Geomen tangyi sonyeo oi / With the Girl of Black Soil, Jeon Soo-il, 2007
Zwei Kinder in einem koreanischen Bergdorf. Der Vater ist Minenarbeiter, im eindrücklichen Prolog wird seine Arbeitswelt präsentiert, düstere Stollen voller Dunkelheit, harter Stein, viel Staub. Staub ist auch in seiner Lunge, er bekommt eine Abfindung und will Fische verkaufen, beginnt aber vor allem, exzessiv zu trinken. Der Abstieg ist unaufhaltsam, die Talsohle eigentlich bereits nach der ersten Filmhälfte erreicht. Die zweite Hälfte erkundet dann in elegischen Bildern, wie das Leben in der Talsohle auschaut. Die Tochter passt währenddessen auf ihren Bruder auf, der zwar älter ist als sie, aber geistig zurückgeblieben. Die Szenen der allein gelassenen Geschwister erinnern bisweilen an Kore-edas Nobody Knows. Freilich übernimmt der Film im Gegensatz zu diesem nie ganz die Perspektive der Kinder. Diese Perspektive hätte dem Film manchmal gutgetan.
With the Girl of Black Soil ist hervorragend fotografiert, das vage wassertropfenförmige Bergdorf gewinnt durch die Plastizität der Bilder eine eindrückliche Präsenz. Deutlich schließt With the Girl of Black Soil an das aktuelle world cinema an, an dessen politischen Flügel vor allem. Nicht zufällig war Abderrahmane Sissako als Produzent beteiligt. Immer wieder schneidet With the Girl of Black Soil auch nach der Entlassung des Vaters auf die Maschinerie des Bergwerks, auf die schweren Eisenkolosse, die sich durch den Schlamm wälzen und Erde schichten, auf den dunklen Rauch der Schornsteine. Langsam aber unaufhaltsam, Einstellung für Einstellung, zerstört diese anachronistische Technik das Leben derer, die sie bedienen.
Die Tochter, das kleine Mädchen in seinem roten Wollpullover, wehrt sich vergeblich gegen diese Dynamik. Wie sie dann am Ende mit ausdruckslosem Gesicht an der Bushaltestelle steht, das ist dann vielleicht ein world-cinema-Klischee zu viel und in der Rückschau auf den gesamten Film muss man dann doch feststellen, dass With the Girl of Black Soil die portraitierte sozioökonomische Realität etwas zu widerstandslos in die world-cinema-Filmgrammatik übersetzt.
Flower in the Pocket, Liew Seng Tat, 2007
Noch ein Film über Kinder, diesmal aus Malaysia. Liew Seng Tat führt Regie, andere Schlüsselfiguren der malaysischen neuen Welle sind als Produzenten (Tan Chui Mui) oder Schauspieler (James Lee) mit von der Partie. Letzterer spielt einen allein erziehenden Vater, der sich wenig um seine beiden Söhne kümmert, weil er sich lieber mit Schaufensterpuppen (noch genauer: einzelnen Körperpartien dieser Puppen) umgibt als mit Menschen aus Fleisch und Blut. Sein Söhne spielen derweil mit toten Ratten, nehmen streunende Hunde auf, Freunden sich mit einer vorlauten Mitschülerin an und machen auch sonst nur Ärger. Sie gehören der chinesischen Minderheit Malaysias an, der kleinere der beiden spricht noch nicht malaysisch und ist in der Schule auf die Übersetzungsleistung der Klassenstrebenrin angewiesen.
Alles sieht so einfach aus und fügt sich doch zu einem durchaus komplexen Ganzen. Die Männergemeinschft, chronisch chaotisch und definiert über asynchrone Rhythmen (der Vater kommt spät in der Nacht nach hause, wenn seine Söhne bereits schlafen und schläft seinerseits tief und fest, wenn diese zur Schule gehen; Das Essen, das sich die beiden Generationen gegenseitig zubereiten, Abendbrot für den Vater, Schulbrot für die Kinder, wird von der jeweils anderen in die Mülltonne gekippt) spiegelt sich in der rein weiblichen Wohngemeinschaft der neuen Freundin der Söhne. Diese (sie gehört der muslimischen Mehrheit des Landes an) lebt mit Mutter und Großmutter in einer gepflegten, gut funktionierenden Wohnung.
Flower in the Pocket ist, wie viele andere Filme dieses neuen malaysischen Kinos (die große Ausnahme stellen die durch und durch politischen Essayfilme Amir Muhammads dar), ein Film über das Private, Alltägliche. Freilich verhandelt Liew Seng Tat die Spezifitäten des realen Malaysias direkter als Lee oder Tan Chui Mui über die vielfältigen Übersetzungsproblematiken, über das Sprachwirrwar (Englisch, Malaysisch, Mandarin), über kleine aber entscheidende Differenzen im Habitus zwischen Chinesen,Muslimen und Indern. Ein erstaunlicher, kleiner Film ist Flower in the Pocket trotz manchen Passagen, die durchaus auch auf die Nerven gehen können und trotz einer Tendenz zur harm- und sinnlosen Alltagslyrik, die die größte Gefahr dieses Kinos darstellt. Ein kleiner, erstaunlicher Film aus einer erstaunlichen Kinematografie, die aus den neuen Möglichkeiten der digitalen Technik entstanden ist und sich in rapider Geschwindigkeit jenseits (oder vielleicht besser: neben) dem klassischen europäischen Autorenfilmkonglomerat institutionalisiert. Nicht die neuen Schulen des (freilich oft grandiosen) Hollywoodspektakel sondern diese neuen Kinematografien in Südostasien sind anderswo werden eines Tages das Haupterbe der digitalen Revolution sein.
Bastards of the Party, Cle Sloan, 2008
Cle Sloan, früher selbst Mitglied der „Athens Park Bloods“ erzählt mithilfe von HBO und Antoine Fuqua die Geschichte der schwarzen Jugendgangs LAS seit den frühen Sechziger Jahren. Der historische Abschnitt des Films, der zwei Drittel bis drei Viertel der Laufzeit einnimmt, orientiert sich stark an der Argumentationslinie an City of Quarz, der stadtsoziologischen Studie des im Film auch immer wieder präsenten Mike Davis: Von den frühen Gangs als Schutzorganisationen gegen den Ku-Klux-Klan und seine Helfer über die Politisierung der Black Panther-Bewegung bis zu den Crips und Bloods als deren illegitimen Erben, den „Bastards of the Party“ des Titels. Einzig eine manchmal etwas sehr paranoid anmutende Lesart der Crackschwemme der Achtziger weist über Davis hinaus, vielleicht nicht ganz in die richtige Richtung.
Nach einem nervigen Beginn mit viel Flashs, Trickblenden und anderem Videoschnittprogrammsblödsinn wechselt die Dokumentation in soliden HBO-Modus. Den größten Mehrwert als Davis-Lektüreergänzung (mehr ist Bastards of the Party nicht, will es aber auch gar nicht sein, Davis‘ Buchcover wird gleich mehrmals eingeblendet) stellen sicherlich die Interviews mit ehemaligen Gangmitgliedern und anderen Beteiligten dar, den Interviewten sind die teilweise schon über vier Jahrzehnte identity politics auf sehr interessante Art und Weise in Gesicht und Habitus eingeschrieben.
Hickey & Boggs, Ropert Culp, 1971
Ein durch und durch seltsamer und durch und durch großartiger Neo-Noir aus New Hollywood. Robet Culp (auch Regie) und Bill Cosby (!) stolpern als Privatdetektive durch Los Angeles und geraten in einen Fall, in dem alle Beteiligten bereits nach kurzer Zeit komplett den Überblick verlieren. Es geht – nach einem Drebuch Walter Hills – um einen Haufen Geld, das eine, passenderweise von Rosalind Cash verkörperte Nicht-ganz-Femme-Fatale einer kriminellen Organisation, der sie einst selbst angehörte, entwendet hat.
Das Wesen dieser Organisation wird nicht genauer spezifiziert, sie institutionalisiert sich allerdings in ganz ähnlicher Weise wie dies auch eine gewöhnliche Versicherung tun würde, in geschmacklos eingerichteten Büros und fetten Autos. Auch die Bosse sehen aus wie bessere Gebrauchtwagenhändler, lediglich ein paar fieße Visagen in den Reihen der Handlanger (einige davon kamen mir außerordentlich bekannt vor, ohne dass ich sie hätte identifizieren können) hätten bei der Hamburg-Mannheimer schlechte Karten. Doch weder diese Organisation, noch die (deutlich schlechter organisierte) Polizei kann die Situation unter ihre Kontrolle bekommen. Und auch die Strukturen des Genres, auf das Hickey und Boggs zielt, ohne freilich je ganz Teil desselben zu sein, werden der Lage nicht Herr. Sowohl Culp als auch Cosby versuchen sich in Hard-Boiled-Manierismen, die aber ins Leere laufen, weil sie nicht länger die Rückseite handelnder, zielstrebiger und letzten Endes erfolgreicher Subjekte sind. Culps Alkoholproblem ist abwechselnd lächerlich und pathologisch, Cosby kann seine zerbrochene Ehe nicht mehr für sich selbst dynamisch wenden. Im Ergebnis wirkt Hickey & Boggs dann manchmal trashig, doch genau in diesen trashigen Momenten öffnet sich die ganze Komlexität des Films.
Hickey & Boggs (an der anhaltenden Obskurität des Films ist sein dämlicher Name vermutlich nicht unschuldig) spielt nicht im Dunkeln, nicht in dunklen Orten und nicht zu dunklen Zeiten, sondern fast immer im strahlenden Sonnenschein, meist auf der Straße, in der Mittagshitze. Im öffentlichen Raum, der freilich ein ambivalentes Terrain darstellt für die beiden Detektive. Einerseits bewegen sie sich in ihm souveräner als ihre Gegenspieler, setzen Parkuhren und andere Kontrollmechanismen außer Kraft, andererseits laufen sie sich in ihm fest und verlieren den Kontakt zu ihren eigenen, privaten Räumen.
Die herausragende Charakteristik des öffentlichen Raums in Hickey & Boggs ist seine Unbelebtheit, die Abweseneheit von Menschen. Die beiden Höhepunkte des Films (der freilich auch außerhalb derselben großartig ist, inszeniert in der fragmentarisierten Filmsprache New Hollywoods, die hier ausnahmsweise einmal ganz und gar Sinn macht, weil eine solche Geschichte gar nicht anders erzählt werden könnte) finden dann konsequenterweise in Orten der gesteigerten, weil emphatischen Öffentlichkeit statt (der erste im Footballstadtion, der zweite am öffentlichen Badestrand), die noch und ganz emphatisch menschenleerer sind. Im Footballstadion inszeniert Culp im Anschluss an eine erfolglose Kofferübergabe eine gnadenlose Maschinengewehrschlacht, die sich später am Strand noch einmal wiederholt und endgültig in den Exzess kippt. In Abwesenheit von Menschen werden diese öffentlichen Räume auch grafisch zu den abstrakten Räumen, die sie als soziale nach Lefebvres Terminologie ohnehin schon sind. Und so ist Hickey & Boggs neben allem anderen eben auch ganz direkt ein Film über die Desintegration sozialer Räume im Nachkriegsamerika.
Vieles verweist in diesen Szenen auf die Paranoiafilme, die später im selben Jahrzehnt entstehen sollten. Und eigentlich ist auch Hickey & Boggs genau das: ein Paranoiafilm. Allerdings verteilt sich die Paranoia gleichäßig über alle Beteiligte, über alle Orte und alle Geschehnisse, über jede einzelne Einstellung und wird gerade deshalb (weil ein Einnsatzpunkt fehlt, von dem aus die Paranoia als solche erkannt werden könnte, die Existenz eines paranoiden Systems setzt ja eigentlich voraus, dass es irgendwo anders ein zumindest etwas weniger paranoides gibt) nicht figurier- oder verhandelbar. Hickey & Boggs ist ein Paranoiafilm, der noch auf keiner Ebene weiß, dass er einer ist.
Gwai muk / Home Sweet Home, Cheang Pou Soi, 2005
Schon während der ersten Fahrstuhlfahrt im Hochhaus in Richtung neuer Wohnung rappelt es hinter der Wandverkleidung, ein Augenpaar blitzt zwischen den Ritzen und bald ist der Sohn verschwunden. Der Vater ist bald auch außer Gefecht gesetzt, die Mutter stürzt sich in das Gewirr von Lüftungs- und Aufzugsschächten, in denen ein überraschend reales Wesen seinem Tagwerk nachgeht.
Home Sweet Home ist zwar sehr straight und verschwendet nicht viel Zeit mit Expositionen, ist aber dennoch ein unreiner Horrorfilm und deshalb sicher nicht jedermanns Fall. Das Familienmelodram, das noch in fast jedem asiatischen Horrorfilm zu finden ist, expandiert weit über seine Funktionalität für die Genredynamik hinaus und wird zusätzlich mit einer Prise faux-Sozialkritik aufgeladen. Die Spannung zwischen beiden Elementen ist nicht immer eine produktive, gegen Ende wirken die Bemühungen, dem längst vollständig ins Melodram gekippten Plot noch ein wenig Grusel abzugewinnen, allzu bemüht. Das Melodram selbst steigert sich aber dermaßen in den Exzess, dass man an ihm alleine auch seinen Spaß haben kann.
Davor ist Home Sweet Home ohnehin ausgezeichnet Geisterbahn. Wunderschöne, rasante Kamerafahrten zerlegen die gigantischen Hochhäuser, deren tatsächliche Größe der Film erst ganz am Ende preisgibt, in immer neue Stahl / Beton / Glas-Arrangements. Agilität ist, wie in allen guten Hongkongfilmen, wichtiger als Folgerichtigkeit.
La frontiere de l’aube, Philippe Garrel, 2008
Louis Garrel stolpert schon in der ersten Einstellung die Straße mehr schlecht als recht herunter und den aufrechten Gang wird er in diesem Film, über den er nicht den Hauch von Kontrolle hat (bisweilen kommt es einem so vor, als ob auch Philippe Garrel die Kontrolle über das verliert, was er da in die Welt gesetzt hat), nicht lernen.
Zwei aufeinanderfolgende Liebesgeschichten erzählt La frontiere de l’aube, zweimal l’amour fou, einmal sogar bis über den Tod hinaus. Laura Smet als „Filmstar“ (ja, sicher) Carole ist die erste Gespielin, Louis‘ Francois fetischisiert sie und ihre durch und durch unmotivierten selbstzerstörerischen Exzesse genauso wie die Kamera seines Vaters. Immer wieder filmt letztere ihren gesamten Körper im Bett, wie sie ausgestreckt, mit audruckslosem Gesicht, Dinge sagt und tut, die man ihr nicht abnehmen kann und wahrscheinlich auch nicht soll. Ihr finaler Drogen+Alkoholexzess ist kein Kontrollverlust, ein solcher würde vorher vorhandene Kontrolle voraussetzen und also eine Instanz, die eine solche Kontrolle ausüben hätte können, nicht unbedingt gleich ein Subjekt, aber doch wenigstens ein Selbstkonzept und so etwas besitzt Garrels Carole zu keinem Zeitpunkt. In diesem letzten Hotelzimmer gleichen sich einfach nur die motorischen Fähigkeiten dem Geisteszustand an, mehr ist da nicht.
Die zweite Frau ist Clementine Poidatz‘ Eve und La frontiere de l’aube wird mit ihrem Auftauchen weniger abstrakt und dafür in gleichem Maße schrecklich blöde, platt, naiv und großartig. Eve ist Standardbourgeoisie mit dümmlichem Lächeln im Gesicht, readymade-Hausfrauenmentalität sowie öden Frauenproblemen und sie verbürgerlicht Francoise in Windeseile, lässt sich von ihm ein Kind machen, will ihn heiraten und bald unterhält er sich auf der Straße mit alten Kumpanen übers Windelwechseln (wobei Louis Garrel auch bei diesen Gesprächen so ganz grundlegend verwirrt in die Welt blickt, wie nur er es kann – und wohl auch nur in den Filmen seines Vaters, in Les Chansons d’amour hat’s letztens nicht so recht klappen wollen trotz sichtlichem Bemühen). Eve besitzt zwar ebenfalls keine Subjektivität jenseits von Mutterinstinkt und ähnlichem (der Witz an der Sache ist allerdings, dass auch Francoise selber zwar eine hat, aber nur in sehr begrenzten Maße über sie verfügen kann und dass sie den Film nur in sehr problemtaischer Weise bestimmt), macht aber eben auch nichts, wofür sie so etwas gebrauchen könnte.
Nun ja, und dann taucht irgendwann Caroles Geist erst im Wald, dann im Spiegel auf, um Francoise vor dem Spießertum seiner Neuen zu retten. Nicht ein bisschen distanziert sich Garrel von dem grandiosen Unfug, den er da anstellt, sondern schwelgt in wunderschönen neoromantischen Miniaturen, die nicht selten mit altmodischen Irisblenden begonnen oder beendet werden: Francoise vor dem Spiegel, Francoise im Bett, Francoise verwirrt auf der Straße, mal mit, mal ohne Frau, kaum eine dieser Szenen, denen es nicht um Entwicklungen, sondern um das kurze Aufscheinen von Fetischbildern geht, dauert länger als eine Minute, fieberhaft eilt der Film von Bild zu Bild, und das Handlunsganze ist dann zwar manchmal schon (und manchmal auf die falsche Art) folgerichtig, aber diese punktuelle Folgerichtigkeit ist nie das, worauf es ankommt. Zumindest hoffe ich das. Tatsächlich hoffe ich (und glaube ich), dass es gerade aufs Nicht-Folgerichtige ankommt in diesem dann doch vor allem anderen großartigen Film.
Manila sa mga pangil ng dilim / Manila in the Fangs of Darkness, Khavn de la Cruz, 2008
Bembol Roco läuft als Kontra Madiaga durch Manila und schaut dabei denkbar finster drein. Im grünlichen Licht, in das Khavn seine Großaufnahmen taucht, sieht Kontra, glatzköpfig, muskulös und vernarbt, fast aus wie Hulk. In einem multimodalen Monolog aus Schrifteinblendungen und verschiedenen Voice-Over-Kommentaren lässt sich Roco über das Elend der Welt aus und erzählt von einem Rachefeldzug, den er gegen die Welt im allgemeinen und Manila im besonderen zu führen hat und dessen Durchführung der Film dem Zuschauer nicht vorenthält. Rohe Gewalteinbüche, jede Menge spritzendes Blut in billigster Videotrashoptik.
Freilich lässt Manila in the Fans of Darkness offen, in welchem Verhältnis Kontras Gewaltexzesse zu den Spaziergängen durch Manila stehen. Sie gehören nicht auf dieselbe Realitätsebene, sind aber auch keine einfachen psychischen Projektionen. Ebensowenig stellen die Filmausschnitte aus Lino Brockas Manila in the Claws of Light und anderen Roco-Streifen, die Khavn in seinen Film montiert, Erinnerungen und / oder Rückblenden dar. Manila in the Claws of Light ist ein durch und durch synthetischer Film, der seine unterschiedlichen textuellen Ebenen nicht hierarchisch ordnet, sondern immer wieder neu durcheinander wirft.
Manila in the Claws of Light, Brockas Film aus dem Jahr 1975 (den ich leider nicht kenne), dient als Ausgangspunkt. Dort verfolgte derselbe Schauspieler in derselben Rolle seine Geliebte Ligaya auf einer romantisch-blutigen Odyssee durch die philippinische Gegenwart. Auch der neue Kontra verfolgt eine Ligaya (die freilich nicht von derselben Schauspielerin verkörpert wird wie die alte), obsessiv und hoffnungslos hängt er sich an ein Mädchen im weißen Kleid, das ebenfalls scheinbar ziellos durch Manila irrt.
Khavns Film inszeniert zwanghafte Wiederholungen mittels assoziativer Montagen. Immer wieder wechselt der Film von der vermeintlichen Erzählgegenwart (im aktuellen Manila mit dem Hulk-Kontra) in die Filmgeschichte, vermittelt durch filmgrammatische Anschlüsse: Der Gegenwartskontra öffnet eine Tür, die vom filmhistorischen Kontra wieder geschlossen wird, Brockas Kontra entzündet ein Streichholz, Khavns Kontra entfacht damit ein Lagerfeuer. Die Geschichte der Gewalt und der Demütigung pflanzt sich quasi von selbst fort und schaltet sich selbst kurz, ohne, dass irgendeiner der von ihr Betroffenen sich dagegen zu wehren vermag.
Manila in the Fangs of Darkness schichtet defizitäre Bilder. Die (nennen wir sie der Einfachheit halber auch weiterhin so) Gegenwart gehört der billigen digitalen Handkamera, absurde Licht / Schattenwechsel vertreiben noch den letzten Rest der klassischen Kinoillusion. Manchmal beobachtet diese Kamera den laufenden Kontra von der gegenüberliegenden Straßenseite aus, schwankend, verunsichert und verunsichernd, sehr ähnlich wie in der unglaublichen, fast vierzigminütigen zweiten Einstellung von Raya Martins Autohystoria (ein Film, der überhaupt einiges gemeinsam hat mit Manila in the Fangs of Darkness). Ziellose, fast mechanische Bewegung durch den postkolonialen urbanen Raum, der sich durch diese nicht erschließen lässt, aber in dem Bewegung die einzige mögliche Existenzform ist. Die Filmklassiker sind offensichtlich von alten, abgewirtschafteten Videotapes abgefilmt, Digital- und Videoartefakte überlagern sich gegenseitig, zusätzlich wird die Originaltonspur durch elektronische Rhythmen ersetzt. Geschichte entsteht in diesem Kino direkt aus solchen Defiziten, wird geborgen aus den Fehlern, aus Rauschen und Knacken, aus Flirren und falschen Farbwerten, aus ungenauen Anschlüssen und korrupten Parallelmontagen.
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