem sie nichts zu suchen hat), in Taxis (eine Taxifahrt Hamburg-Frankfurt), in Hotelzimmern. Überall will der Film hin, nur nicht in die Wohnzimmer (Pauls Mutter ruft zwar an, aber der Film folgt ihm nicht beim Besuch), das ewige und unbedingte Unbehagen am Hier und Jetzt, der ungeordnete, unberechenbare, ganz und gar vortheoretische Widerstand gegen die erdrückende Macht des Faktischen (die in den Eisenbahnwagons lauert) ist die einzige Form von Kritik, die diesem Film zugänglich ist und vielleicht auch die einzige, die mich voll und ganz mitnimmt. Keine Haltung eines Autoren ist das, die sich da durchdrückt, keine Position, eher steckt ein Ungenügen in den Bildern selbst und treibt sie an; keine existenzielle Verzweiflung auch in den Figuren, schon weil: Frankfurter Würstchen zum Beispiel gibt es wirklich (wenn auch nicht im Luxushotel) und sie schmecken gut; aber das kann nicht alles gewesen sein. Dann fährt man eben woanders hin, mit dem Zug, mit dem Taxi, am Ende mit dem Schiff und man fühlt sich dabei vorsichtig in Hollywoodmelodramen hinein, kuschelt sich im Schlafwagen sanft aneinander, auch wenn der Schaffner schon mehrmals an der Abteiltür geklopft hat. Die Abschiedstränen am Ende wären auch noch als falsche echter als das Leben, das jenseits des von Kinobildern heimgesuchten ewigen Transitraums wartet.
Die schönste Szene spielt aber noch in New York. Sylvie lässt sich von Paul anrufen (der Anruf kostet 80 DM, genau so viel, wie Paul an einem Tag als Taxifahrer verdient), sie reden ein bisschen miteinander, fordern sich gegenseitig auf, zu reden, den Anfang zu machen, eine Beziehung zu gründen auf nichts als diesem einen Anruf, den beiden Stimmen und dem Geld, das mit jeder Sekunde Sprechen anfällt. Am Ende des Gesprächs hält Sylvie den Telefonhörer aus dem Fenster in die Straßen New Yorks: "Das ist hier wie im Krieg!". So funktioniert Liebe im Lemke-Kino. Sie gibt den Hörer frei, überantwortet ihren Liebsten dem aufregenden Lärm, ermöglicht ihm für einen Moment eine ungerichtete, völlig freie Erfahrung.
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