Der einzige Film, den ich über die Ferien und wer weiß, vielleicht sogar über das gesamte letzte Jahr im regulären Fernsehprogramm gesehen habe, war der erste Winnetou-Film. Ich konnte kaum glauben, wie großartig der Film ist. Kaum zu glauben:
-Wie die Mexikanerin in der Bar in wenigen Szenen aufgebaut und dann in einer einzigen Einstellung eiskalt abserviert wird.
-Wie die Kamera immer wieder zu schweben beginnt.
-Wie großartig der Bösewicht ist: Mario Adorf als Santer (Bad Santa am ersten Weihnachtsfeiertag), man sieht seinen gegeelten Haaren an, was das Wort "gerissen" bedeutet. Es gibt keinen Exzess an dieser Figur, sie ist reines Kalkül.
-Wie Santer stirbt: Er klammert sich mit den Fingerspitzen an die Felsen, unter ihm die Speere in der Erde. Die eine, ab sofort unvergessliche Einstellungen, die von schräg unten die ganze Situation erfasst: Die spitzen Pfeile am Boden des Bildes, oben der todgeweihte, hilflos zappelnde Santer. Wenige Western sind so brutal wie Winnetou - 1. Teil. Es gibt keinen Exzess an dieser Brutalität, sie ist reines Kalkül.
-Wie transparent dieses "rein eskapistische Unterhaltungskino" eigentlich ist; denn natürlich sieht man sofort, dass hinter den blonden (hinter dem "Ingenieur" Old Shatterhand, der sein Heimatland liebt und doch eine Indianerin liebt) und indianisch geschminkten Helden kroatische Extras stehen.
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Schade, dass selbst bei Leuten, die sich mit dem europäischen Genrekino viel besser auskennen als ich (bei den Eskalierenden Träumern zum Beispiel), die deutschen Western keinen guten Stand zu haben scheinen, obwohl zumindest dieser hier neun von zehn mir bekannten Italowestern haushoch überlegen ist (Rainer Knepperges: "Man muss die deutschen Western wiedersehen, um zu sehen, wie sehr sie den italienischen um Jahre voraus waren"). Da wird dann immer auf den Klamauk geschimpft, als stünden Sam Hawkins und der britische Fotograf einem anderen, besseren Film im Weg. Ich glaube das nicht, die haben auch ihre Funktion, sie helfen dabei, diesen eigenartig deutschen wilden Westen noch ein wenig eigenartiger und deutscher zu machen. Und dass das Deutsche in den Filmen in der gleichen Bewegung seinerseits immer eigenartiger wird, ist vielleicht das allerschönste an diesem Film (den mit irgendwelcher, natürlich ganz und gar unerträglichen aber gewissermaßen an der Oberfläche der Dialoge abperlenden Karl-May-Ideologie abzugleichen ich nicht die geringste Lust habe).
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Damit wurde der Film beworben: Santer lässt den Briten tanzen.
15 comments:
Ich habe die Filme als Kind und in früher Jugend geliebt und dann etwas später quasi die filmgeschichtliche Entwicklung nachvollzogen, indem ich langsam von ihnen zum Italowestern übergewechselt bin und seither auch noch nicht wieder wirklich den Weg zurück gefunden habe. Deswegen habe ich auf meiner kürzlichen DÖS-Liste zwar die Karl-May-Filme (ebenso Wallace, habe bei beiden Reihen quasi alles irgendwann gesehen) eingangs als prägend erwähnt, aber keinen einzelnen Filmtitel direkt auf die Liste genommen, weil es mir schwer gefallen wäre, guten Gewissens einen Favoriten zu benennen, nachdem ich die allermeisten der Filme einfach viel zu lange nicht gesehen habe. Und einfach nur aus nostalgischen Gründen was zu nennen, schien mir auch falsch. Danke aber auf jeden Fall für die Anregung, da mal wirklich eine größere Wiederbegegnung mit den Filmen in Angriff zu nehmen. Gleichzeitig scheint mir aber, dass du wiederum den Italowestern unterschätzt, wenn hier (sicher polemisch zugespitzt, aber hab sowas in der Richtung schon mal gelesen) was von "neun von zehn mir bekannten Italowestern haushauch überlegen" steht. Allzu weit über Leone/Corbucci/Sollima hast du dich aber vermutlich noch nicht rausgewagt? Eigentlich müsste gerade deine Vorliebe für bestimmte Spielarten des B-Movies dir dort sehr entgegen kommen. Gibt jedenfalls einiges zu entdecken, wobei mich Christoph mit seinem 2011er-IW-Flash mittlerweile sicher deutlich überholt hat, was dieses Gebiet angeht.
naja, die ein von zehn italowestern, die reinl nicht, oder zumindest nicht haushoch unterlegen sind, sind halt gerade leone / corbucci (/ castellari) und der eine film, den ich von sollima kenne:) ich bin da sicher kein spezialist, das stimmt schon...
die leone/corbucci/sollima/castellari-filme zählen als ein film? versteh ich nich ;)
aber ungeachtet solcher unorthodoxen arithmetik, würde ich insofern prinzipiell schon recht geben, wenn man den italowestern nicht nur von seinen meisterwerken her betrachtet, sondern in seiner mengenmäßigen breite als ganzes. da ist es schon bemerkenswert wie rasant man in schlonz- oder handwerklich mal eben so noch passable, aber völlig uninteressante regionen vorstößt, sobald man die erste und zweite reihe hinter sich gelassen hat.
Ich nehme an, dass die Anspielung auf Eskalierende Träume und den ungeliebten Klamauk im deutschen Western ein Stück weit auch auf meinen jüngeren Kommentar zu WINNETOU UND SEIN FREUND OLD FIREHAND bezogen war? Ein Film, der wirklich nicht zu vergleichen ist mit Reinls Filmen und bewusst - aber eben auch mit einem sehr "eigenartigen und deutschen" Blick auf den Italowestern schielt, was ich an sich als sehr reizvolle Reibung empfunden habe, weil der in seiner Genre-Ikonographie häufig widersprüchliche Vohrer, ähnlich dem Italowestern (zumindest der B-Italowestern, den ich inzwischen interessanter finde als den A-Italowestern), im, hm "Querschnitt" eher zum Exzess als zum Kalkül neigt (interessante und doch naheliegende Überlegung übrigens. "Des hat's bei mir net gebm, diese ganze Sex- und Gewaltscheiße!" - Zitat Reinl, 1985).
Das ist sehr interessant an der Gewalt bei Reinl und Vohrer - ich wollte darüber auch schon einmal beinahe einen eigenen Text schreiben. Darüber, das Ersterer, für seine konservative "Familienfreundlichkeit" bekannt ist, im Endeffekt aber nicht selten zu extremen Sadismen neigt, die mit stoischer Gedult ausgebreitet werden, während Letzterer, eigentlich als der Sadist unter den Constantin-Hausregisseuren berüchtigt, für mich eher durch eine (das klingt jetzt sicherlich daneben) "empathischere", vorzugsweise im Affekt verweilende, irgendwo auch flüchtigere Gewalt auffällt - nicht so sehr an eine Funktion von Filmgewalt gebunden, mehr an dem Aufbrechen der Zuschauerdistanz interessiert, aber auch wieder nicht. Was letztlich doch weniger unangenehm bleibt, weil es sich nicht wie das Ergebnis einer Entscheidung anfühlt, eben nicht wie Kalkül - ein möglicherweise persönlicheres Verhältnis zur "Schmerzerzeugung". Reinl will dagegen oft nur Reaktionen stiften. Er ist sowieso ein Musterbild eines Mainstream-Regisseurs gewesen, im Guten wie im Schlechten.
Ich war früher begeisterter von dem, was ich bei Reinl als überraschend gelassenes teutonisches Äquivalent zum sog. amerikanischem Craftmanship empfand - eine erneute Sichtung von DIE NIBELUNGEN vor etwa zwei Jahren ernüchterte mich jedoch sehr, der Film schien noch nicht einmal interessant (das ist sehr harsch von mir denn es fallen mir eigentlich in fast allen Filmen interessante Dinge zu) oder widersprüchlich in seinen Verfehlungen auf dem verschlungenen Weg zum mythischen Kintopp, sondern nur leblos routiniert, Bilder auf Knopfdruck.
Vermutlich ist dir (und einer neuen Perspektive auf WINNETOU I) das alles zu auteurroristisch gedacht, aber man darf vermutlich nicht außer Acht lassen, dass ich zu diesen Filmen, die ich über die Jahre immer und immer wieder gesehen habe, möglicherweise ein wesentlich distanzloseres Verhältnis habe als du (?) - wie du über WINNETOU I schreibst, hat mich sehr neidisch werden lassen, das klingt nach einem exotischen Erlebnis, einer Reihe überraschender Beobachtungen, einem Füllhorn zufällig entdeckter, teilweise fast abstrakter filmischer, vielleicht: "Urmomente" (ein solches, exotisches Erlebnis hatte ich vor Kurzem mit DER FÖRSTER VOM SILBERWALD, aber das ist wieder etwas ganz Anderes). Meine Sicht auf diese Filme ist verunreinigt und befangen, ich weiß inzwischen auch viel zuviel über ihre Entstehung (dem als Panoramaschwenk über die deutsche Filmindustrie der 60iger unentbehrlichen, aber auch desillusionierenden Karl May-Filmbuch von Michael Petzel sei Dank).
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Lange Rede ohne Sinn: Der deutsche Western hat bei mir eigentlich derzeit überhaupt keinen konkreten Stand (und wenn doch, so sicherlich einen geneigten) er fasziniert mich sehr und er überrascht mich immer noch (auch FIREHAND hat das getan), allerdings werde ich die Karl May-Filme die ich, wie Andreas, teils seit Jahren nicht mehr gesehen habe, noch etwas ruhen lassen, da es noch soviel Anderes, mir völlig Unbekanntes gibt - vor Kurzem habe ich einige faszinierende Ausschnitte aus Rolf Olsens DER LETZTE RITT NACH SANTA CRUZ (1964) gesehen, der all diese kulturellen Western-Masken, die du eigentlich auch ein Stück weit beschreibst im Text, völlig anders zusammenzusetzen scheint als die Rialto-Filme das tun - und dabei trotzdem absolut Deutsch bleibt, geradezu erstaunlich unberührt vom Italowestern, und nur stellenweise markant überkreuzt mit dem US-Western.
Das sind keine Vergleiche. Man stellt solche Überlegungen nach einer gewissen, in der Masse auch eines jungen Cineastenlebens doch sehr ansehnliche Menge von Western ganz automatisch, wie im Schlaf an. Ich habe immer das Gefühl, dass es nicht damit getan ist, eine Faszination am oder sogar Euphorie fürs Genre allgemein festzustellen - entscheidend ist wohl vielmehr, in welche Richtung das Interesse an erzählerischer, ideologischer, ästhetischer und struktureller Ökonomie zeigt. Ich spekuliere darüber manchmal, wenn ich (immer aufs Neue begeistert) Texte von Rainer Knepperges lese, bei dem ich den Genreansatz des alten amerikanischen Studiokinos als Ideal vermute.
Du schreibst, der Film sei neun von zehn dir bekannten Italowestern haushoch überlegen. Was bedeutet dieses "überlegen"? Worin überlegen, warum über die riesige Schlucht hinweg überlegen, die alleine schon cinekulturell zwischen deutschem und italienischem Western klafft (und die ich keinesfalls als tragisch empfinde, falls dieser Eindruck entstanden sein sollte), unter welchen Gesichtspunkten überhaupt überlegen?
Um für mich eine Überlegenheit empfinden zu können, müsste sich einmal, ganz von selbst, einer dieser Filme mir, ohne Zwang, einfach so, als Projektionsfläche öffnen, und für eine assoziative Rezeption. Genau das hat WINNETOU I offenbar für dich getan, ich beneide dich sehr darum. Wie du vielleicht an meinem ratlosen und vermutlich eher schal und wirr-unergiebig wirkenden Geschreibe ablesen kannst, hängt der Text mir nach. Ich habe das aus dem Hinterkopf heraus deprimierende Gefühl, dass ich diese vertrauter als vertrauten Filme niemals so für ihre Widersprüche, Genreaffinität und Brüche offen sehen werde können, als seien sie einfach "irgendwelche" Filme und nicht DIESE Filme. Sehr schade.
PS: Ich fand Ralf Wolter, Chris Howland, Eddi Arent, Dieter Borsche und die meisten anderen Komiker der May-Filme immer toll, nie hinderlich und stets wechselhaft interessant, auch später noch. Ich könnte mir diese Filme nicht ohne sie vorstellen und fühlte (eher als dachte), dass sie dabei halfen, "diesen eigenartig deutschen wilden Westen noch ein wenig eigenartiger und deutscher zu machen." Das Deutsche daran habe ich auch als Kind schon so empfunden und Sam Hawkens war eindeutig die Brücke vom deutschen Wohnzimmer, in dem ich saß, in die jugoslawische Steppe, wie ein drolliger Touristenführer (die Eltern erzählten immer wieder, stolz auf ihr Wissen, dass das nicht amerikanische, sondern jugoslawische Hügel seien).
PPS: Vielleicht unter diesem Gesichtspunkt besonders interessant für dich: DAS VERMÄCHTNIS DES INKA, angeblich der humoristischste Karl May-Film, eine gigantische Independent-Produktion (!) der fortan verschuldeten Brüder Franz und Georg Marischka sowie nachweislich und unglaublicherweise der Lieblings-May von Alexander Kluge und Rudolf Thome.
@ Thomas:
Vielleicht einige Beispiele für Schlonz aus uninteressanten Regionen, nur aus Neugierde, vielleicht als Anregung, sowie zur leichteren Einschätzung dieser Bemerkung?
Meine Italowestern-Retrospektive ist noch nicht abgeschlossen, vor manchen Dingen (z. B. den berüchtigten Filmen von Gianni Crea) drücke ich mich noch - diese Feigheit muss aufgeweicht werden, es war mein erklärtes Ziel, von allem zu kosten, auch einige als völliger Schrott verrufene Bastelwestern zu sehen (bisher bin ich nur zu den Filmen des Demofilo Fidani vorgedrungen - nicht sehr schön oder freudvoll anzusehen, aber viel zu interessant und seltsam, um sie zu ignorieren).
Da haben wir ja zufälligerweise das Gleiche im Fernsehen geschaut. Und da ich selbst auch keinen Fernsehanschluss besitze, ist das höchst interessant, wie man sich da über Grenzen hinweg nachmittags zufällig die gleichen Bilder durch den Kopf gehen lässt. Für mich ar das auch eine Wiederbegegnung und Neuentdeckung, da ich zum einen diesen Film nur durch zappen in Ausschnitten kannte (nachdem ich als Kind und glühender Karl-May-Western-Verfilmungen-Fan davon erfuhr, dass Winnetou am Ende der Trilogie stirbt, habe ich einfach alle drei Filme wie die Pest gemieden, da kein Interesse – Winnetou darf nicht sterben…), und zum Anderen die letzten 5 Jahre sporadisch dabei bin mir die deutschen Western wieder „anzueignen“. Ich war zwar ebenso in Teilen positiv überrascht, aber richtige Begeisterung ist bei mir bei diesem Film nicht aufgekommen (und die einzelnen Filme unterscheiden sich wie die zahlreichen Italowestern dann doch immer, auch wenn im Nachhinein alles zu einem Einheitlichen (höchstens nach Land getrenntem) Bilderbrei tendiert). Hatte das Gefühl, alles in dieser Art und in dieser Weise auch anderswo (vor allem im deutschen Film) ebenso gut gesehen zu haben. Was jetzt nicht den Film abwertet, aber eine Offenbarung bei der Sichtung definitiv verunmöglicht. Meine Favoriten in ähnlichen Gefilden sind immer noch Robert Siodmaks „Der Schatz der Azteken“ und „Die Pyramide des Sonnengottes“ (1965).
Was ich aber sehr gerne mal machen würde: mehrere deutsche Western auf der Kinoleinwand zu bewundern. Denn die Kameraarbeit genieße ich meist ebenfalls in großen Zügen. Wobei einen großen Anteil für mich auch die unglaublich interessanten Musikalischen Motive einnehmen. Habe die letzten Monate sicher über Hundertmal auf meinem Handy Böttcherschen Klängen gelauscht, und ich finde es überaus schade, dass die Scores vieler Karl May Verfilmungen trotz der Popularität einzelner Melodien nicht ausführlicher (Wieder)aufgelegt worden sind.
Den wunderschönen Satz von Knepperges finde ich aber weiterhin rätselhaft, da ich persönlich eher Richtung Christoph und seinen Aussagen zum Italo-B-Film (welch ein Widerspruch in sich, aber tatsächlich: die gab es zu Hauf) neige. Dieses Kalkül, diese Klarheit. Das kommt für mich relativ klar vom amerikanischen Genrefilm der 40er und 50er. Auch der unachtsame Umgang mit Statisten (in diesem Fall Kroaten und weitere Jugoslawen). Und daran hat sich der Italowestern ja zunächst (bis spätestens 1965) hauptsächlich ebenso orientiert. Das deutsche in den deutschen Western ist aber in der Tat in erstaunlichem und höchstem Maße eigen(willig). Das hat mich als (nicht deutschstämmiges) Kind immer stark irritiert.
Vermutlich wird aber retrospektiv dieses von Thomas schon benannte handwerklich saubere den deutschen Western angekreidet, und das hingerotzte, teilweise erbärmlich zusammengeklaubte mancher Italowestern scheint inzwischen ihre Stärke und ihren Reichtum zu begünstigen. Zeiten ändern sich.
PS: Sorry Christoph, dass ich auf deine längeren Kommentare gar nicht eingehe. Habe sie aber bewusst ausgelassen, da wir uns dazu ja schon früher ausgiebig unterhalten haben, und das in zukunft auch weiterhin machen können). Für mich als Emigranten ist das ja alles nochmal eine ganz andere Perspektive (auch wenn ich als Kind ja eine zeitlang ebenfalls großer Winnetou-Filme-Fan war). Aber zu „Das Vermächtnis des Inka“ muss ich mich doch kurz äußern. Das war vor ca. 1, 2 Jahren nämlich einer der wenigen Filme den ich in meinem Leben abbrechen musste, weil er mich schon nach einer Stunde unfassbar angeödet hat. Ich werde mich sicher in Zukunft irgendwann zu einem erneuten Anlauf aufraffen, aber für mich sah alles nach einer Massenkarambolage auf der Autobahn aus. Aber aus dieser Hinsicht vielleicht ganz interessant (wenn auch meiner Meinung nach qualvoll zum anschauen). Habe mir für einen zweiten Versuch aber erstmal vorsichtshalber das Buch gekauft, das dann auch Aussichten hat mein erster gelesener Karl May Roman zu werden.
Was den Italowestern so überlegen einflussreich gemacht hat ist weniger sein zynisches Verhältnis zum Erzählen, zu Plot und Figuren als seine Beziehung zu den Mitteln des Kinos, und wichtiger noch, sein Verhältnis zum Dekor. Beides Fronten, wo Reinl nichts oder doch sehr wenig zu bieten hat, in biedermännischer Tradition der Nazi-ufa steht.
C.H.
ohne, dass ich ihn jetzt noch einmal gegen den sicher im posting unfair behandelten italowestern ausspielen wollen würde: ich kenne von reinl fast nichts, die winnetou-trilogie und einige seiner wallacefilme habe ich in meiner kindheit gesehen, bewusst einen reinlfilm gesehen habe ich zu weihnachten jetzt das erste mal. was framing und kameradynamik des ersten winnetoufilms angeht: das kam mir absolut makellos, höchstens im guten sinne klassizistisch, nicht biedermännisch, vor. in der tat ist aber das dekor sonderbar und gewissermaßen auf eine andere, eindeutigere art deutsch als das dekor in italowestern italienisch ist. eine genealogie zu den ufa-filmen der 30er oder auch zu riefenstahl, bei der reinl als assistent arbeitete, kann man vielleicht ausfindig machen (ich kann das nicht), aber dann wäre ja immer noch die frage, was er mit diesem erbe macht.
@christoph
namen habe ich da nicht groß parat, da ich die meisten filme mir oft gar nicht dem namen nach gemerkt hatte, bzw. die namen eh immer irgendwie aus versatzstücken zusammengesetzt sind, bzw da ich viele der filme nach einer weile eh hoffnungslos abgeschaltet hatte :-)
aber so prinzipiell als orientierung: viel von dem, was im spätprogramm der dritten programme von einem sender zum nächsten weitergereicht wird und in der regel erstmal keinen sonderlich bekannten namen vorzuweisen hat, fällt in die kategorie des b-/c-italowesterns. aber auch viel aus der billig-schiene auf dem dvd-markt (und ärgerlicherweise auch manches aus der immer wieder interessanten "regenbogen"-edition von koch media) zähle ich dazu: selbst noch den oft gelobten "seine kugeln pfeifen das todeslied" etwa fand ich sterbenslangweilig, obwohl ferdinando baldi zwei jahre später den großartigen "blindman" und noch später den anerkannt wahnwitzigen "comin at ya" drehen sollte (vom sleazeball "horror-sex im nachtexpress" ganz zu schweigen). "ohne dollar keinen sarg", besetzt immerhin mit tomas milian, war für mich auch eher ein langeweiler. da beide filme unter eingefleischten italowestern-komplettisten noch immer einen recht guten ruf haben, würde ich also final zur orientierung sagen: alles, was bei dieser klientel nur als solider bis mittelmäßiger film durchgeht, steht bei mir quasi unter "wahrscheinlich nicht sonderlich gut"-verdacht. (was im übrigen ja nicht heißen soll, dass ich dem italowestern skeptisch gegenüber stehe - mit über 20 originaldvds und nochmal knapp soviel aufzeichnungen im archiv bin ich ja durchaus "interessiert" :-) )
"schlonz" ist in dem zusammenhang vielleicht auch einfach nicht das richtige wort, da darin schon wieder eine schlummernde qualität des hingerotzten, des gegenüber konventionen widerborstigen, wenn nicht sogar eine qualität der poesie des filmisch vermüllten liegt. um was es mir geht: filme, die binnen weniger tage schnell und ohne größere widerständigkeiten runtergedreht wurden, übliche geschichten leicht hüftlahm erzählen, sich stark am ästhetischen und inhaltlichen mittelmaß orientieren und im kintopp der 60er und 70er nach kurzer, saalbespielender auswertung in der profitzone lagen und somit ihr primärziel erreicht haben.oftmals ging es bei den produktionen ja auch wirklich nur darum, möglichst rasant material ranzuschaffen, um die damals noch vielen säle und den noch nicht monomatisch auf einzelne events gebürsteten betrieb ordentlich auszulasten.
dass es in diesem sand noch immer einige rohe nuggets zu heben gibt, will ich im übrigen auch gar nicht bestreiten.
@C.H.
hier würde ich eben, siehe oben, nochmal unterscheiden wollen. für die prestigefilme von leone gilt dies unzweifelhaft, aber schon bei corbucci, der munter zwischen erster, zweiter und dritter reihe des italowesterns umhersprang, ist das bereits enorm konjunkturabhängig. dann gibt es die guten handwerker, film-rabauken und kino-maniker wie sergio sollima, enzo g. castellari und ein paar weitere, für die das auch noch weitgehend geltung hat. jenseits dieser prominenten namen wird's aber eben oft schon etwas zäh, was die von dir angesprochenen qualitäten des italowesterns betrifft. kein wunder: wir reden hier von einem fließbandartigen produktionszusammenhang, der in seiner (mengenmäßigen, nicht unbedingt qualitativen) hochphase rund 100 filme pro jahr auf den markt spülte (von denen wiederum ein großer teil auch tatsächlich den sprung zB nach deutschland schaffte)
Was den Italowestern so überlegen einflussreich gemacht hat ist weniger sein zynisches Verhältnis zum Erzählen, zu Plot und Figuren als seine Beziehung zu den Mitteln des Kinos, und wichtiger noch, sein Verhältnis zum Dekor. Beides Fronten, wo Reinl nichts oder doch sehr wenig zu bieten hat, in biedermännischer Tradition der Nazi-ufa steht.
Sollte das eine Karikatur sein?
Zum Rest würde ich mich demnächst gerne noch kurz äußern (@ Thomas).
@Christoph
Wieso Karikatur?
Mein Punkt ist der des Einflusses auf das Mainstream-Kino. Wie schlecht einzelne Italo-Western auch sein mögen: ihr „visueller Existenzialismus” war stilprägend.
CH
Nein, ich bezog mich eher auf die Art und Weise, wie Sie in Ihrem Kommentar mehr oder minder Italowestern und Krautwestern gegeneinander ausspielten. Das hatte in Art und Tonfall etwas von Enno Patalas, Joe Hembus und Konsorten an sich und weckte negative Nostalgien.
Patalas und Hembus sind Helden für mich. Aber ich habe ein bisschen steif formuliert, das gebe ich zu.
C
Ben Parker in Artforum:
„THE HISTORY OF SPAGHETTI WESTERNS is a series of increasingly diluted copies and diminishing returns. The first movie in the genre, Sergio Leone’s A Fistful of Dollars (1964), is already doubly derivative. Not only an unofficial remake of Akira Kurosawa’s Yojimbo (1961), A Fistful of Dollars is also a B-movie repetition of John Sturges’s The Magnificent Seven, which had turned Kurosawa’s Seven Samurai (1954) into a star-studded Hollywood western in 1960. And the hundreds of spaghetti westerns that followed in the wake of A Fistful of Dollars consisted mostly of imitations and spurious sequels of one film: Sergio Corbucci’s Django (1966), itself a loose reworking of the major elements of A Fistful of Dollars. A movie like Django Kill . . . If You Live, Shoot! (1967) is therefore at some remove from its original material in Yojimbo.”
http://artforum.com/film/id=31121
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