Monday, October 06, 2008

Oumarou Ganda: Zwei Filme

Le wazzou polygame, 1971

Cabascabo, 1969

In beiden Fällen hat ein Heimkehrer schuld: Der muslimische Geistliche, der von der Wallfahrt nach Mekka zurückkehrt, nimmt einem armen Dorfbewohner in Le wazzou polygame die Braut weg und macht sie zu seiner Nebenfrau. In Cabascabo kehrt ein Veteran des Indochinakrieges mit zahlreichen Schätzen beladen in die Heimatstadt zurück und wird von allen hemmungslos abgezogen, solange, bis ihm nichts mehr übrig bleibt als die Rückkehr aufs Land, die Spitzhacke in der Hand.
Mit zwei weit entfernten Orte, mit Mekka und mit Indochina, werden die Gemeinschaften konfrontiert, in beiden Fällen geht das schief. Doch es geht schief auf jeweils sehr unterschiedliche Art und Weise.
In Le wazzou polygame wird das Problem ausgelöst durch den Heimkehrer, in Cabascabo durch die zuhause gebliebenen. Was nicht heißen soll, das jeweils eine Partie Schuld trägt und die andere nicht. Alles personalisierbare ist den Filmen fremd. Der Wazzou des ersten Films kehrt in eine noch größtenteils kohärent funktionierende Dorfgemeinschaft zurück, die sich freilich nicht zuletzt über Aussschließungsmechanismen definiert. Die Rückkehr löst eine fast mechanische Kettenreaktion aus, an deren Ende sowohl der Nebenbuhler als auch die Braut aus der Dorfgemeinschaft ausgestoßen werden. Gandas Film bezieht die Brautwerbung, die Hochzeit und deren Nachbeben konsequent auf die Dorfgemeinschaft als Ganzes. Verhandlungen, Klatsch und Zeremonien stehen im Mittelpunkt (einmal wird eine Gruppe spielender Kinder gezeigt, die sich darauf vorbereitet, sozialer Akteur in gruppenbasierten Prozessen zu werden). Charakterdrama findet nicht statt, die nominellen Hauptfiguren sind oft genug gar nicht im Bild anwesend. Die entschiedenden Informationen werden in genau einer Einstellung vermittelt, Schuss / Gegenschuss setzt Ganda nur in äußerst wenigen Szenen ein und wenn doch, dann in solchen, die die Hilflosigkeit der Liebenden in den Mittelpunkt stellen.
Le wazzou polygame zeigt die Dorfgemeinschaft als organisches, deshalb aber noch lange nicht gesundes, System. Ein faules Element genügt, um zwei gesunde Elemente zu verderben. Zur Frage der Religion verhält sich Ganda dabei weniger aggressiv als Sembenes Ceddo. Der afrikanische Islam ist nicht mehr aus dem System herauszupräparieren und stellt deshalb auch nicht dessen Schwachstelle dar. Die religiös verbrämte Polygamie fügt sich harmonisch in andere, nichtislamische UNterdrückungs- und Machtmechanismen ein.
Fluchtpunkt ist nicht, wie in Cabascabo, das Land, sondern die Stadt. Die Disco, in der sich die enttäuschte Braut schließlich prostituieren muss, stellt eine neue, chaotische räumliche Ordnung dar, deren Hierarchien weit weniger historisch sind.
Cabascabo ist auf den ersten Blick deutlich personalisierter, die Hauptfigur, der Kriegsheimkehrer, steht in fast allenm Szenen im Mittelpunkt. Freilich spielt der Film auch nicht auf dem Land, sondern in der Stadt. Hier richten sich die Gruppierungen nicht an Traditionen, sondern an Besitzverhältnissen aus. Und um den vermögenden Heimkehrer bildet sich automatisch eine Menschentraube. Freilich geht es dem Film nicht, wie amerikanischen oder europäischen Kriegsheimkehrerfilmen, um Traumabewältigung. Der Heimkehrer scheitert nicht an seinen Psychosen, sondern an der realen Gier seiner Landsleute sowie am Fehlen jedes Auffangnetzes vor der Spitzhacke. Aus der Stadt wird er nicht herausgedrängt aus einer bestehenden Struktur, weil seine Planstelle von einem anderen besetzt wird wie es den Hauptfiguren in Le wazzou polygame in dem Dorf ergeht, er fällt einfach durch eine amorphe Sozialstruktur hindurch, von oben nach unten.

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