Toll ist, wie der Film sich mit den Figuren durch die Straßen bewegt und wie er sie dabei beobachtet, wie sie andere Figuren beobachten, wie sich erotische Konstallationen zusammenfügen, wie sie umgebaut werden, wie sie sich wieder auflösen. Wie sich da Blicke und Bewegungen aneinander- und wieder entkoppeln, wie da in der ersten Filmhälfte großartig instabile Situationen entstehen, zum Beispiel während einer Einkaufstour von John Ritter (der ist sowieso toll) und Colleen Camp (die auch), während der die beiden sich einer anderen Gruppe anschließen, auf die beide ein erotisches Interesse richten, das nicht so ganz kanalisiert werden kann.
Toll ist auch noch die erste erfolgreiche Kontaktaufnahme Ritters mit Dorothy Stratten (die ist leider nicht so toll): auf der Rollerskatebahn, eine Slapsticknummer, die sich plötzlich in ein romantisches Zweierportrait übersetzt, das sehr eindeutig auf das klassische Hollywoodkino verweist. Das ist eine sehr schöne Form von filmhistorischer knowingness, dezidiert prä-Tarantino, eine liebevolle Instrumentalisierung von Filmgeschichte als einem utopischen Raum nur ganz knapp (nur einen Schnitt) neben dem Leben. Ganz ganz toll ist in diesem Zusammenhang natürlich auch, was der Film mit Audrey Hepburn macht.
Weniger toll ist leider, wie sich in der zweiten Filmhälfte die gesamte Konstellation verhärtet, wie da eine neue Ökonomie des Begehrens etabliert wird. Das Problem sind nicht die Paarbildungen: einige Paare bilden sich, einige andere Paare bilden sich gerade nicht. Die anfangs befreiten Blicke und Bewegungen sind in beiden Fällen auf ähnliche Weise gefesselt, entmachtet worden. Jede Figur, jede Figurenkonstellation ist alsbald durchdefiniert, wiederholt nur noch dieselben Muster. Besonders deutlich im Fall der Taxifahrerin, die am Anfang des Films das Freigeistige schlechthin zu verkörpern scheint und die dann doch demselben zyklischen Prinzip unterworfen wird wie alle anderen Figuren des Films. Der Film wechselt sozusagen die Perspektive, von Innen, von einer zumindest halbnahen Position (der der indirekten Rede Pasolinis vielleicht?) nach Außen, zu einem panoramischen Gesellschaftsportrait, das etwas Bedrückendes an sich hat, gerade weil es selbst glaubt, das Portrait einer befreiten Gesellschaft zu sein.
Friday, October 26, 2012
Thursday, October 25, 2012
Viennale 2012: Empfehlungen
Donovan's Reef (John Ford, 1963), Tabu (Miguel Gomes, 2012), La Madre (Jean-Marie Straub, 2012), Anders, Molussien (Nicolas Rey, 2011), Chiri (Naomi Kawase, 2012), Death Row (Werner Herzog, 2012), Into the Abyss (Werner Herzog, 2011), Nuclear Nation (Funahashi Atsushi, 2012), One Way Boogie Woogie 27 Years Later (James Benning, 2005), Parabeton (Heinz Emigholz, 2012), The Creation As We Saw It (Ben Rivers, 2012), Terrore nello spazio (Mario Bava, 1965), The Thing (John Carpenter, 1981), Skazanie o zemle Sibirskoj (Ivan Pyryev, 1947), Dressed to Kill (Brian de Palma, 1980), Ruinas (Manuel Mozos, 2009), Ins Blaue (Rudolf Thome, 2012), Fritz Lang Retrospektive
Tuesday, October 23, 2012
Vincere, Marco Bellocchio, 2009
Begeistert hat mich auch Vincere, obwohl ich andererseits durchaus nachvollziehen kann, warum der Film damals nicht so rundum positiv aufgenommen wurde wie vorher Boungiorno, notte. In seiner extremen Stilisierung - das digital intermediate, durch das der Film in der Postproduktion hindurchgejagt wurde, hat ihm nicht gut getan - und seinem ich denke schon auch programmatischen Verzicht auf alle Subtilitäten (schon beim ersten Sex mit Ida Dalser reckt der junge Benito Mussollini seine lustverzerrte, effektvoll ausgeleuchtete Mine solange und so ausdauernd gen Kamera, dass die Verbindung von Libido und faschistischer Ikonografie einen regelrecht anspringt; die großartige Krankenhausszene wurde dann später im Kino nervös weggelacht) schließt er an Bellocchio todernst gemeinten Sleaze-Arthaus-Hybriden der Achtziger an - von denen ich bisher allerdings nur La visione del sabba kenne, aber es kommt mir schon so vor, als ob in dieser wirren, gleichwohl faszinierenden Hexenglorifizierung etwas erprobt wird, was in Vincere dann perfektioniert wird: die Indienstnahme von im engen Sinne exploitativen Bildern für affektvermittelte Kritik. Wie das sexuelle Begehren in La visione del sabba wird auch das einfühlende Mitleiden in Vincere von Anfang an auf- und anschließend nie widerrufen, sondern in Verbindung gebracht mit gesellschaftlichen Kontexten, deren Bruchstellen gerade im Begehren, bzw dem Mitleiden aufscheinen.
Bewundert habe ich in Vincere vor allem auch die Konsequenz, mit der Bellocchio sein eigentlich wahnwitziges Projekt zu Ende führt: Die Verschiebung der großen Männergeschichte auf eine marginalisierte Frau, was auch bedeutet, dass der Film, sobald die Faschisten tatsächlich die Herrschaft übernommen haben, fast ausschließlich in einer psychiatrischen Klinik spielt. Wie es ihm gelingt, den Faschisten im Laufe des Films tatsächlich ihr gesamtes kulturelles Kapital wegzunehmen: die Marschlieder, die erst von den Braunhemden, später dann von den Frauen in der Psychiatrie gesungen werden, die Mussollini-Reden, die gezeigt, aber direkt danach nachgeäfft werden, die Physiognomie der Macht, die sich in der des - vom selben Schauspieler gespielten - illegitimen Sohnes des Diktators spiegelt; und ja tatsächlich auch den Namen "Benito Mussollini" selbst.
Neu sind dagegen in diesem Film, scheint mir, die kinoreflexiven Szenen. Sowohl der Einsatz von Archivmaterial selbst, als auch der andauernde Rückbezug auf die Vorführsituation. Berührt hat mich insbesondere die Chaplin-Vorführung in der Psychiatrie, die Tränen Ida Dalsers beim happy end. Ich glaube, ich habe Bellocchios Film gebraucht, um endlich Chaplin zu begreifen; zu begreifen, dass gerade in dem, was mich immer wieder störte, in dem viktorianischen Melodram, das da so oft und so ausdauernd in die technikgesättigten Slapstickrpoutinen hineinragt, das eigentlich Geniale dieser Filme verborgen ist.
Bewundert habe ich in Vincere vor allem auch die Konsequenz, mit der Bellocchio sein eigentlich wahnwitziges Projekt zu Ende führt: Die Verschiebung der großen Männergeschichte auf eine marginalisierte Frau, was auch bedeutet, dass der Film, sobald die Faschisten tatsächlich die Herrschaft übernommen haben, fast ausschließlich in einer psychiatrischen Klinik spielt. Wie es ihm gelingt, den Faschisten im Laufe des Films tatsächlich ihr gesamtes kulturelles Kapital wegzunehmen: die Marschlieder, die erst von den Braunhemden, später dann von den Frauen in der Psychiatrie gesungen werden, die Mussollini-Reden, die gezeigt, aber direkt danach nachgeäfft werden, die Physiognomie der Macht, die sich in der des - vom selben Schauspieler gespielten - illegitimen Sohnes des Diktators spiegelt; und ja tatsächlich auch den Namen "Benito Mussollini" selbst.
Neu sind dagegen in diesem Film, scheint mir, die kinoreflexiven Szenen. Sowohl der Einsatz von Archivmaterial selbst, als auch der andauernde Rückbezug auf die Vorführsituation. Berührt hat mich insbesondere die Chaplin-Vorführung in der Psychiatrie, die Tränen Ida Dalsers beim happy end. Ich glaube, ich habe Bellocchios Film gebraucht, um endlich Chaplin zu begreifen; zu begreifen, dass gerade in dem, was mich immer wieder störte, in dem viktorianischen Melodram, das da so oft und so ausdauernd in die technikgesättigten Slapstickrpoutinen hineinragt, das eigentlich Geniale dieser Filme verborgen ist.
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Il Principe di Homburg, Marco Bellocchio, 1997
Ein paar wirre Beobachtungen...
Eine mehrmals wiederholte Einstellungsfolge zeigt einen Blick aus dem Fenster: Zuerst ist ein Fensterrahmen zu sehen, durch den man auf eine in einen Garten führende Brücke blickt. Dann wird der Rahmen weggenommen, es sind nur noch, alles ein wenig näher, größer, die Brücke und der dahinterliegende Garten im Bild. Rahmen abwechselnd setzen und wegnehmen, das ist das Prinzip des Films (nicht erklärt ist damit die Engführung der Brücke). Was jeweils Rahmen ist, wechselt. Ein Rahmen ist der Bühnenrahmen, der Rahmen des Theaters, des Theaterstücks "Prinz Friedrich von Homburg oder die Schlacht bei Fehrbellin", auf dem der Film basiert. Das Bühnenhafte manifestiert sich immer wieder in Totalen, die den Räumen etwas statisches Verleihen, den Gegenständen in ihnen etwas von Requisiten, den Menschen etwas von Darstellern, die sich zu einem realen Bühnenraum (nicht zum Illusionsraum des Kinos) verhalten müssen. Das Theaterhafte an diesen Einstellungen hat manchmal etwas mit Beleuchtung zu tun (Schattenspiele, die hinter die technischen Möglichkeiten des Kinos zurückfallen: eine Armee, die vorbeimarschiert und doch nur ihren Schatten an die Wand wirft), vor allem aber damit, dass die Totalen in krassem Gegensatz stehen zum Rest des Films: den intimen Zweiergesprächen, aus denen weite Teile des Films bestehen, den Unschärfen, in die der Hintergrund sonst meist getaucht ist.
Ein anderer Rahmen ist der preußische Staatsapparat. In einer der schönsten Szenen dieses großartigen Films scheint der Prinz diesen Rahmen durch die bloße, faszinierte Aussprache des italienischen Wortes "la tromba" (soviel schöner als die deutsche "Trompete") zu sprengen: Die militärische Lagebesprechung entgleist an diesem einen Wort, zu dem sich allerdings noch der Blick auf eine Frau gesellt. Vielleicht geht es im Rest des Films um nichts anderes, als um den Versuch, den in Folge einer eigentlich willkürlichen Tagträumerei aus den Fugen geratenen Rahmen wieder einzusetzen. Selbstverständlich ist Kleists Stück (das ich nie komplett gelesen habe, vor allem deshalb muss hier alles wirr und vage bleiben) und damit auch der Film komplexer.
Noch einmal die Unschärfen, emblematisch gleich zu Beginn: wie der Prinz aus einem gänzlich verschwommenen Schlachtengetümmel auftaucht, für einen kurzen Moment als scharfgestelltes Gesicht aufblitzt, sich umwendet, weiterreitet; ein Schlüssel zur Interpretation ist sicherlich die spiegelbildliche Unschärfe, die sich in den Prolog/Epilogszenen dem schlafwandelnden Prinzen jeweils von hinten nähert, ihn dann an- und zur Ordnung ruft; diese narrative Rahmung ist möglicherweise die letztgültige, die einzige, die nicht auflösbar ist; wenn ich ihn richtig verstanden habe, meinte D. (der sich mit Kleist unendlich besser auskennt als ich) nach dem Film etwas in diese Richtung. In letzter Konsequenz hieße das, dass auch die Tagträumerei und das Schlafwandeln wieder produktiv gemacht werden für die Staatsraison. Ich bin mir da immer noch nicht ganz sicher, was mich (und vielleicht auch die diversen Rahmungen) irritiert, ist vor allem das flackernde Licht in der Schlussszene, das die Symmetrie aufbricht und mir zumindest auch etwas ganz Neues, in den Begriffen der Macht nicht Fassbares und "im Rahmen dieses Films" nicht mehr Darstellbares anzuzeigen scheint.
Eine mehrmals wiederholte Einstellungsfolge zeigt einen Blick aus dem Fenster: Zuerst ist ein Fensterrahmen zu sehen, durch den man auf eine in einen Garten führende Brücke blickt. Dann wird der Rahmen weggenommen, es sind nur noch, alles ein wenig näher, größer, die Brücke und der dahinterliegende Garten im Bild. Rahmen abwechselnd setzen und wegnehmen, das ist das Prinzip des Films (nicht erklärt ist damit die Engführung der Brücke). Was jeweils Rahmen ist, wechselt. Ein Rahmen ist der Bühnenrahmen, der Rahmen des Theaters, des Theaterstücks "Prinz Friedrich von Homburg oder die Schlacht bei Fehrbellin", auf dem der Film basiert. Das Bühnenhafte manifestiert sich immer wieder in Totalen, die den Räumen etwas statisches Verleihen, den Gegenständen in ihnen etwas von Requisiten, den Menschen etwas von Darstellern, die sich zu einem realen Bühnenraum (nicht zum Illusionsraum des Kinos) verhalten müssen. Das Theaterhafte an diesen Einstellungen hat manchmal etwas mit Beleuchtung zu tun (Schattenspiele, die hinter die technischen Möglichkeiten des Kinos zurückfallen: eine Armee, die vorbeimarschiert und doch nur ihren Schatten an die Wand wirft), vor allem aber damit, dass die Totalen in krassem Gegensatz stehen zum Rest des Films: den intimen Zweiergesprächen, aus denen weite Teile des Films bestehen, den Unschärfen, in die der Hintergrund sonst meist getaucht ist.
Ein anderer Rahmen ist der preußische Staatsapparat. In einer der schönsten Szenen dieses großartigen Films scheint der Prinz diesen Rahmen durch die bloße, faszinierte Aussprache des italienischen Wortes "la tromba" (soviel schöner als die deutsche "Trompete") zu sprengen: Die militärische Lagebesprechung entgleist an diesem einen Wort, zu dem sich allerdings noch der Blick auf eine Frau gesellt. Vielleicht geht es im Rest des Films um nichts anderes, als um den Versuch, den in Folge einer eigentlich willkürlichen Tagträumerei aus den Fugen geratenen Rahmen wieder einzusetzen. Selbstverständlich ist Kleists Stück (das ich nie komplett gelesen habe, vor allem deshalb muss hier alles wirr und vage bleiben) und damit auch der Film komplexer.
Noch einmal die Unschärfen, emblematisch gleich zu Beginn: wie der Prinz aus einem gänzlich verschwommenen Schlachtengetümmel auftaucht, für einen kurzen Moment als scharfgestelltes Gesicht aufblitzt, sich umwendet, weiterreitet; ein Schlüssel zur Interpretation ist sicherlich die spiegelbildliche Unschärfe, die sich in den Prolog/Epilogszenen dem schlafwandelnden Prinzen jeweils von hinten nähert, ihn dann an- und zur Ordnung ruft; diese narrative Rahmung ist möglicherweise die letztgültige, die einzige, die nicht auflösbar ist; wenn ich ihn richtig verstanden habe, meinte D. (der sich mit Kleist unendlich besser auskennt als ich) nach dem Film etwas in diese Richtung. In letzter Konsequenz hieße das, dass auch die Tagträumerei und das Schlafwandeln wieder produktiv gemacht werden für die Staatsraison. Ich bin mir da immer noch nicht ganz sicher, was mich (und vielleicht auch die diversen Rahmungen) irritiert, ist vor allem das flackernde Licht in der Schlussszene, das die Symmetrie aufbricht und mir zumindest auch etwas ganz Neues, in den Begriffen der Macht nicht Fassbares und "im Rahmen dieses Films" nicht mehr Darstellbares anzuzeigen scheint.
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Wednesday, October 10, 2012
in passing (u.a. American Eighties 23)
Falling in Love, Ulu Grosbard, 1984
Die erste Szene des Films, in der sich Robert de Niro und Meryl Streep kunstvoll verfehlen, ist toll und gleichzeitig doch noch das angestrengteste in diesem hochsouveränen Liebesfilm von erstaunlicher moralischer Ernsthaftigkeit. Es geht um eine Liebe, die zu spät kommt, die lange im Transitbereich bleibt (ein Melodram unter den Bedingungen des Pendler-Lebens) und die, als sie schließlich doch noch den Transitbereich verlässt, zwei Leben zerreißt. Und es geht um die Spuren, die die Liebe in den Gesichtern hinterlässt. Genauer gesagt hinterlässt sie die Spuren nur in Streeps Gesicht (unglaublich schöne Großaufnahmen!), de Niros Gesicht verliert sich eher (in einer tollen Busfahrtszene) in seinem eigenen Spiegelbild. Dabei hat de Niro eigentlich mehr zu verlieren, nämlich Jane Kaczmarek.
Shakedown, James Glickenhaus, 1988
Ein Eighties-New-York-Film to end all Eighties-New-York-Filme. Es gibt wohl kaum kein Achtziger-Jahre-sleaze-Epos, das nicht auf irgendeinem der allgegenwärtigen marquees der Innenstadtkinos, vor denen sich die atemberaubenden Verfolgungsjagden des Films abspielen, beworben wird. Die Art, wie der Film auf die mean streets blickt, ist fast schon wieder post-hysterisch: richtig viel Terror enthalten die Bilder nicht mehr, sie sind schon weitgehend abgedichtet gegen jene Erfahrungen, die zB in Exterminator vom selben Regisseur noch recht unverstellt Tema sind; man bewegt sich mit der Kamera durch die Großstadt wie durch einen etwas zu gruslig geratenen Vergnügungspark, der touristische Blick kulminiert einmal in einer zestörerischen Autofahrt durch eine Obdachlosensiedlung, die die Kuba-Sequenz aus Bad Boys 2 vorweg zu nehmen scheint. Gleichzeitig ist Shakedown Glickenhaus' nominell liberalster und technisch bester Film.
Melo, Alain Resnais, 1986
Einer der schönsten Filme, die ich dieses Jahr gesehen habe. Es kommt mir vor, als ginge es darum, eine Materialität von Gefühl zu destillieren, die in klassischen Melodramen eher Ahnung bleibt, als tatsächlich verwirklicht werden zu können, in postklassischen Melodramen negiert wird und erst in einem neoklassischen Melo (ohne -dram?) ganz zu sich selbst kommen kann.
Man Wanted, Benny Chan, 1995
Noch einmal ein Chan-Film im alten, intensiven Stil. Diesmal dominieren allerdings nicht mehr die Höhen, das Melodiöse des Kanto-Pop (kommt aber schon auch noch vor, keine Angst), sondern fiebrig-repetitive, perkussiv unterfütterte Klavieranschläge. Ein Cop, der sich undercover mit einem Gangsterboss angefreundet hat und nach einem halb missglückten Zugriff nicht vollständig zu Unrecht von seinem Boss verdächtigt wird, von der Unterwelt verunreinigt worden zu sein. Aber der Film stellt sich, das ist das Tolle, auf die Seite des Unreinen. Der Cop (Simon Yam in einer Wahnsinnsrolle) will die Frau des Gangsterbosses, verliert seine eigene Frau, wird unter Drogen gesetzt, sinkt immer tiefer in immer wildere Farbtiefen. Dazu immer wieder dasselbe treibende Klavier; dem entkommt niemand, trotz happy end.
Abbasso il zio, Marco Bellocchio 1961
Wie hier kommentiert: Bisheriges Highlight der Bellocchio-Filmschau ist für mich (neben I pugni in tasca) dieser frühe Kurzfilm über vier Jungs und zwei Friedhöfe. Bis zum travelling (nach knapp der Hälfte des Films) wusste ich nicht so recht, was ich da sehe: einen Dokumentarfilm über Bestattung und Erinnerungskultur, hatte ich vermutet. Die Kamerafahrt, die in einer flüssigen Bewegung nicht so sehr einem Jungen folgt (der verschwindet währenddessen mehrmals aus dem Bildraum), als dass sie von einer Bewegung erfasst wird, an der neben ihr und dem Jungen auch noch andere Menschen und vielleicht auch Gedanken, Erinnerungen und so weiter Teil haben, hat den Film für mich völlig verwandelt.
Die erste Szene des Films, in der sich Robert de Niro und Meryl Streep kunstvoll verfehlen, ist toll und gleichzeitig doch noch das angestrengteste in diesem hochsouveränen Liebesfilm von erstaunlicher moralischer Ernsthaftigkeit. Es geht um eine Liebe, die zu spät kommt, die lange im Transitbereich bleibt (ein Melodram unter den Bedingungen des Pendler-Lebens) und die, als sie schließlich doch noch den Transitbereich verlässt, zwei Leben zerreißt. Und es geht um die Spuren, die die Liebe in den Gesichtern hinterlässt. Genauer gesagt hinterlässt sie die Spuren nur in Streeps Gesicht (unglaublich schöne Großaufnahmen!), de Niros Gesicht verliert sich eher (in einer tollen Busfahrtszene) in seinem eigenen Spiegelbild. Dabei hat de Niro eigentlich mehr zu verlieren, nämlich Jane Kaczmarek.
Shakedown, James Glickenhaus, 1988
Ein Eighties-New-York-Film to end all Eighties-New-York-Filme. Es gibt wohl kaum kein Achtziger-Jahre-sleaze-Epos, das nicht auf irgendeinem der allgegenwärtigen marquees der Innenstadtkinos, vor denen sich die atemberaubenden Verfolgungsjagden des Films abspielen, beworben wird. Die Art, wie der Film auf die mean streets blickt, ist fast schon wieder post-hysterisch: richtig viel Terror enthalten die Bilder nicht mehr, sie sind schon weitgehend abgedichtet gegen jene Erfahrungen, die zB in Exterminator vom selben Regisseur noch recht unverstellt Tema sind; man bewegt sich mit der Kamera durch die Großstadt wie durch einen etwas zu gruslig geratenen Vergnügungspark, der touristische Blick kulminiert einmal in einer zestörerischen Autofahrt durch eine Obdachlosensiedlung, die die Kuba-Sequenz aus Bad Boys 2 vorweg zu nehmen scheint. Gleichzeitig ist Shakedown Glickenhaus' nominell liberalster und technisch bester Film.
Melo, Alain Resnais, 1986
Einer der schönsten Filme, die ich dieses Jahr gesehen habe. Es kommt mir vor, als ginge es darum, eine Materialität von Gefühl zu destillieren, die in klassischen Melodramen eher Ahnung bleibt, als tatsächlich verwirklicht werden zu können, in postklassischen Melodramen negiert wird und erst in einem neoklassischen Melo (ohne -dram?) ganz zu sich selbst kommen kann.
Man Wanted, Benny Chan, 1995
Noch einmal ein Chan-Film im alten, intensiven Stil. Diesmal dominieren allerdings nicht mehr die Höhen, das Melodiöse des Kanto-Pop (kommt aber schon auch noch vor, keine Angst), sondern fiebrig-repetitive, perkussiv unterfütterte Klavieranschläge. Ein Cop, der sich undercover mit einem Gangsterboss angefreundet hat und nach einem halb missglückten Zugriff nicht vollständig zu Unrecht von seinem Boss verdächtigt wird, von der Unterwelt verunreinigt worden zu sein. Aber der Film stellt sich, das ist das Tolle, auf die Seite des Unreinen. Der Cop (Simon Yam in einer Wahnsinnsrolle) will die Frau des Gangsterbosses, verliert seine eigene Frau, wird unter Drogen gesetzt, sinkt immer tiefer in immer wildere Farbtiefen. Dazu immer wieder dasselbe treibende Klavier; dem entkommt niemand, trotz happy end.
Abbasso il zio, Marco Bellocchio 1961
Wie hier kommentiert: Bisheriges Highlight der Bellocchio-Filmschau ist für mich (neben I pugni in tasca) dieser frühe Kurzfilm über vier Jungs und zwei Friedhöfe. Bis zum travelling (nach knapp der Hälfte des Films) wusste ich nicht so recht, was ich da sehe: einen Dokumentarfilm über Bestattung und Erinnerungskultur, hatte ich vermutet. Die Kamerafahrt, die in einer flüssigen Bewegung nicht so sehr einem Jungen folgt (der verschwindet währenddessen mehrmals aus dem Bildraum), als dass sie von einer Bewegung erfasst wird, an der neben ihr und dem Jungen auch noch andere Menschen und vielleicht auch Gedanken, Erinnerungen und so weiter Teil haben, hat den Film für mich völlig verwandelt.
Wednesday, October 03, 2012
Century of Birthing, Lav Diaz, 2011
Schon wieder eine gute Woche ist es her, dass ich Lav Diaz' A Century of Birthing gesehen habe. Es war der erste lange Diaz-Film, den ich mir zuhause komplett angesehen habe; das ging erstaunlich gut, man muss sich nur fest vornehmen, auch wirklich dran zu bleiben, nie länger als fünf Minuten Pause zu machen. Man muss sich dem Aggressiven an der Form dieser Filme, ihrem Anspruch, über das eigene Leben in anderer Weise als der Kinoalltagsbetrieb zu gebieten, stellen, sonst verfehlt man etwas an ihnen, glaube ich.
A Century of Birthing ist Diaz' schwierigster Film, zumindest an der Oberfläche. Ihm fehlt die strukturelle Klarheit der anderen Filme, fast wirkt es, als schaue man einem Filmprojekt zu, das in Zeitlupe und sehenden Auges entgleist. Das ist natürlich auch eines der Themen des Films: Die Schaffenskrise eines Regisseurs, der an einem Film namens "Woman of the Waves" arbeitet und aus nicht genau bestimmbaren Gründen auf der Stelle tritt. Man sieht ihn vor dem Computerbildschirm, wie er im Schnittprogramm den Film durchlaufen lässt, mal schnell durch die Bilder scannt, mal eine Szene am Stück schaut. Man schaut dann mit ihm mit und der Film im Film springt aus dem Computerrahmen, füllt den gesamten Bildraum. Es geht im Film im Film um eine Frau, die gerade ein Kloster verlassen hat, weil sie von Zweifel geplagt wird und das Leben (und vor allem ihren eigenen Körper) kennenlernen will.
Die Geschichte der Frau, die Geschichte des Regisseurs, dann noch die Geschichte einer Sekte, die ebenfalls einen Jungfrauenkult pflegt und die von außen, von einem Fotografen erschlossen wird (Akte der Aufzeichnung prägen den gesamten Film und fast immer ist der Akt des Aufzeichnens mit Schmerzen verbunden). Diese dritte Geschichte - eigentlich die erste, der Film beginnt mit einer großartigen Diaz-Einstellung, die eine Art Initiationsritus zeigt und die auch schon den religiösen Singsang einführt, der dann im späteren Film wieder und wieder auftaucht, einfach nicht mehr aufhört - steht in einem etwas unklaren Verhältnis zum Film im Film: Eine weitere Frau verlässt die Sekte, allerdings nicht freiwillig und nicht, um ihre Jungfräulichkeit zu verlieren, sondern weil sie ihre Jungfräulichkeit bereits verloren hat. Irgendwann scheint der eine auf den anderen Film überzugreifen und am Ende beide auf das Leben des Regisseurs.
Ein toller Film, mit vielen Bildern, die mich noch lange verfolgen werden (das apokalyptische Ende der Sekte! Die Frau, die, während es hinter ihr stürmt und regnet, vor dem Gitter steht und dem Regisseur eine Offenbarung vorträgt, als sei sie eine auf der Erde wandelnde Göttin!) aber einer, der ein wenig aus der Balance geraten zu sein scheint. In allen Diaz-Filmen sind unheilige Märtyrer zentral, Menschen, die das Übel gleichzeitig auf sich nehmen und mit ihm verstrickt sind. Meistens ist das aber nur eine Figur (in Evolution... gibt es zwar ebenfalls mehrere, aber da tauchen sie nacheinander auf), die sich dann in Konflikt setzt mit anderen, bodenständigeren Menschen. In Century of Birthing dagegen scheint sich diese Figur aufgespaltet zu haben, in mindestens drei Figuren: den Regisseur (der den Nachnamen Homer trägt und lange Gespräche über Filmtheorie führt), ein Sektenmitglied (der fanatischste von allen, der am Ende dann umso grundsätzlicher zu zweifeln beginnt), den Fotografen (der ist der schlimmste der drei); aber auch die beiden Frauen sind auf ihre Weise unheilige Märtyrerinnen.
In gewisser Weise ist Century of Birthing ein nach Innen gewendeter Film. Aber das Innen ist nicht mehr, wie in Melancholia, die Erinnerung, die begraben war und aufgedeckt werden muss, über Spiele, Verkleidungen, Sprechakte und zuletzt doch ganz klassisch über eine Rückblende; sondern eher eine Schizophrenie, die sich gegen Bilder sperrt, die die Bildproduktion unterbricht, fragmentiert, mit sich selbst kurzschließt, die falsche Anfänge und inkohärente Anschlüsse hervorbringt. Nicht mehr geht es darum, so lese ich zumindest das erratische Ende, etwas zu entdecken, sichtbar zu machen (einen Film zu Ende zu drehen), sondern eher darum, los zu lassen, verrückt zu werden, nicht mehr auf falschen Identitäten zu bestehen.
Wie gesagt, ein toller Film. Dennoch hoffe ich, dass er nicht, dass er den Weg vorgibt, den Diaz in Zukunft gehen möchte. Denn es liegt in der Bewegung, die der Film ahnen lässt (und die durchaus auch schon in Melancholia vorgeprägt war), ein Moment der Abschottung von einem Außen, das mich in Diaz' Kino doch nach wie vor interessiert.
A Century of Birthing ist Diaz' schwierigster Film, zumindest an der Oberfläche. Ihm fehlt die strukturelle Klarheit der anderen Filme, fast wirkt es, als schaue man einem Filmprojekt zu, das in Zeitlupe und sehenden Auges entgleist. Das ist natürlich auch eines der Themen des Films: Die Schaffenskrise eines Regisseurs, der an einem Film namens "Woman of the Waves" arbeitet und aus nicht genau bestimmbaren Gründen auf der Stelle tritt. Man sieht ihn vor dem Computerbildschirm, wie er im Schnittprogramm den Film durchlaufen lässt, mal schnell durch die Bilder scannt, mal eine Szene am Stück schaut. Man schaut dann mit ihm mit und der Film im Film springt aus dem Computerrahmen, füllt den gesamten Bildraum. Es geht im Film im Film um eine Frau, die gerade ein Kloster verlassen hat, weil sie von Zweifel geplagt wird und das Leben (und vor allem ihren eigenen Körper) kennenlernen will.
Die Geschichte der Frau, die Geschichte des Regisseurs, dann noch die Geschichte einer Sekte, die ebenfalls einen Jungfrauenkult pflegt und die von außen, von einem Fotografen erschlossen wird (Akte der Aufzeichnung prägen den gesamten Film und fast immer ist der Akt des Aufzeichnens mit Schmerzen verbunden). Diese dritte Geschichte - eigentlich die erste, der Film beginnt mit einer großartigen Diaz-Einstellung, die eine Art Initiationsritus zeigt und die auch schon den religiösen Singsang einführt, der dann im späteren Film wieder und wieder auftaucht, einfach nicht mehr aufhört - steht in einem etwas unklaren Verhältnis zum Film im Film: Eine weitere Frau verlässt die Sekte, allerdings nicht freiwillig und nicht, um ihre Jungfräulichkeit zu verlieren, sondern weil sie ihre Jungfräulichkeit bereits verloren hat. Irgendwann scheint der eine auf den anderen Film überzugreifen und am Ende beide auf das Leben des Regisseurs.
Ein toller Film, mit vielen Bildern, die mich noch lange verfolgen werden (das apokalyptische Ende der Sekte! Die Frau, die, während es hinter ihr stürmt und regnet, vor dem Gitter steht und dem Regisseur eine Offenbarung vorträgt, als sei sie eine auf der Erde wandelnde Göttin!) aber einer, der ein wenig aus der Balance geraten zu sein scheint. In allen Diaz-Filmen sind unheilige Märtyrer zentral, Menschen, die das Übel gleichzeitig auf sich nehmen und mit ihm verstrickt sind. Meistens ist das aber nur eine Figur (in Evolution... gibt es zwar ebenfalls mehrere, aber da tauchen sie nacheinander auf), die sich dann in Konflikt setzt mit anderen, bodenständigeren Menschen. In Century of Birthing dagegen scheint sich diese Figur aufgespaltet zu haben, in mindestens drei Figuren: den Regisseur (der den Nachnamen Homer trägt und lange Gespräche über Filmtheorie führt), ein Sektenmitglied (der fanatischste von allen, der am Ende dann umso grundsätzlicher zu zweifeln beginnt), den Fotografen (der ist der schlimmste der drei); aber auch die beiden Frauen sind auf ihre Weise unheilige Märtyrerinnen.
In gewisser Weise ist Century of Birthing ein nach Innen gewendeter Film. Aber das Innen ist nicht mehr, wie in Melancholia, die Erinnerung, die begraben war und aufgedeckt werden muss, über Spiele, Verkleidungen, Sprechakte und zuletzt doch ganz klassisch über eine Rückblende; sondern eher eine Schizophrenie, die sich gegen Bilder sperrt, die die Bildproduktion unterbricht, fragmentiert, mit sich selbst kurzschließt, die falsche Anfänge und inkohärente Anschlüsse hervorbringt. Nicht mehr geht es darum, so lese ich zumindest das erratische Ende, etwas zu entdecken, sichtbar zu machen (einen Film zu Ende zu drehen), sondern eher darum, los zu lassen, verrückt zu werden, nicht mehr auf falschen Identitäten zu bestehen.
Wie gesagt, ein toller Film. Dennoch hoffe ich, dass er nicht, dass er den Weg vorgibt, den Diaz in Zukunft gehen möchte. Denn es liegt in der Bewegung, die der Film ahnen lässt (und die durchaus auch schon in Melancholia vorgeprägt war), ein Moment der Abschottung von einem Außen, das mich in Diaz' Kino doch nach wie vor interessiert.
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