Thursday, January 19, 2012

Reckless, James Foley, 1984 (American Eighties 15)



Der ultimative Film zum Themenkomplex Hgh-School-Football / Deindustrialisierung / Provinzialität / jugendlicher Neonsex (neben der Heizungsanlage des swimming pools) / Perspektivlosigkeit / new wave. Überhaupt fast der einzige amerikanische new-wave-Film, der mir gefällt. Der Titelschriftzug zu Beginn erinnert an den von Flashdance, ästhetisch passt das schon irgendwie, nur ist eben Flashdance der schlimmste Film seit Jud Süß (und vor Jud Süß - Film ohne Gewissen) und Reckless ist wunderschön.
Nach dem Schriftzug geht es gleich los mit rauchenden Schornsteinen, die Titel kommen erst am Ende, erst da habe ich gesehen, dass Michael Baullhaus die Kamera gemacht hat (seine zweite amerikanische Arbeit, nach Sayles' ebenfalls tollem Baby It's You), eigentlich hätte ich das spätestens während des Schulballs erkennen müssen, wenn sich die Kamera manisch um den völlig enthemmten, sowieso unglaublich guten Aidan Quinn dreht, wie der zu "Never Say Never" von Romeo Void tanzt (aber was heißt das hier: tanzt; das ist ein kompletter Selbstverlust). Eine der schönsten Szenen des Achtzigerkinos, die man sich dank der Verbrecher von der GEMA auf Youtube nicht (bzw nur stumm) ansehen kann.
Als hätte Leos Carax ein Remake von All the Right Moves (auch schön, obwohl lange nicht dasselbe Niveau: Tom Cruise als streberisch-rebellischer Footballstar, schwangere Teenie-Mädchen, die davon genervt sind, dass jeder "ihren Bauch fühlen" möchte); und als hätte er den final cut dann doch nicht bekommen. Aber auch das Schiefe gefällt am Film, die Klischees der Hollywooderzählung, die in die Bilder hineinwirken. Genau wie die Bilder selbst immer nur haarscharf am Kitsch vorbeischrammen und manchmal auch komplett umkippen, wie die Industriepanoramen gelegentlich doch nur noch dekorativ, wallpaper sind. Die Kunst des Films besteht darin, am Kitsch vorbeischrammen und daraus Funken zu schlagen, könnte man sagen, das Schiefe an dieser Metapher entspräche dann dem Schiefen des Films, aber warum Reckless dann trotzdem so großartig ist, hat man damit natürlich noch nicht hinreichend erklärt.
Die Industriepanoramen sind nicht einfach nur Teil des Films oder seiner Diegese, sie durchdringen ihn, sie kleben direkt vor dem Fenster der Schule, sie sind ganz ohne Zweifel das, woran die Schüler denken, wenn sie in Vorbereitung auf den "career day" (dessen Planung und Durchführung den Film rahmt) auf Karteikarten angeben, was für Pläne sie für die Zukunft haben. "Weg von hier" schreibt Aidan Quinn. Sein Vater arbeitet unter Tage und ist Alkoholiker, manchmal muss der Sohn ihn mit dem Motorrad abholen, er setzt ihn dann hinter sich auf die Maschine und bindet ihn mit einer Metallkette an sich.
Aidan-Denis Quinn-Lavant und Daryl Hannah, deren blasses, schmales Gesicht und aufgeplusterte Lippen zu dem Schiefen gehören, das den Film so großartig macht, in der Poolszene, die natürlich von Tourneurs Cat People abgeschaut ist. Aber auch das darf dieser Film. Danach geht es in den Heizungskeller.



8 comments:

Whoknows said...

Ich musste beim Schriftzug auch gleich an den verhassten "Flashdance" denken. Es gibt allerdings ein noch schlimmeres Machwerk: "Footloose" (1984) von Herbert Ross. Was so schlimm daran ist: Meine Mutter ist ein unheilbarer Kevin Bacon-Fan und gab keine Ruhe, bis sich das Ding in meiner DVD-Sammlung befand.

Anonymous said...

Hm nee, das hat nichts mit der GEMA zu tun, das hat der Contentbesitzer selber runternehmen lassen.

Lukas Foerster said...

danke, hatte ich übersehen. so oder so muss für solche sachen dringend eine vernünftige fair-use-regelung her.

Christoph said...

"..nur ist eben Flashdance der schlimmste Film seit Jud Süß (und vor Jud Süß - Film ohne Gewissen) und Reckless ist wunderschön."

Hach, was sind das nur für groteske Übertreibungen, müssen es zwangsläufig sein! Ich kenne bisher leider keinen dieser drei Filme (bis auf die letzte halbe Stunde des ersten), aber ob sie wirklich solcher Tiraden würdig sind? In jedem Fall ein ansprechend extremer Vergleich. Möglicherweise kann ich mich selbst eher zu einer Sichtung von JUD SÜSS antreiben (wird von mir seit über zwei Jahren prokrastiniert und prokrastiniert), wenn ich ihn ganz trocken mit FLASH DANCE kombiniere.

Christoph said...

PS: RECKLESS klingt natürlich nach deinen Ausführungen toll und sieht auch toll aus.

Sano said...

Vielleicht in diesem Kontext auch eine Sichtung für den 86er Jahrgang wert: Foleys wie ich finde sehr gelungener "At Close Range".

Thommy said...

Den vergleich zu Jud Süss find ich ja auch nen bisl seltsam, und Flashdance ist doch nen super Ding ;)

John said...

Ja, "At Close Range" fand ich auch gut. Besonders die ersten Momnente: Sean Penn am Steuer, nachts, sein junges Rebellengesicht, dazu ein Madonna-Song, den ich eigentlich immer lau fand, und der sich hier doch in kitschiger Erhabenheit einfügt.
Dass der Film (für mich) den Zauber des Anfangs dann nicht zu 100 Prozent ins Ziel bringt - sei's drum.