Seltsamerweise erscheinen Filmbilder umso authentischer, je ungeschliffener sie wirken, desto deutlicher sich die Materialität des Zelluloids bemerkbar macht, durch kleinere Zerfallserscheinungen wie Laufstreifen, leere oder halb zerstörte Frames und so weiter. Auch Farbfilm und smoothe Kamerabewegungen zerstören schnell den Eindruck einer vermeintlich "echten, unverfälschten" filmischen Aussage.
So ist ein Paradox festzustellen: gerade die Techniken, die die Antiillusionisten der 60er und 70er einsetzten, um dem leidigen Realitätseffekt beizukommen, dienen heute einerseits in Mainstreamfilmen als Marker von Authentizität (im Sinne in die Filmhandlung eingeschobener Pseudo-Found-Footage, regelmäßig präsentiert in verwackelten Schwarz-Weiss Bildern - bzw inzwischen eher billige Digicam-Aufnahmen), andererseits Amateur- und Undergroundfilmern als Möglichkeit, ihre Differenz zum bösen Hollywood unmissverständlich auszudrücken und - nun ja - "realistischere" Filme zu drehen (das kürzlich hier behandelte David Holtzman's Diary stellt eine unter diesem Gesichtspunkt äußerst interessante Invertierung dieser zweiten Möglichkeit dar). Die antiilusionistischen Techniken haben also sowohl innerhalb des Mainstreamkinos, als auch innerhalb des geamten Produktionssystems eine strukturell definierte Nische gefunden, in der sie das System, welches sie eigentlich zu bekämpfen dachten, stützen.
Was hat das alles mit Mekas zu tun? Einerseits nicht viel natürlich, dieser ist sich obiger Problematik wohl bewusst und versucht gar nicht erst, eine in welchem Sinne auch immer realistische Abbildlichkeit der Welt zu behaupten. Hier spiegelt das verwendete Filmmaterial in erster Linie die Produktionsbedingungen wieder. Allerdings ist auch dieser ganz und gar wundervolle Film nicht frei von semiotischen Spielereien mit dem Bildstatus (wie sich überhaupt hinter der assoziativen, frei fabulierenden Bildsprache eine zweite, ungleich formalistischere Ebene befindet: die Motive des zweiten Teils werden beispielsweise von 1 bis 100 sortiert; die beiden Ebenen kommunizieren miteinander, doch Mekas lässt die Kommunikation scheitern - das 100. Bild wird nie erreicht).
Sobald der Film von New York nach Litauen wechselt, ändert sich das gesamte visuelle Regime. Einerseits überfordert die hypernervöse Kamera systematisch den Zuschauer, andererseits wird der Film plötzlich farbig. Die Farbe sorgt gemeinsam mit dem Übermass an Bildinformation dafür, dass die Sequenzen in Litauen einen sonderbaren Status erhalten, der weniger dem Traum oder der reinen Erinnerung gleicht, als einem atavistischen Bereich Bereich jenseits jeglicher herkömmlichen Signifikation. Und wirklich vergleicht Mekas die Litauer mehrmals mit Tieren, in naivstem Tonfall, ohne jede Reflektion. Mekas' Litauen ist ein Land vor der Kultur - oder zumindest vor Mekas' Kultur, denn die Maschinen der sovjetischen Agrarbetriebe zeigt er natürlich auch - dessen Beschreibung keiner Teleologie folgen kann (deshalb die arbiträre Logik der Zahlenfolge) und dessen materielle Existenz die Kamera nur zufällig und immer nur für kleine Augenblicke, durch einen verwaschenen Zoom oder eine kurze, assoziative Montagesequenz enthüllen kann.
Am Ende trifft Mekas in Wien Peter Kubelka und versichert sich mit diesem der abendländischen Kultur, die in Litauen nicht zu existieren schien. Doch zuerst einmal essen sie ein Schnitzel.
2 comments:
Mekas unterhält auch eine sehr schöne Website mit allerlei Videomessages:
http://jonasmekas.com/
Sieht cool aus, danke für den Hinweis...
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