Friday, October 30, 2015

Dwamericana

In den frühen 40er Jahren hat Dwan scheint mir, ein eigenes Genre begründet, in Windeseile zur Blüte gebracht, und dann wieder fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Dwamericanas könnte man diese Filme nennen, die eine höchst synthetische Art von Volkstümlichkeit zum Thema haben und allesamt in einem Zwischenbereich von Showbusiness und Kleinstadtamerika angesiedelt sind. Und in allen Filmen wirken in zentralen Rollen Stars mit, deren Popularität sich nicht auf das Kino begrenzt: Der Kinderstar Shirley Temple in Young People (1940), die multimedial aktiven Comedians Jack Oakie und Milton Berle in Rise and Shine (1941), die Radiostars Edgar Bergen, Jim Jordan / Fibber McGee, Marian Jordan / Molly und Harold Peary / Gildersleeve erst in Look Who's Laughing (1941) und dann noch einmal in Here We Go Again (1942), schließlich eine ganze Horde von Entertainern in Around the World (1943), der freilich nur noch halb in die Reihe passt, weil er sich ganz auf die Seite des Showbusiness schlägt.

Dwan versucht gerade nicht, die Stars ins Kino zurück zu holen, oder sie dort dingfest zu machen; Ihn interessiert an ihnen gerade die Aspekte, die das Kino aufsprengen. Das dabei aber nicht kaputt gemacht, sondern lediglich neu, anders zusammen gebaut wird. Look Who's Laughing stellt die Frage: Wie bekommt man eine Geschichte um einen professionellen Bauchredner, der die Hochzeit seiner Assistentin verhindern will, mit einer anderen Geschichte zusammen, in der ein schusseliger Ehemann (der jedesmal, wenn er die Treppe zum Wohnzimmer herunter- oder heraufläuft, den Knauf des Treppengeländers umstöpselt, um seiner Frau anzuzeigen, wo er sich gerade befindet) in seiner Heimatstadt eine Fabrik bauen will? Antwort: mithilfe einer ausufernden, aeronautischen Actionsequenz, in deren Verlauf der Bauchredner im freien Flug von einem Flugzeug ins andere klettert.

Alle genannten Filme haben selbst für Dwan-Verhältnisse ausgesprochen durchgeknallte Plots. Der Höhepunkt dieser kleinen Serie ist Rise and Shine (1941). Da ergibt endgültig gar nichts mehr auch nur den geringsten Sinn - und doch passt alles zusammen. Das lose und gründlich hohle, aber gleichzeitig quicklebendige Zentrum bildet ein College-Footballstar (Oakie), der eine Geschichtsprüfung bestehen muss, um weiter an der Uni und damit im Footballteam bleiben zu können - und der dabei von der gesamten Kleinstadt, in der er wohnt, unterstützt wird. In einer Szene rückt tatsächlich die ganze Stadt an, um sich vor seinem Fenster aufzustellen und ihm ein Ständchen zu singen, wie der Minnesänger seiner Angebeteten. Eine Liebesgeschichte zwischen einer Stadt und einem wohlgenährten, kognitiv nicht allzu fitten Sportstar (der sich nicht einmal das Jahr merken kann, in dem Amerika entdeckt wurde und der ohne irgendeine Rechtfertigung panische Angst vor Staudämmen hat).

"They're serenading Boley, when he should be sleeping", jammert Linda Darnell, die eifersüchtige Cheerleaderin, die Oakie gerne für sich alleine haben würde. Aber vielleicht eher als ein Spielzeug oder einen Teddybären denn als einen Liebhaber. Darnell ist ihrerseits fantastisch und eine der Hauptenergiequellen dieses durch und durch manischen Films. Ihre Cheerleaderroutinen treiben nicht einfach einen einzelnen Spieler oder ein Team an, sondern die gesamte Stadt, den gesamten Film. Der Titel, Rise and Shine, meint: Auch Du hast heute die Chance, Dich zum Affen zu machen. Und wie sie das machen! In Abwesenheit einer strukturierenden, hierarchisierenden narrativen Ursache-Wirkungs-Logik müssen die Figuren ihre Anwesenheit anderweitig rechtfertigen. Jeder trägt seine eigene Marotte in den Film, beziehungsweise in die ihrerseits ganz und gar nicht chaotischen Einstellungen hinein. Hinten links ist noch ein Platz frei. Oft hat man den Eindruck: Je unwahrscheinlicher die Marotte einer Figur und je konsequenter die Ausprägung der Marotte, desto mehr Respekt bringen ihr die anderen Figuren entgegen. Am allerkonsequentesten ist dann doch Oakie selbst, der ganz am Ende auf dem Footballfeld Staudammbrüche zu halluzinieren beginnt.

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Monday, October 26, 2015

Sicario, Denis Villeneuve, 2015

Wenn das Hollywoodkino heute immer noch mehr ist als der Schatten seiner selbst, seiner einstigen Glanzzeit, dann aufgrund der Art, wie es mit Schauspielern umzugehen weiß. Vielleicht eher: wie es eine bestimmte Art von Schauspiel zuläßt.

Victor Garber ist einer jener Schauspieler, die jeden Film, in dem sie auftauchen, besser machen. Also auch Sicario, wo seine Figur unter all den shady governemnt agents die einzige ist, der man die eiskalten Kosten-Nutzen-Rechnungen, die der Film behauptet (zu zeigen behauptet), abnimmt. In Victor Garber verbinden sich Kälte und Professionalismus mit einer gewissen Phonyness, einer gewissen Schwäche, vielleicht sogar mit einer gewissen Nachgiebigkeit. Die Härte ist nur Oberfläche, und was darunter liegt, sieht man nicht. (Aber es liegt etwas darunter.) Die anderen harten Jungs vom Fach agieren außerinstitutionelle Charakterdefizite aus: Benicio del Toro ist der traumatisierte Schmerzensmann, Josh Brolin ist halt einfach ein Arschloch.

Wenn Villeneuve Victor Garber in einen Raum mit gläsernen Wänden, einer Handvoll wichtigtuerischer suits und einer Handvoll einfarbiger Aktenhefter setzt, dann ist in diesem Bild bereits die Verschwörung und ihre Überwindung enthalten. Wenn er, was er leider deutlich häufiger tut, Brolin, del Toro oder auch Emily Blunt in glattpolierten Deakins-Tableaus zweitklassige Cormac-McCarthy-Dialoge aufsagen lässt, bleibt es bei der totalitären Diagnose einer Nationalpsychose, die jede Menge lone wolfs (und, zugegeben, eine wirklich umwerfende night vision action scene) produziert.

Es hat mich zunächst stets irritiert, wenn Hollywoodregisseure davon sprechen, wie sie einzelne Schauspieler einsetzen, bzw gebrauchen. Dabei ist tatsächlich genau das der Punkt: "to use an actor" - Schauspieler wie Werkzeuge einsetzen. Die Schauspieler sind dafür da, etwas anderes als sich selbst zu formen.

Tuesday, October 20, 2015

Black Sheep, Allan Dwan, 1935

"I drifted out of circulation..." singt der Crooner zur Montagesequenz, die Black Sheep eröffnet, den ersten Film, den Dwan nach seiner Rückkehr aus England für die Fox-B-Unit dreht. Montiert werden dynamische, hochgradig bewegliche Bilder einer Schiffsreise, genauer gesagt von Schiffsinterieurs und elegant gekleideten Passagieren. Zweimal kommt die Kamera während der Montagesequenz zur Ruhe und zeigt leinwandfüllend Hinweisschilder. Erst: "Second Class Passengers not Allowed Beyond This Point"; und dann: "Beware - Passengers are warned to take precautions against professional gamblers". Wie verhalten sich die beiden Warnungen zueinander? Die erste Warnung beschreibt eine Grenze, die zweite den einzigen Modus des Grenzübergangs: das Spiel. Tatsächlich wird die Grenze, der eher symbolisch mit einer Kette versehene Übergang von der zweiten in die erste Klasse, mehrmals im Film physisch überschritten, ohne dass sich irgendjemand daran stören würde. Es stört sich deshalb niemand daran, steht zu vermuten, weil alle wissen, dass die Überschreitung nur im Spiel geschieht, für die Dauer einer Schiffspassage.

Man könnte meinen, dass die beschwingte Kamera der Eröffnungsmontage die Bewegung des Meers aufnimmt. Tut sie aber nicht. Das Meer ist in diesem Film auf immer außen, hinter den Fenstern, jenseits der Reling. Dwans Kamera aktiviert den Raum und die Elemente des Raums auf andere Weise. Es geht ums andauernde Rearrangement, nicht ums Ineinanderfließen. Was vor allem heißt: Die Distanz bleibt.

Keine Distanz ist unüberwindlicher als die zwischen den beiden Hauptfiguren. Edmund Lowe findet immer neue Vorwände, Claire Trevor nicht zu küssen - und Dwan unterstützt ihn dabei, wo er nur kann. Die beiden lernen sich in der zweiten Klasse kennen. Da gibt es wenig Ablenkung. Sie lockt ihn zwar mit dem Feuerzeug an, doch nachdem sie die Zigaretten aufgeraucht haben, gibt es plötzlich nichts mehr zwischen ihnen. Damit die Distanz nicht kollabiert, muss Dwan sie in die erste Klasse verfrachten. Dort gibt es zunächst mehr Zeug, mehr Ablenkung. Vermittlung, die trennt. Männer und Frauen kommunizieren vermittels Zigaretten, Feuerzeuge, Spielkarten, Perlenketten, Pelzmäntel miteinander. Auch hat der Film eine Vorliebe dafür, Gespräche zwischen Tür und Angel stattfinden zu lassen - und besonders gern framet er die Gesprächspartner dabei so, dass die halb geöffnete Tür sich tatsächlich wie ein Keil zwischen das Paar schiebt. Und es gibt dann vor allem andere, dritte Figuren, bald auch ganze andere Geschichte, die sich zwischen das Paar schieben.

Die Distanz verfeinert und vervielfältigt sich. Aufgehoben wird sie an Land, in der letzten Einstellung. Mit dem Kuss erlischt der Film - sofort. Es gibt kein Bild jenseits der Distanz. (Aber: Bleibt die Frage, warum es dann gleich zu Beginn heißt: "I driftet out of circulation..."? Das deutet doch darauf hin, dass es eine Perspektive der aufgehobenen Distanz geben muss, von der aus auf die Schiffsreise zurückgeblickt werden kann. Eine Perspektive, aus der das Spiel nicht wieder auf Null gesetzt wird, aus der die Grenze tatsächlich überschritten wird und aus der der Distanzverlust in der letzten Einstellung mehr ist als nur das happy end der Konvention.)

Sunday, October 18, 2015

The Gorilla, Allan Dwan, 1939

Das B-Movie-Department von Fox sperrt Allan Dwan mit zwölf Schauspielern in ein mit ein paar Geheimtüren veredeltes, nicht allzu geschmackvoll eingerichtetes Haus. Einer der zwölf muss ein Affenkostüm anziehen. Patsy Kelly spielt als lauthals verschrecktes Hausmädchen sowohl den Gorilla als auch die Ritz-Brüder und sogar Bela Lugosi an die Wand. "I'm sociable! I want to go where there's people", ruft sie einmal. Glücklicherweise sind überall Leute: Hinter jeder Tür, vor jedem Fenster, in den Schränken, im Keller, hinter dem Bücherregal sogar.

Es gibt eine lang und breit ausgespielte Comedy-Nummer, in der Leute verschwinden. Links und rechts jeweils eine Laterne, ein Schreibtisch mit Stuhl, eine Tür. Drei Leute haben in der Einstellung Platz, einer in der Mitte bei der Tür, einer auf dem Stuhl (in angstvoller Erwartung auf dessen Kante kauernd), einer bei der Laterne, wo sich ein Lichtschalter befindet. Wenn die Laternen erlischen, wird das ganze Bild schwarz. Wenn das Licht dann wieder angeht, ist der, der am Schreibtisch saß, verschwunden. Die Zurückbleibenden werden dadurch nicht schlauer: sofort nimmt jemand anderes am Schreibtisch Platz. Durch die Tür kommt Nachschub. So könnte das ewig weitergehen - und in gewisser Weise scheint in diesem Gag nicht nur Dwans Kino, sondern die gesamte B-Movie-Tradition an ihrem logischen Nullpunkt angekommen zu sein. Am Ende setzt sich Kelly auf den Stuhl, sie verschwindet nicht. Dafür wird der, der das Licht ausmacht, durch Bela Lugosi ersetzt. Das bricht den Bann.


    


    

    

    

    

    

    






Wednesday, October 14, 2015

Navy Wife, Allan Dwan, 1935

Der Mann im Profil, die Frau frontal: Oft reden Dwan-Figuren so miteinander, wenn sie allein zu zweit sind. Der Blickkontakt ist die Ausnahme, die Köpfe schnappen meist schnell wieder zurück (die Hände auch).





Aber die Menschen bleiben selten allein. Ein kleines Meisterstück, genial in seiner Einfachheit, habe ich in Navy Wife entdeckt. Zunächst gibt es einen längeren Zweierdialog zwischen einem Profilmann und einer Frontalfrau in einem Bus. Der Hintergrund ist vermutlich eine Rückprojektion, vermittelt jedenfalls den Eindruck beziehungsloser Beliebigkeit. (Kann man Rückprojektionen je begehen?).

Dann folgt das Meisterstück: In der nächsten Einstellung ist die Kamera nicht mehr im (eben doch nicht wirklich) fahrenden Bus platziert, sondern "davor" (und offensichtlich, das sieht man an der veränderten Fensterform des Busses, auf einem anderen Set). Der Bus fährt zwischen der Kamera und einem weiteren Mann, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu stehen scheint vorbei. Und er kommt genau so zu stehen, dass dieser zweite Mann sich zwischen das Paar schiebt. 




Ein Dwan-Fensterblick: Er sieht die beiden, sie sehen ihn nicht. Aber was folgt daraus? Erst einmal geht die Einstellung weiter, der Mann steht plötzlich alleine im Bild, blickt dem Bus nach. Dann treten von links drei weitere Figuren ins Bild. Und ersetzen damit die beiden Verliebten im Bus wie ein Rahmen den anderen. Die ganze Szene ist eine Abschweifung, aber eine fast mathematisch ausformulierte.





Zwei Einstellungen später, beim Autoscooterfahren, hat sich der Rahmen verselbständigt, der zweite Mann ist an den Rand gedrängt worden. Vielleicht ist er auch einfach nur von der Frau mit Augenklappe überfordert.


Es hat einen eigenartigen Reiz, zu beobachten, wie sich Figuren in Dwans Filmen gegenseitig im Bild ersetzen, wie sie frei gelassene Positionen einnehmen, wie sich die so etablierten Tableaus wieder auflösen und dann ähnlich (aber selten gleich) wieder zusammensetzen. Eine Überlegung wert: Worin liegt der Unterschied zu den (zb Seidl'schen) Tableaus des modernen Kinos? Bei Dwan scheinen sich die Figuren an den Plätzen, die ihnen zugewiesen sind, wohl zu fühlen. 

Tuesday, October 13, 2015

Der stumme Gast, Harald Braun, 1945

Alle sind schuldig. Oder vielleicht eher: Schuld ist etwas, das nicht Eigenschaft eines Einzelnen ist, sondern das, wenn es einmal auf der Welt ist, alle infiziert. Dass der Gastwirt Radschek in seinem Karren nicht nur ein Klavier, sondern auch Schmuggelware transportiert, zeigt der Film nicht im Modus der Anklage; zumindest nicht im Modus einer Anklage, die auf einen einzelnen zielt. Alle sind schuld, die geschmuggelten Felle sind nur der erste Beweis, eher noch ein Meneteket: Ihr werdet alle schuldig sein. Später im Film winkt eine Nachbarin ab, wenn Radschek wegen der Felle festgenommen wird: schmuggeln, das tun wir doch alle. Sie hatte, wie die anderen Schaulustigen, die vor lauter Neugier einen Zaun zum Umkippen gebracht hatten, auf eine spektakulärere Schuld gehofft.

Tatsächlich gibt es neben dem offenen Geheimnis noch ein verschlossenes, dunkles, dessen Ort nicht der halböffentliche Vorgarten ist, sondern der Keller, das tiefste, privatste Innere / Andere des Hauses. Dort verschlossen, vergraben und erschlagen liegt ein verbotenes, gefährliches Begehren, das die Grundfesten des Hauses erschüttert, aber es nicht zum Einsturz gebracht hat (weil die Klappe zum Keller dicht hält). Den Schädel eingeschlagen bekommen hat Kampmann, ein wölfisch brutaler Haudraufcasanova, mehr Vergewaltiger als Verführer. NSDAP-Mitglied Rudolf Fernau legt ihn als barbarische Variation auf slicke Hollywood-precode-alpha-males wie Warren William oder William Powell an. Das Lächeln, das denen natürlich kommt, schaut bei ihm aus wie nachträglich ins Gesicht gemeiselt. Und ist doch keine Maske, denn: Darunter gibt's nichts mehr.

Aber jetzt ist er tot, Radschek ist verdächtig, genauso seine Frau, gespielt von Gisela Uhlen, die immer wieder tolle Großaufnahmen bekommt. Die (Wieder-)Begegnung mit Kampmann hat ihr alle freilich vorher schon nur gekünstelte Sicherheit genommen, nachdem er sie ein paarmal durch ihr Zimmer gejagt, mit Avancen und Geschenken heimgesucht hat, wird ihr Blick immer gehetzter, die Bewegungen immer fahriger. Ihren Mann, Radschek, gespielt von Rene Deltgen, bringt das auf die Palme. Er bleibt stets zielstrebig, noch im Untergang, rauft sich nach dem verlorenen Kartenspiel kurz die Haare, reißt sich aber immer wieder zusammen. Zwei Arten, schuldig zu sein.

Darum herum andere Figuren, zwei blonde Bedienstete, eine tumb naiv, eine tumb gerissen, ein junger Typ mit erotischer Fixation auf Radscheks Frau, ein jüdischer Hausierer, der offscreen verhaftet wird (da verrät sich der Film als NS-Werk: der Jude muss eben doch auf andere Weise schuld sein, bekommt keine Möglichkeit, seine Schuld auszuagieren, ins Tragische zu überhöhen). Der Polizist selbst ist auch ein Depp. Leider gibt es dann später noch den Richter, der als unbestechlicher Patriarch aufräumt mit der Schuld, diesen vorher auf durchaus aufregende Weise durch seelische Untiefen navigierenden Film wieder in das Korsett eines Denkens zwängt, das Schuld zugunsten des Weiterfunktionierens von Gasthaus, Ehe (davor hatte die Krise selbst das Bett erreicht) und vielleicht sogar Schmuggel ignoriert.

Damit das klappt, braucht der Film nicht nur zähe Gerichtsszenen, sondern auch Rückblenden, die Licht ins Dunkel des Kellers zu bringen vorgeben, die aber doch nur verhüllen, worum es im Film vorher eigentlich gegangen ist.

Thursday, October 08, 2015

Zirkus Renz, Arthur Maria Rabenalt, 1943

Mitten im zweiten Weltkrieg dreht die Ufa einen Film, in dem am Anfang ein Bär ausbricht, kurz stürmisches Chaos verursacht, aber sofort wieder eingefangen, von gleich vier Häschern aus dem Off in die Bildmitte zurück geführt wird.

Zwei Artisten, eine Reiterin und ein Haufen Tiere gründen wenig später am Lagerfeuer den Zirkus Renz, der nach dem soldatisch durchformteren der beiden Artisten benannt ist und von Rene Deltgen verkörpert wird. Deltgen träumt von einem Zirkus, der auf den "Respekt für die Leistung" setzt, nicht auf tendenziell ausländische Schauwerte. Ein Zeitsprung ermöglicht ihm den Traum, er darf dann noch das Zirkuszelt erfinden und einen französischen Kontrahenten vertreiben.

Deltgen spielt Renz als einen astreinen Psychotiker, der selbst in den Entspannungsphasen des Films verbissen wirkt und jederzeit ohrenbetäubend laut, schneidend losbellen kann. Das Zirkuszelt soll eigentlich den Zirkus mobil machen. Aber es geht eher um das Zelt der Kaserne als als um das Zelt des wandernden Volks. Und Zirkus Renz bleibt sowieso in Berlin, dient sich dem König an. In einer gut gemachten Actionszene wird das Zelt im Berliner Schlamm verankert, auf dass es sich nie wieder löse.

Die Reitszenen sind stark, alle Beteiligten scheinen sich mit den Pferden wohl zu fühlen. Auch verbindet sich da das Dokumetarische (während einiger Dialogszenen im backstage-Bereich sieht man im Bildhintergrund die Reiter an einer Planenöffnung vorbeirauschen) auf schöne Weise mit Studioartifizialität (Die Großaufnahmen der Artisten auf den Pferderücken sind offensichtlich Rückprojektionen).  Auch ansonsten widerspricht der Film dem Renz'schen Leistungsethos insofern, als er durchaus ein Bewußtsein für den schönen Schein des Showgeschäfts hat - die letzte, exotistische, äußerst aufwändige Prachtvorstellung des Zirkus Renz überrascht sogar mit bloßen Frauenbrüsten.

Der Ringkampf im römischen Stil, den die beiden Hauptfiguren austragen, ist lachhaft in seiner verbissenen Niedlichkeit. Eher angsteinflößend als komisch sind dagegen die Vorstellungen, die sich der Film von Zirkusclowns macht.

Alles, was an dem Film Zeitbild des 19. Jahrhunderts sein will, ist fürchterlich hölzern. Dass in einer Nebenhandlung ausgerechnet die Litfaßsäule erfunden wird, passt ins Bild. Der Film erzählt nicht von einem Zeitalter des Aufbrauchs, sondern von einem der Verhärtung.

Deltgen ist unzweideutig Agent dieser Verhärtung. Der Widerstand, den sein Ko-Star, Paul Klinger, leistet, ist nur ein scheinbarer. Frisur und Bart sind etwas kecker, die Schulter breiter, die ganze Statur gleichzeitig muskulöser und unförmiger. Wo Deltgen seine Kräfte präzise einteilt, gibt es bei Klinger einen beständigen Überschuss, der freilich stets nur weggegrinst wird. Am Ende, wenn von allen Beteiligten gründlich durchverzichtet wird, ist sein Bart verschwunden.

Weniger leicht einhegbar ist Angelika Hauff als Reiterin und love interest Klingers, der sie "Bachkatze" nennt und zähmen möchte, der dann aber selbst gezähmt wird, allerdings nicht von ihr. Alle wirklich guten Szenen des durchaus zu ein wenig punktueller Eleganz fähigen, aber in den großen erzählerischen und motivischen Bögen fürchterlich unbeweglichen Films gehören ihr, oder handeln wenigstens von ihr (an einen schönen, beiläufigen Eifersuchtsdialog der beiden Hauptfiguren erinnere ich mich vor allem).

Hauff agiert weder als Figur, noch als Darstellerin taktisch... aber sie ist eben auch nicht die instinktgesteuerte Bachkatze, für die Klinger sie hält. Sie bleibt lediglich stets pragmatisch und gegenwartsbezogen, sowohl als Artistin, als auch als sinnliches Wesen, damit kommt der stählern in die Zukunft blickende Renz genauso wenig klar wie der phony Melancholiker Klinger. Die schönste Szene des Films: Sie dehnt sich an einer Stange, biegt dabei ihren ganzen Körper in kreisrunde Formen; dann kommt ein Zirkushandlanger und beginnt ein Gespräch mit ihr. Sie läßt sich nicht beirren, dehnt sich sprechend weiter, besteigt schließlich mitten im Gespräch das neben ihr stehende Pferd und reitet davon. Alles in einer Einstellung gedreht.

Zwei Sätze aus dem Film:
"Ich bin stolz, weil ich jetzt ein Pferd besitze."
"Ich fahre nach Wien. Dort kaufe ich einen weiteren Zirkus"