Daughter of the Nile ist der, abgesehen von seinem noch ganz innerhalb der klassischen taiwanesischen Filmindustrie entstandenen Frühwerk, unbekannteste und am selten gezeigt Film Hou Hsiao Hsiens. Warum dies so ist, erschließt sich mir ganz und gar nicht. Daughter of the Nile ist einer der zugänglichsten (und schönsten) Filme des Taiwanesen und steht doch gleichzeitig voll und ganz in der Kontinuität seines Schaffens.
Daughter of the Nile spielt in einem großartig gezeichneten taiwanesischen Kleinkriminellen-Milieu, irgenwo zwischen den weißen Anzügen und geschmacklosen Neon-Nightclubs aus DePalmas Scarface und den leicht heruntergekommenen Straßenzügen aus John Woos A Better Tomorrow oder Wong Kar Wais Debut und Meisterwerk As Tears Go By. A Better Tomorrow entstand 1986, As Tears Go By 1988, genau dazwischen platziert sich Hous ganz eigenes stylishes Gangstermelo, das den Vergleich mit obigen Filmen nicht zu scheuen braucht: Zwar etwas weniger High Concept aber dafür umso filigraner in den Details.
Wie es seine Art ist, erzählt Hou seine Gangstergeschichte indirek, vermittelt über die Schwester eines Kleinkriminellen, die zwar ihre Geburtstage im Kreise der Gangster feiert und heimlich in einen derselben verliebt zu sein scheint, sonst aber recht wenig in dem Film zu tun hat. Stattdessen träumt sie vom alten Ägypten, vermittelt scheinbar durch Comics, die ein kleines, zusätzliches Element der Distanzierung einführen. Überhaupt ist der Film, wie das ganze Werk Hous, durchsetzt von solchen kleinen, wunderbaren Elementen der Denaturalisierung, die dem Gezeigten nie die Wahrheit oder Ernsthaftigkeit, wohl aber jene verlogene Dringlichkeit, welche gerade Sozialdramen so oft mitzuteilen glauben müssen, nimmt.
Auch verschiebt der Film das Zentrum seiner Aufmerksamkeit immer wieder von seinem eigentlichen Plot - oder vielleicht besser von dem, was bei einem anderen Film von einem anderen Regisseur der eigentliche Plot wäre - auf die liebevolle Darstellung des Lebens einer mehr oder weniger gewöhnlichen Familie, deren genaue Zusammensetzung sich allerdings auch erst nach und nach dem Publikum erschließt. Dass das kleine Mädchen nicht Tochter, sondern Schwester der Hauptfigur ist, erfährt man noch relativ schnell. Den aus der gemeinsamen Unterkunft ausgezogenen Vater bekommt man jedoch erst nach knapp der Hälfte des Films zu sehen und der Verbleib der Mutter wird erst ganz am Ende thematisiert.
Wie so viele andere Filme Hous ist auch Daughter of the Nile scheinbar um eine einzige Einstellung aufgebaut, die immer wieder, in unterschiedlichen Variationen, was die Mikrojustierung des Framings betrifft, auftaucht. Hier zeigt diese Einstellung schlicht und einfach das Wohn / Esszimmer der Familie in einer räumlichen Auflösung, wie sie immer wieder in Hous Werk zu finden ist: Wenig Tiefeninformation durch Winkel, Ecken etc, statt dessen frontal zur Kamera positionierte Türen, die sich in den Raum hinein öffnen und das Geschehen auf mehreren Ebenen zu staffeln scheinen. Es ist Hou durchaus zuzutrauen, dass er eines Tages einen Film dreht, der nur aus einer Einstellung eines solchen Raums besteht. So viele subtile Ausdrucksmöglichkeiten bietet diese Versuchsanordnung und zwar gerade deshalb, weil ihre Elemente beschränkt sind und deshalb jedes einzelne zu dem bedeutungstragenden werden kann durch die Differenz zwischen den einzelnen Episoden.
Nur eines unter vielen Beispielen: In der rechten Bildhälfte befindet sich eine Tür zum Badezimmer. Fast den gesamten Film über ist sie geöffnet, erst in der Szene, in welcher die Hauptfigur vom Tod ihrer heimlichen Liebe erfährt, flüchtet sie in das Bad, schließt die Tür und versteckt sich dadurch nicht nur vor ihrer Familie, sondern auch vor unseren Blicken. In solchen Momenten glaube ich, dem Geheimnis der Filme Hous etwas näher zu kommen. Und vor allem ihrem ganz spezifischen Verhältnis zum Publikum, einem irgendwie spielerischen Verhältnis, das sich zwar auf die Illusionskünste Hollywoods, das ja nicht zuletzt durch Kobtinuitätsmontage und die damit zusammenhängende Raumauflösung vermittelte Make-Belief nicht einlässt, aber dennoch nicht bloß selbstreflexiv ist, oder zumindest nicht selbstreflexiv in dem Sinne, dass die eigenen Materialität zur einzigen Botschaft wird. Wie genau sich Hous Kino zu diesen Fragen positioniert ist mir nach wie vor nicht klar. In jedem Fall scheinen seine Filme Antworten auf etwas andere Fragen zu sein.
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