The Go Master, Tian Zhuangzhuang, 2006
THE GO MASTER erzählt die Lebensgeschichte des legendären Chinesischen Go-Spielers Wu Quingyuan (aka Go Seigen). Der in China geborene Wu verbrachte den Großteil seines Lebens in Japan und gilt als der herausragende Go-Spieler des letzten Jahrhunderts. Eingebettet ist seine Biografie in die historischen Auseinandersetzungen zwischen China und Japan vor allem während des Pazifikkriegs, deren Erbe noch längst nicht vollständig aufgearbeitet ist: Auch heute noch ist kein Land in China so verhasst wie der benachbarte Inselstaat. - Tian Zhuangzhuang inszeniert dieses Biopic im Stil seines Meisterwerkes SPRINGTIME IN A SMALL TOWN. Exakt komponierte Totalen, kaum Großaufnahmen, flüssige, langsame Kamerabewegungen und spartanische Ausstattung bestimmen den Look des Films. Gut aussehen tut das alles durchaus, auch wenn die Brillanz des Vorgängers bei weitem nicht erreicht wird. Das eigentliche Problem des Films ist aber, dass das elegante Produktionsdesign die Tatsache nicht verbergen kann, dass Tian Zhuangzhuang, eigentlich einer der herausragenden chinesischen Gegenwartsregisseure, hier schlicht und einfach nichts zu sagen hat. THE GO MASTER ist ein hohler Film, der gerne, wie es Tian etwa mit THE BLUE KITE noch geglückt ist, in der Spiegelung der großen Zeitgeschichte in der kleinen, persönlichen Biografie, die Geschichte als Ganzes in den Blick bekommen würde. Ein paar starke Momente entwickelt der Film durchaus, insbesondere in der Konfrontation Wus, der zunächst äußerst angetan ist von seinem Gastland, mit dem japanischen Nationalismus. Wenn aber Wu melancholisch in den karg eingerichteten japanischen Räumen herumsitzt, ins Leere starrt und die Go-Steine (über das Spiel lernt man rein gar nichts in dem Film, was nicht schlimm wäre, wenn der Film sonst genug zu bieten hätte) auf das adrett unscharfe Spielfeld setzt, während um ihn herum die Welt aus den Fugen gerät, so steckt da nicht viel mehr dahinter als ein wenig buddhistisch verbrämte regressive Mystik. Muss nicht sein.
Demnächst im Videodrom
The Blue Kite, Tian Zhuangzhuang, 1993
Tian Zhuangzhuangs THE BLUE KITE ist teilweise companion piece, teilweise aber auch Gegenentwurf avant la lettre zu Zhang Yimous ein Jahr später entstandenem TO LIVE. Beide Filme entwerfen episch angelegte Historienpanoramen, die in den ersten Jahrzehnten des kommunistischen Chinas situiert sind. THE BLUE KITE wählt Tietou als Fokus, einen Jungen, der in den frühen 50er Jahren zur Welt kommt. Sein Vater stirbt alsbald in einem Arbeitslager der neuen Machthaber und Tietou lernt nacheinander zwei Ersatzväter kennen, denen es letzten Endes nicht viel besser ergehen wird. Mit ihm leidet seine Mutter, die Lehrerin Chen Shujuan. - Ganz anders als das kraftvolle, tränenselige Hochglanz-Epos TO LIVE versucht sich THE BLUE KITE nicht an der bedingungslosen Melodramatisierung von Geschichte, sondern wählt einen zurückhaltendere, fast lakonische Stil. In langen Einstellungen beobachtet der Film die Anstrengungen seiner Protagonisten, in den Wirren der postrevolutionären Ordnung festen Boden unter den Füßen zu behalten. THE BLUE KITE ist ein komplexer Film, der auf eindimensionale Schuldzuweisungen verzichtet. So macht Tians Werk deutlich, dass die frühen Reformen der Maoisten im ländlichen China nicht nur enthusiastisch aufgenommen wurden, sondern auch reale Erfolge vorweisen konnten. Um so härter trifft die zunehmende ideologische Verhärtung und Verpolizeilichung des Systems die Bauern, die nach jahrhundertelanger Unterdrückung große Hoffnungen in ihre Befreier investiert hatten. THE BLUE KITE ist ein Historienfilm, wie man ihn leider viel zu selten sieht: inhaltlich wie ästhetisch komplex und dennoch nie prätentiös, gleichzeitig emotional und diskursiv, informativ und streitbar aber nicht manipulativ.
Demnächst im Videodrom, schon jetzt in Filmkunst
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Saturday, November 08, 2008
Wednesday, May 03, 2006
Xiao cheng zhi chun, Tian Zhuangzhuang, 2002
Man stelle sich einmal vor, Hollywood drehe ein Remake von Casablanca und heraus käme tatsächlich ein guter Film. Also einer ohne postmodernes Gewurste, blöde überstilisierte Noiroptik, ironische Humphrey-Bogart-Wannabes und idiotisches Rumgeflashe jeder Art. Und ohne Robbie Williams oder Gott weiss wer sonst als Sam. Unvorstellbar, natürlich, und dies liegt zugegebenermaßen nicht nur am großenteils erbärmlichen Zustand des gegenwärtigen Hollywoods, sondern auch an der popkulturellen Überformung die Casablanca hinter sich hat und die eine Annäherung an den Originalfilm nur über eine nicht ignorierbare Barriere aus kulturellen Konnotationen und Fußnoten jeder Art erlaubt.
So gesehen hatte es Tian Zhuangzhuang leichter. Zwar ist die Vorlage seines Films ein mindestens so perfektes Werk wie Casablanca, doch der kulturelle Einfluss des kleinen, aufs allernötigste reduzierte Melodram aus dem Jahr 1948 hat sich in den wirren der chinesischen Geschichte kaum in einer nennenswerten Legendenbildung niederschlagen können - zumindest soweit diese Beobachtung mir als very distant observer möglich ist.
Zhuangzhuang übernimmt zwar die Geschichte des Originals zu weiten Teilen, doch etabliert ein völlig anderes stilistisches Konzept, weit entfernt von den subjektivierenden Techniken des Originals. Die Kamera gleitet in lateralen Kamerafahrten an die Szenerie heran, mal schneller, meistens langsamer, doch wenn sie einmal die optimale Position erreicht hat, bindet sie sich an die Figuren, weicht keinen Millimeter mehr von diesen ab, bis ans Ende der Einstellung. Die lateralen Fahrten erschaffen einen plastischen und gleichzeitig höchst künstlichen Raum, der in mancher Hinsicht den Postkartenbildern Ozus gleicht, jedoch dennoch auf fast bizarre Art Tiefe vermittelt, eine Tiefenwirkung, wie man sie in 3D-Postkarten findet, fein säuberlich voneinander geschiedene, im Raum gestaffelte Sphären. Die Kamerafahrten sind nichts anderes als ein Nachvollziehen der Bewegung, die auch das Betrachten dieser Karten erfordert, um die Tiefenillusion zu erzeugen.
Unterschiedliche Schichten, die mehr mechanisch als organisch verbunden sind; Gefühle, die an Menschen haften wie Aufkleber; Menschen, die den Raum, der sie umgibt nicht beherrschen, sondern sich in ihn einschreiben, sich der spatialen Logik unterordnen.
Differenzen entstehen nicht durch Brüche im System, sondern durch Intensivierung. Die Kamera fährt immer noch in ruhigen, lateralen Fahrten im verwinkelten Bürgerhaus umher, allerdings ein wenig näher an den Figuren, die nun noch mechanischer erscheinen. Zwei, drei Einstellungen sind es nur in diesem Film, die das große Drama andeuten.
Am Ende verlässt der Störenfried, der wie der erste Dominostein der reihe das Drama in Gang brachte, die zurückbleibende Familie. Die Steine sind längst wieder aufgestellt. Die Frau sitzt vor dem Fenster und stickt, der Mann stutzt die neuen Triebe der Bäume. Der Frühlig ist vorbei, der Alltag kehrt wieder ein. Ganz leise hört man, wie der Zug mit dem Eindringling abfährt und langsam in die Ferne entschwindet.
So gesehen hatte es Tian Zhuangzhuang leichter. Zwar ist die Vorlage seines Films ein mindestens so perfektes Werk wie Casablanca, doch der kulturelle Einfluss des kleinen, aufs allernötigste reduzierte Melodram aus dem Jahr 1948 hat sich in den wirren der chinesischen Geschichte kaum in einer nennenswerten Legendenbildung niederschlagen können - zumindest soweit diese Beobachtung mir als very distant observer möglich ist.
Zhuangzhuang übernimmt zwar die Geschichte des Originals zu weiten Teilen, doch etabliert ein völlig anderes stilistisches Konzept, weit entfernt von den subjektivierenden Techniken des Originals. Die Kamera gleitet in lateralen Kamerafahrten an die Szenerie heran, mal schneller, meistens langsamer, doch wenn sie einmal die optimale Position erreicht hat, bindet sie sich an die Figuren, weicht keinen Millimeter mehr von diesen ab, bis ans Ende der Einstellung. Die lateralen Fahrten erschaffen einen plastischen und gleichzeitig höchst künstlichen Raum, der in mancher Hinsicht den Postkartenbildern Ozus gleicht, jedoch dennoch auf fast bizarre Art Tiefe vermittelt, eine Tiefenwirkung, wie man sie in 3D-Postkarten findet, fein säuberlich voneinander geschiedene, im Raum gestaffelte Sphären. Die Kamerafahrten sind nichts anderes als ein Nachvollziehen der Bewegung, die auch das Betrachten dieser Karten erfordert, um die Tiefenillusion zu erzeugen.
Unterschiedliche Schichten, die mehr mechanisch als organisch verbunden sind; Gefühle, die an Menschen haften wie Aufkleber; Menschen, die den Raum, der sie umgibt nicht beherrschen, sondern sich in ihn einschreiben, sich der spatialen Logik unterordnen.
Differenzen entstehen nicht durch Brüche im System, sondern durch Intensivierung. Die Kamera fährt immer noch in ruhigen, lateralen Fahrten im verwinkelten Bürgerhaus umher, allerdings ein wenig näher an den Figuren, die nun noch mechanischer erscheinen. Zwei, drei Einstellungen sind es nur in diesem Film, die das große Drama andeuten.
Am Ende verlässt der Störenfried, der wie der erste Dominostein der reihe das Drama in Gang brachte, die zurückbleibende Familie. Die Steine sind längst wieder aufgestellt. Die Frau sitzt vor dem Fenster und stickt, der Mann stutzt die neuen Triebe der Bäume. Der Frühlig ist vorbei, der Alltag kehrt wieder ein. Ganz leise hört man, wie der Zug mit dem Eindringling abfährt und langsam in die Ferne entschwindet.
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