Von den vier großen Lav-Diaz-Filmen, die ich bislang gesehen habe, hat mich Death... wahrscheinlich am tiefsten beeindruckt und sicherlich am nachhaltigsten verstört. So sehr verstört, dass mir hier nichts anderes möglich ist, als eine sehr vorsichtige Annäherungen an dieses Monstrum von einem Film.
Death... nimmt die Verwüstungen des Taifuns Durian zu Füßen des Vulkans Mayon als Ausgangspunkt. Nur eine Woche nach der Katastrophe begann Diaz dort zu filmen, die Zerstörung prägt den Film in jeder Hinsicht, eingestürzte Wellblechhütten, Trümmer, Kleidungsfetzen aber auch umgestürzte Bäume, Flüsse, die sich neue Wege gebahnt haben, Schlamm, Dreck. Kultur und Natur sind gleichermaßen am Boden.
Der Film ist dann eine einzige, delirierende und dennoch konsequente Öffnung hin auf dieses zerstörte Land. Death... wählt, ganz im Gegensatz zu den streng strukturierten, exakt konstruierten übrigen Filmen (inbesonder im Gegensatz zum unmittelbaren Vorgänger und zum unmittelbaren Nachfolger, zu Heremias und Melancholia, die sich über die einstündigen Segmente der Videotapes strukturieren), dafür eine fast völlig offene Form. Ausgehend von immer wiederkehrenden Trümmerbildern in grobpixeligem Schwarz-Weiß und dem in ihnen platzierten diaztypischen Antihelden Benjamin, einem Dichter und politischen Aktivisten, der aus dem russischen Exil in die Philippinen zurückgekehrt ist, unternimmt der Film Reisen in die unterschiedlichsten Richtungen und entfernt sich doch nie von seinem Anliegen. Mal bewegt sich Diaz ins Dokumentarische und Selbstreflexive (einmal sogar zurück zu Heremias), mal dialogreich in die politische Geschichte und Gegenwart der Philippinen, mal nach Russland (oder besser: in die Projektion eines Russlands als "country built against the sky"), mal nach Zagreb und Manila, hin zu einer anderen, von Vertikalen dominierte Raumorganisation, mal in philosophische und kunsthistorische Diskursfelder und immer wieder hin zu den zahlreichen Frauenfiguren des Films, zu den Frauen, die teilweise ineinander verschwimmen und deren ontologischer Status nicht in allen Fällen gesichert ist.
Vor allem diese in sich jeweils sehr unterschiedlichen Bewegungen hin zu den Frauen sind beeindruckend. Der Film scheint den Versuch zu unternehmen, so viel wie möglich auf diese Frauen zu projizieren, ohne, dass dabei freilich irgendwie ungebührlich Macht über sie ausgeübt würde. Gleich zu Beginn schneidet Diaz von einer langen Einstellung, die sich unsicher tastend über die verwüstete Landschaft bewegt, auf eine nackte Frau im Bett. Die Kamera schwebt dann mit genau derselben Unsicherheit und Vorsicht über diese Frau, minutenlang schreibt sie das Elend auf deren seinerseits makellosen Körper um. Später tauchen andere Frauen auf, Benjamins Mutter, eine Russin, eine tote Schwester, die Ex-Freundin Catalina etc und irgendwie scheint der mythische, brutale, wunderschöne Vulkan Mayon auch mit diesen Frauen, oder zumindest mit einer der vielen Ideen von Weiblichkeit, die der Film entwirft, zu tun zu haben. (Es gibt durchaus, und bei weitem nicht nur pro forma, auch femministische Diskurse in diesem Film und wie auch in anderen Diaz-Filmen ist die einzige Figur, die einen zumindest teilweise produktiven Weltbezug errreicht, eine Frau, nämlich Catalina, verkörpert von Angeli Bayani, die ein Jahr später in Melancholia eine sehr ähnliche Rolle übernehmen wird.)
Die ersten Stunden bewegt sich der Film frei durch Zeit und Raum, umkreist auf immer neuen Bahnen die reale Verwüstung, an der er sich entzündet. Doch je länger er dauert, desto mehr verlagert er seine ganze brutale Dynamik auf Benjamin, dem im letzten Drittel dann ein Martyrium bereitet wird, das in der Filmgeschichte seinesgleichen sucht. Der eigentliche Beginn dieses Martyriums ist, nach einer längeren Passage, in der er ganz aus dem Film verschwindet, eine unglaublich intensive Szene in Manila.
Zunächst führt der Film die Stadt als einen Ort der bedrohlichen, grausamen Vertikalität ein, die erste Einstellung in Manila zeigt eine Straße, die an drei Seiten von finster glänzenden Hochhäusern umgeben ist, die jegliches Leben, jede Bewegung im Keim und in ihren Schatten ersticken. Nach einer kurzen Passage mit bewegter, desorientierter Kamera durch diesen vertikalen Alptraum findet der Film Benjamin in einem Cafe, im Hintergrund vorbeifahrende Autos, auf der Tonspur Straßenlärm. Benjamin sitzt und liest, irgendwann setzt sich ein weiterer Mann zu ihm, der sich als ein Mitarbeiter der Geheimpolizei und ehemaliger Folterer Benjamins entpuppt. Es folgt ein verbitterter und unerbittlicher Schlagabtausch, Benjamin wirft seinem Peiniger seine ganze Verzweiflung und den letzten Rest an Hoffnung, der ihm noch geblieben ist, entgegen, doch alles vergeblich. Als der Geheimpolizist verschwindet, haben sich die Lichtverhältnisse geändert. Benjamin ist nur noch eine schwarze Silhouette vor dem Hintergrund des hell erleuchteten Fensters, weiße Lichtreflektionen schimmern gespenstisch und überstrahlen die Silhouette. Im Grunde stirbt Benjamin bereits in dieser Einstellung, durch den restlichen Film bewegt er sich wie ein Geist.
Endgültig zum Gespenst wird er später (bei Lav Diaz muss so etwas immer gelesen werden als: Stunden später) in Catalinas Haus, im Wohnzimmer. Nach einem weiteren verstörenden Gespräch bewegt er sich zum Fenster, über sein Gesicht legt sich ein weißer, kalter Lichtstreifen wie eine Totenmaske.
Noch ein letztes Aufraffen ist ihm gegönnt, in seltsam aufrechter Körperhaltung unterhält er sich mit seinem Jugendfreund und ewigen Kontahenten Teodoro und breitet vor diesem sein ganzes Martyrium aus. Am Schluss dieses Gesprächs ist nicht nur Benjamin am Ende, sondern auch Teodoro, der sich bis dahin in Indifferenz geflüchtet und sich dabei gut gehalten hatte, der aber in dieser Szene zu einem zweiten Benjamin wird und nach dessen Tod sein Erbe antreten kann und muss.
Nun ist Benjamin bereit, ganz und gar und in jeder Hinsicht zu sterben. Der Film figuriert diesen Tod multiperspektivisch und multimodal. Eine längere Passage, in der Catalina und Teodoro Benjamin gegenüber einem zynischen Reporter verteidigen, verhindert ein Abgleiten in Fatalismus, unendlich bitter und verheerend sind diese letzten Stunden dennoch. Und erst recht die allerletzte Szene, eine schreckenerregende Miniatur irgendwo zwischen ins durch und durch Finstere gewendeter homoerotischer S/M-Fantasie (die Frauen sind sehr radikal abwesend in dieser letzten Szene) und klinisch reiner Grausamkeit (der Yuppie-Wandspiegel). Tiefschwarz und wie der gesamte Film sowohl physisch wie auch psychisch weit jenseits der Schmerzgrenze.
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