The River, Pare Lorentz, 1938
Jujiro / Crossroads, Kinugasa Teinosuke, 1928
Der New Deal als das letzte große gesamtgesellschaftliche Projekt des weißen Amerikas. Nach der Erschließung, nach der Urbarmachung, nach der Urbanisierung und nach der Technisierung sollen nun die Kollateralschäden beseitigt werden. Klar ist: Danach kann nicht mehr viel kommen. Keine Suche nach einer neuen Frontier, der Blick wird fortan nach Innen gerichtet. Die NASA ist schon zwei Jahrzehnte vor ihrer Gründung auf dem Holzweg. The River ist ein Film, der das Texas Chainsaw Massacre hätte verhindern können. Der Mississippi als Lebensbaum der USA. Lyisch und doch stets völlig unprätentiös das Voice-Over, gesprochen von Thomas Chalmers. Vollkommen grandios die Musik. Die Montagesequenzen betonen nicht die Brüche, nicht die qualitativen Sprünge, sondern die Kontinuitäten, die Übersetzbarkeit, den Zusammenhang zwischen der Quelle und der Mündung. Keine intellektuelle, sondern eine konstruktiv-demokratische Montage. Auch Lorentz' Impetus ist ein didaktischer, aber er ist kein hermetisch verschlossenes Künstlersubjekt, sondern nur jemand, der durch Recherche und vorsichtige Abstraktion ein wenig mehr Überblick gewonnen hat. Das Wechselverhältnis zwischen Mensch und Natur ist gestört, kann aber wieder produktiv werden. Der Lebensbaum muss gepflegt werden. Der Film ist ein Appell, der das Gegenteil vom "Du bist Deutschland" ist. Ebenso das Gegenteil von Riefenstahl. Der Film will Diskurs sein und ist es auch, er ist noch in seinen manipulativsten Gesten ehrlich, der Mississippi als Lebensbaum ist ein Vorschlag, keine Ideologie. Außerhalb Hollywoods, aber doch innerhalb des amerikanischen Kinos. Nicht weit weg von den Propagandafilmen Capras beispielsweise. Nicht weit weg von The West Wing und The Wire. Wann hat es jemals so etwas in Deutschland gegeben?
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Jujiro entstand nur 10 Jahre vor The River. Und scheint doch einer anderen Epoche anzugehören. Nicht unbedingt einer früheren. Eher einer, auf demselben Zeitstrahl keinen Platz findet. Regisseur Kinugasa hatte zwei Jahre vorher den hypnotischen, wahnwitzigen Kurutta ippeiji gedreht. Jujiro ist nicht zugunglicher, zumindest nicht in der ersten Hälfte. Wieder ist nicht klar, ob es am physischen Objekt liegt, an mangelhafter Restauration, an fehlerhafter Übersetzung der Zwischentitel, an mutwilliger Beschädigung des Materials durch den Regisseur (bei Kurutta ippeiji wird dies diskutiert) oder an einer Differenz, sei sie nun kultureller oder filmpoetischer Natur. Was bleibt: Anfangs läuft einer die Treppen hoch und verschwindet fast in expressionistischen Montageexperimenten, oben angekommen liegt jemand im Sterben. Nacher eine eindrückliche Sequenz auf einem Jahrmarkt, Menschen überfluten die Kamera, Schriftzeichen dringen in den Bildraum ein, Spiralen drehen sich, man weiß nicht wohin, man weiß nicht warum. Auf diesem Jahrmarkt ist buchstäblich alles möglich, man wäre schön blöd, wenn man versuchen würde, aus diesem großartigen Chaos einen Plot zu extrahieren, wenn man sich doch tausend andere Sachen anschauen kann. Noch später jedoch brechen alle Expressionismus-Evokationen weg, Jujiro wird zum herzerweichenden Melodram, besteht fast nur noch aus leidenden Frauen in Innenräumen. Viel weiß ich auch hiervon nicht mehr: Wer war nun die Schwester und wer die Mutter? Warum will der Mann seine Schwester verkaufen? Warum lachen die anderen Frauen diese Frau aus? Der Plot verschwindet, die Bilder bleiben.
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