Der handelsübliche (und zwar beileibe nicht nur aber doch auch in besonderem Maße: deutsche) Zeitgeschichte bearbeitende Historienstreifen beschwört die Vergangenheit mithilfe opulenter Ausstattung und einer im besten Fall wertkonservativen, meist jedoch schlicht und einfach armen Filmsprache. Beschworen wird hierzulande stets die Macht des Faktischen, der damit einhergehende Authentizitätsgestus artikuliert sich meist weniger im Film selbst, sondern in den mit diesen einhergehenden öffentlichen Diskursen, in Fernsehspecials, Feuilletonstreitereien etc. Wie anders funktioniert dagegen Buongiorno, notte, ein großartiger, unglaublich intensiver Film über die politischen Wirren im Italien der Siebziger Jahre.
Bellocchios wählt in beeindruckender Konsequenz den entgegengesetzten Weg: Buongiorno, notte verzichtet auf 70ies Chick jeder Art, die Annäherung an die Vergangenheit findet äußerst vorsichtig statt, mithilfe einer sparsamen Zeichenökonomie. Abgesehen von einigen teilweise recht sonderbaren Ausflügen, deren genauer Status nicht immer zu entschließen ist: Manchmal ein Büro, zweimal (in zwei grandiosen Sequenzen) ein Fahrstuhl, vor allem jedoch die kleine Wohnung, in welcher die Rotbrigadisten Aldo Moro, den ehemaligen Ministerpräsidenten und damaligen Parteichef der Christdemokraten Italiens, gefangen halten. Doch auch wenn der Handlungdraum beschränkt ist, der Film selbst ist es nicht.
Bereits innerhalb der Wohnung entwickelt sich ein beeindruckendes Versteckspiel zwischen dem alten Politiker, seinen Entführern, die nur maskiert mit ihm kommunizieren und Chiara, ihrer einzigen weiblichen Verbündeten, die (und mit der Zeit nicht mehr nur sie, sondern auch die Kamera unabhängig von ihr: Buongiorno, notte etabliert die psychologisierende Erzählperspektive nur, um sie bei jeder Gelegenheit zu transzendieren) Moro durch ein kleines Loch in der Türe beobachtet.
Immer wieder entwickelt der Film neue Konstellationen der Sichtbarkeit und der Nichtsichtbarkeit, die Brigadisten sind in ihrer Wohnung (und ihren Gedankengebäuden) fast ebenso gefangen wie Moro selbst, wie nicht zuletzt der Blick durch das wie vergittert wirkende Fenster belegt. In diesem Mikrokosmos spiegeln sich die politischen Auseinandersetzungen innerhalb und außerhalb der Gruppe auf sonderbare Art: Der Balkon der Wohnung wird buchstäblich zum utopischen Raum, und zwar zum einzigsten, der unmittelbar zugänglich ist.
Doch Buongiorno, notte erweitert seinen äußerst übersichtlichen Handlungsraum gleich auf zweifache Weise nach innen: Nicht nur in Richtung auf die Innenarchitektur und die Blickverhältnisse (sowie technsich Vermittelt über Fenrsehbilder auf die historische Realität der siebziger Jahre), sondern auch auf die Figuren selbst. Chiaras Erinnerungen, Wünsche, Ängste werden in einen illusorischen Raum projiziert, den Bellocchios Kamera bald nicht mehr so eindeutig von seiner historischen Rekonstruktion trennen möchte.
Seltsame Zeichenketten entwirft Bellocchio in einigen dieser Sequenzen: Chiara liest in einem Buch Briefe italienischer Partisanen im zweiten Weltkrieg, erinnert sich daran, wie ihr Vater ihr dieselben einst vorgelesen hatte. Der Film schließlich visualisiert dies mithilfe einiger Ausschnitte aus Paisa, begleitet von der empathischen, wunderschönen Musik, die den gesamten Film ein wenig über dem Gezeigten zu schweben scheint.
Langsam aber sicher lösen sich diese Gedankenbilder in Buongiorno, notte von ihrem Ursprung in Chiaras Psyche und sorgen für eine weitere Öffnung: In Richtung auf einen alternativen Geschichtsverlauf, in Richtung auf eine Utopie, deren unwiederbringlichen Verlust Bellocchios Film zwar betrauert, der er jedoch dennoch bildlichen Ausdruck verleiht, und zwar sogar noch in der allerletzten Einstellung.
Sunday, June 24, 2007
Tuesday, June 19, 2007
Die Insel der blutigen Plantage, Peter Kern / Kurt Raab, 1983
Kern und Raab nehmen sich mit Die Insel der blutigen Plantage dem Prison Island-Film, einem Subgenre, welches in mancher Hinsicht den Exploitationfilm par excellence darstellt, bietet es doch neben der sadistischen Gewalt und dem hier gebrochen voyeuristischen Bezug auf Sexualität (schließlich scheinen Südseefrauen den männlichen Blick nicht aus Schamhaftigkeit zurückzuweisen) noch ein exotisiertes Setting, welches beide Elemente verstärkt, weil angeblich naturalisiert, zur Geltung kommen lässt.
Die Insel der blutigen Plantage nimmt von den Regeln des Genres gleichzeitig zu wenig und zu viel Abstand. Zu wenig, um eine Möglichkeit zu besitzen, mit der Form etwas über dieselbe auszusagen - oder über irgendetwas anderes. Zu viel, um auch nur einigermaßen innerhalb der Form zu funktionieren. Dabei ist der Versuch durchaus erkennbar, die Differenz zu den Vorbildern (allen voran wohl zu Russ Meyers großartigem, storytechnisch fast bis aufs Haar identischen Black Snake) gering zu halten, keinen selbstreflexiven, bildungsbürgeraffinen Diskurs über Populärkultur zu führen (ala Fassbinder, dem Kern und Raab mit Die Insel der blutigen Plantage wohl gehörig eins auswischen wollten), sondern deren Prinzipien direkt, ungefiltert auszuspielen. Die faktische Differenz zum generischen Prison Island Film ist weniger darauf zurückzuführen, dass Kern / Raab nicht wollen, sondern dass sie nicht so recht (von ihren Wurzeln im Neuen Deutschen Film lösen) zu können scheinen.
Denn obwohl laut imdb Sexploitationmogul Erwin C. Dietrich an der Produktion beteiligt war und prinzipiell alle Zutaten (leichtbekleidete Inselmädchen, eine sadistische Wärterin namens Olga, tendenziell psychotische Wärter, einer sogar gespielt von Udo Kier, unterirdische Softpornomusik etc) vorhanden sind, bleibt die Inszenierung stets äußerst zäh, weil eben einerseits doch noch dem Qualitätsfilm verhaftet, der den stilistischen Exzess meist selbst dann ausschließt, wenn er sich kaum vermeiden lässt und in diesem Fall auch eine Peitschenszene in Schuss / Gegenschuss auflöst und andererseits selbst die sleazetauglicheren Elemente, wie vor allem die Tonspur, nicht konsequent genug erscheinen.
Anstatt wie Russ Meyer (oder der grenzdebile, aber ebenfalls tausendmal unterhaltsamere Die Todesgöttin des Liebescamps) die dem Genre eigenen Schlüsselreize konsequent zu übersteigern und dadurch dieselben nicht nur ad absurdum zu führen, sondern vielleicht sogar deren transgressives Potential freizusetzen, konstruieren Kern und Raab aus dem Material ihrer Inselsaga eine dumm-didaktische Allegorie. Und diese schreitet noch dazu äußerst gemächlich voran, auf dass das Publikum auch wirklich jeden einzelnen Schritt nachvollziehen können soll. Und so sehnt sich auch der hartgesottenste Sleazefreund spätestens nach einer halben Stunde nach Fassbinder.
Der neue deutsche Film goes Exploitation und macht dabei alles andere als eine gute Figur.
Die Insel der blutigen Plantage nimmt von den Regeln des Genres gleichzeitig zu wenig und zu viel Abstand. Zu wenig, um eine Möglichkeit zu besitzen, mit der Form etwas über dieselbe auszusagen - oder über irgendetwas anderes. Zu viel, um auch nur einigermaßen innerhalb der Form zu funktionieren. Dabei ist der Versuch durchaus erkennbar, die Differenz zu den Vorbildern (allen voran wohl zu Russ Meyers großartigem, storytechnisch fast bis aufs Haar identischen Black Snake) gering zu halten, keinen selbstreflexiven, bildungsbürgeraffinen Diskurs über Populärkultur zu führen (ala Fassbinder, dem Kern und Raab mit Die Insel der blutigen Plantage wohl gehörig eins auswischen wollten), sondern deren Prinzipien direkt, ungefiltert auszuspielen. Die faktische Differenz zum generischen Prison Island Film ist weniger darauf zurückzuführen, dass Kern / Raab nicht wollen, sondern dass sie nicht so recht (von ihren Wurzeln im Neuen Deutschen Film lösen) zu können scheinen.
Denn obwohl laut imdb Sexploitationmogul Erwin C. Dietrich an der Produktion beteiligt war und prinzipiell alle Zutaten (leichtbekleidete Inselmädchen, eine sadistische Wärterin namens Olga, tendenziell psychotische Wärter, einer sogar gespielt von Udo Kier, unterirdische Softpornomusik etc) vorhanden sind, bleibt die Inszenierung stets äußerst zäh, weil eben einerseits doch noch dem Qualitätsfilm verhaftet, der den stilistischen Exzess meist selbst dann ausschließt, wenn er sich kaum vermeiden lässt und in diesem Fall auch eine Peitschenszene in Schuss / Gegenschuss auflöst und andererseits selbst die sleazetauglicheren Elemente, wie vor allem die Tonspur, nicht konsequent genug erscheinen.
Anstatt wie Russ Meyer (oder der grenzdebile, aber ebenfalls tausendmal unterhaltsamere Die Todesgöttin des Liebescamps) die dem Genre eigenen Schlüsselreize konsequent zu übersteigern und dadurch dieselben nicht nur ad absurdum zu führen, sondern vielleicht sogar deren transgressives Potential freizusetzen, konstruieren Kern und Raab aus dem Material ihrer Inselsaga eine dumm-didaktische Allegorie. Und diese schreitet noch dazu äußerst gemächlich voran, auf dass das Publikum auch wirklich jeden einzelnen Schritt nachvollziehen können soll. Und so sehnt sich auch der hartgesottenste Sleazefreund spätestens nach einer halben Stunde nach Fassbinder.
Der neue deutsche Film goes Exploitation und macht dabei alles andere als eine gute Figur.
Saturday, June 16, 2007
Anno uno, Roberto Rossellini, 1974
"Rossellini machte aus seiner Bewunderung für den Menschen und Politiker de Gasperi keinen Hehl, so dass zum Teil der Eindruck des Personenkults entsteht. (...) Politische und gesellschaftliche Wiedersprüche dieser Zeit werden in ANNO UNO weitgehend ausgeblendet." (mehr)
Selbst das Programm des Kinos Arsenal, das selbst die frühen Propagandafilme, die Roberto Rossellini für Mussolinis Faschisten anfertigte, mit dem Argument verteidigt, diese Werke würden ihren Zweck nicht erfüllen und statt dessen die "Absurdität des Krieges" oder ähnliches darstellen (zumindest der von mir gesehene La nave bianca allerdings rechtfertigt diese Lesart in keiner Weise), kann mit einem Film, der sich mit dem Sieg der Christdemokratie im Nachkriegsitalien auseinandersetzt und dabei Position für De Gasperi bezieht, nicht anfreunden. Dabei ist Anno uno kein Produkt eines faschistischen Staatsapparates, nicht einmal eine Auftragsarbeit, sondern zuallererst ein Autorenfilm, der nicht nur unter einer demokratisch gewählten Regierung entstanden ist, sondern auch von einer ebensolchen handelt. Mag man nun von der europäischen Christdemokratie halten was man will, erstaunlich bleibt es doch, dass ausgerechnet dieses Sujet vom Arsenalprogramm als nicht mehr ganz legitim dargestellt wird. Im Kino setzt sich dies dann dergestalt fort, dass mindestens zwei Besucher den Saal während der Vorstellung verlassen, während sie sie sich über den "Propagandafilm" auslassen, den sie gesehen zu haben glauben.
Dabei ist Anno uno alles andere als ein Propagandafilm. Nicht einmal die grundlegendsten Voraussetzungen für einen solchen werden erfüllt. Schließlich ist De Gasperi im Jahr 1974 bereits seit 20 Jahren tot und nie versucht der Film, den Bogen zur italienischen Gegenwart zu schlagen, zumindest nie in einer Weise, die geeignet erscheint, die Figur De Gasperi (und noch weniger die Partei der Christdemokraten) für aktuelle politische Auseinandersetzungen zu instrumentieren.
Und Anno uno entzieht sich nicht nur diesem direkt instrumentellen Zugriff, sondern auch zahlreichen anderen Konsumptionsparadigmen, die sich mit Historienfilmen verbinden lassen. Nach der Titelsequenz (hat es eine Bedeutung, dass diese exakt die Titelsequenzen Ozus nachahmt) entwickelt Rossellini einen sonderbaren, irgendwie erkalteten Modernismus. Die Eröffnungssequenz spielt noch während dem Weltkrieg. Zu dezent atonaler Musik entwickelt Anno uno mehrere dezidiert komponierte Schlachtfeldvignetten. Wie in der großartig fotografierten ersten Schlacht in Viva L'Italia ist die bevorzugte Einstellungsgröße die Totale oder gar die Panoramaaufnahme, wie in Viva L'Italia bewegt sich die Kamera sanft, aber bestimmt, unabhängig von den Bewegungen einzelner Figuren, orientiert sich an den größeren Truppenverschiebungen und Flüchtlingsströmen, die die Leinwand in ihrer ganzen Breite ausfüllen.
Doch in Anno uno findet sich als zusätzliche Komponente eine unübersehbare Theatralität. Die Kadrierung wird durch die genau ausgewählte Architektur (und nicht zufällig steht zwischen den Ruinen ein fast intakter antiker Tempel) oft explizit als Bühne gekennzeichnet, teilweise übernehmen Mauernbögen eine zusätzlich rahmende Funktion. Diese Anfangssequenz, die die brutale Dynamik des Krieges auf verwirrende Weise mit der domestizierenden Kraft der Inszenierung verbindet, schreibt von Anfang an eine unüberwindliche Distanz zwischen Zuschauer und Film einerseits und zwischen Film und Realgeschichte andererseits in Anno uno ein. Außerdem scheinen diese Bilder, die in gewisser Weise immer etwas zu groß für die Leinwand sind (zu viel Informationen enthalten, zu viel Abstand zu den Figuren halten, zu große Gebäude im Vergleich zu zu kleinen Menschen zeigen etc) im weiteren Verlauf immer als Drohung über der Handlung zu schweben.
Selbst das Programm des Kinos Arsenal, das selbst die frühen Propagandafilme, die Roberto Rossellini für Mussolinis Faschisten anfertigte, mit dem Argument verteidigt, diese Werke würden ihren Zweck nicht erfüllen und statt dessen die "Absurdität des Krieges" oder ähnliches darstellen (zumindest der von mir gesehene La nave bianca allerdings rechtfertigt diese Lesart in keiner Weise), kann mit einem Film, der sich mit dem Sieg der Christdemokratie im Nachkriegsitalien auseinandersetzt und dabei Position für De Gasperi bezieht, nicht anfreunden. Dabei ist Anno uno kein Produkt eines faschistischen Staatsapparates, nicht einmal eine Auftragsarbeit, sondern zuallererst ein Autorenfilm, der nicht nur unter einer demokratisch gewählten Regierung entstanden ist, sondern auch von einer ebensolchen handelt. Mag man nun von der europäischen Christdemokratie halten was man will, erstaunlich bleibt es doch, dass ausgerechnet dieses Sujet vom Arsenalprogramm als nicht mehr ganz legitim dargestellt wird. Im Kino setzt sich dies dann dergestalt fort, dass mindestens zwei Besucher den Saal während der Vorstellung verlassen, während sie sie sich über den "Propagandafilm" auslassen, den sie gesehen zu haben glauben.
Dabei ist Anno uno alles andere als ein Propagandafilm. Nicht einmal die grundlegendsten Voraussetzungen für einen solchen werden erfüllt. Schließlich ist De Gasperi im Jahr 1974 bereits seit 20 Jahren tot und nie versucht der Film, den Bogen zur italienischen Gegenwart zu schlagen, zumindest nie in einer Weise, die geeignet erscheint, die Figur De Gasperi (und noch weniger die Partei der Christdemokraten) für aktuelle politische Auseinandersetzungen zu instrumentieren.
Und Anno uno entzieht sich nicht nur diesem direkt instrumentellen Zugriff, sondern auch zahlreichen anderen Konsumptionsparadigmen, die sich mit Historienfilmen verbinden lassen. Nach der Titelsequenz (hat es eine Bedeutung, dass diese exakt die Titelsequenzen Ozus nachahmt) entwickelt Rossellini einen sonderbaren, irgendwie erkalteten Modernismus. Die Eröffnungssequenz spielt noch während dem Weltkrieg. Zu dezent atonaler Musik entwickelt Anno uno mehrere dezidiert komponierte Schlachtfeldvignetten. Wie in der großartig fotografierten ersten Schlacht in Viva L'Italia ist die bevorzugte Einstellungsgröße die Totale oder gar die Panoramaaufnahme, wie in Viva L'Italia bewegt sich die Kamera sanft, aber bestimmt, unabhängig von den Bewegungen einzelner Figuren, orientiert sich an den größeren Truppenverschiebungen und Flüchtlingsströmen, die die Leinwand in ihrer ganzen Breite ausfüllen.
Doch in Anno uno findet sich als zusätzliche Komponente eine unübersehbare Theatralität. Die Kadrierung wird durch die genau ausgewählte Architektur (und nicht zufällig steht zwischen den Ruinen ein fast intakter antiker Tempel) oft explizit als Bühne gekennzeichnet, teilweise übernehmen Mauernbögen eine zusätzlich rahmende Funktion. Diese Anfangssequenz, die die brutale Dynamik des Krieges auf verwirrende Weise mit der domestizierenden Kraft der Inszenierung verbindet, schreibt von Anfang an eine unüberwindliche Distanz zwischen Zuschauer und Film einerseits und zwischen Film und Realgeschichte andererseits in Anno uno ein. Außerdem scheinen diese Bilder, die in gewisser Weise immer etwas zu groß für die Leinwand sind (zu viel Informationen enthalten, zu viel Abstand zu den Figuren halten, zu große Gebäude im Vergleich zu zu kleinen Menschen zeigen etc) im weiteren Verlauf immer als Drohung über der Handlung zu schweben.
Die spezielle Form der Long-Take-Ästhetik setzt sich im späteren Film genauso fort wie die ausgestellte Theatralität der Inszenierung. Mit sehr wenigen Ausnahmen wird eine Szene in genau einer Einstellung aufgelöst, die (beständige, aber mit gleichbleibender Geschwindigkeit vorgenommene) Kamerabewegung folgt im Allgemeinen nicht den Bewegungen der Figuren, nicht einmal unbedingt dem Gesprächsverlauf, sondern scheint sich vielmehr an den Gedanken, die zwischen Rossellini, dem Publikum und dem Geschehen auf der Leinwand ausgetauscht werden, zu orientieren.
Immer wieder versammelt sich eine Gruppe von Figuren vor der Kamera (nicht: die Kamera sucht eine Gruppe von Figuren auf), die sich gegenseitig, vor allem aber das Publikum, über die politischen Ereignisse der letzten Wochen oder Monate aufklärt. Eine seltsame Form der Informationsvergabe, die formal die Kohärenz der Diegese aufrecht erhält, jedoch die Illusion der vierten Wand bei jeder Gelegenheit untergräbt. Verschiedene Dispositive innerhalb des Films (im Gesellschaftssalon, in der Kneipe etc) tauchen immer wieder auf, kommentieren die Handlung, ordnen sie in die Weltpolitik ein etc.
Das ganze spielt in meist auffällig entleerten Räumen und Straßen, viele Schauplätze sind extrem stilisiert, mindestens einer, der mehrere Male auftaucht, ist hauptsächlich eine gemalte Kullisse (und auch dies wird nicht etwa versteckt, sondern ausgestellt).
Es geht um Politik und deren moralische Grundlage, den christlichen Glauben und sein Verhältnis zum Klassenkampf, vor allem jedoch um die italienische Realgeschichte, die Geschichte der Regierungsbildungen und -krisen, der Geschichte der unterschiedlichen Koalitionen und ihres Zusammenbruchs, nicht jedoch um die Darstellung derer Folgen im sozialen Gefüge Italiens in Form einer weinerlichen Intrige, die einfache Ursache-Wirkung-Zusammenhänge ausweist, wo solche einfach nicht postulierbar sind (insofern hat das Arsenalprogramm natürlich recht: die sozialen Widersprüche werden ausgeblendet, aber nur, weil der Film auf einer Differenz zwischen dem Politischen und dem Sozialen besteht, was vor allem in der einzigen Szene deutlich wird, in welcher dieses Soziale mit Gewalt in den Film einzudringen scheint: De Gasperi besucht, inzwischen gewählter Ministerpräsident, ein verarmtes Dorf im Süden Italiens und versucht verzweifelt, eine gemeinsame Sprache mit seinen potentiellen Wählern zu finden, dabei scheinen beide Gruppen kaum in einem einzigen Bildkader Platz zu finden).
Und der Personenkult? In der letzten halben Stunde wird De Gasperi umringt von meistens gleich vier Frauen, die sich während seiner Telefongespräche und pathetischen Monologen diskret im Hintergrund halten, ihm höchstens einmal ein, zwei respektvolle Fragen stellen (aber über die Kamera haben sie selbstverständlich nie Kontrolle), die seine Koffer packen und in mancher Hinsicht als natürliche Verlängerung /Begleiterscheinung seiner Anwesenheit auftreten. De Gasperi geschichtswirkende Gedanken schreiben sich nicht zuletzt durch diese weibliche Anhängerschaft in einer besonders privilegierten Position in den Film ein. Doch nie werden die Frauen (oder irgendwelche anderen Elemente des Films) eingesetzt, um De Gasperi etwas zu verschaffen, was er nach der dem Film inhärenten Logik nicht verdient hätte. Die zunehmende Konzentration des gesamten filmischen Apparats auf die Fiur entspringt einem offenen Diskurs, den Rossellini mit dem Publikum führt. Und der es letzterem selbstverständlich auch erlaubt (und ihn durch die in den Film eingeschriebenen dialogartigen Auseinandersetzung mit politischen und philosophischen Fragen fast dazu auffordert), der Argumentation in dem einen oder anderen Punkt zu widersprechen.
Ein großer Film.
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Wednesday, June 13, 2007
Viva L'Italia!, Roberto Rossellini, 1961
Ein Kampf auf Sizilien zwischen italienischen Nationalisten und ihren zahlreichen Widersachern. Der Anführer der Nationalisten, der bärtige, blondgelockte Giuseppe Garibaldi inspiziert am Horizont den Aufmarsch des gegnerischen Heeres und die Aufstellung seiner eigenen Truppen. Lange nimmt sich Rossellini für diese Panoramaaufnhamen Zeit, die einzelnen Heeresteile scheinen manchmal fast mit der sie umgebenden Landschaft zu verschmelzen, immer jedoch werden sie von dieser dominiert. Auch wenn die Schlacht beginnt, können die Einschläge der Kanonenkugeln den sizilianischen Wiesen wenig anhaben. Wieder dominiert die Totale, der Panoramablick, oft scheint Rossellinis Kamera die Perspektive des Feldherrn einzunehmen, der etwas abseits des Geschehens und vergleichsweise ungefährdet die Schlacht begutachtet. Fahnen werden erobert, Scheinsiege errungen, doch am Ende siegt Garibaldis Heer. In den Totalen bleibt das Verhältnis zwischen den ameisenartigen Menschen und ihrer Umgebung immer unklar. Zwar geht es um Eroberung, um Raumgewinn, der sich in diesen Sequenzen auch innerhalb einer einzelnen Einstellung (unterschiedliche Truppenbewegungen, die durch einen Kameraschwenk erfasst werden etc) ausmachen lässt, doch zu eigen machen sich die Truppen das Land trotzdem nie. Die sizilianischen Hügel bleiben eine letztlich abstrakte Spielfläche für die historischen Diskurse, die der film eröffnet und werden nicht durch die Injektion eines rein privaten Melodramas (der "kleine Fußsoldat" im Gegensatz / als Ergänzung zu Garibaldi spielt in dem Film nie eine Rolle) naturalisiert.
Denn alle Figuren, und letztlich sogar die Ziegen der sizilianischen Bauern sind in Viva L'Italia zuallererst und im Grunde ausschließlich historische Agenten. So gut wie in der oben beschriebenen Sequenz ist der Film im weiteren Verlauf zwar nicht mehr, oder nur noch punktuell, und das meistens in Momenten, in welchen die Kamera einen ähnlich großen Abstand zu ihren Figuren hält. Dennoch, auch der vergleichsweise konventionelle Historienfilm, der auf die Schlacht in Sizilien folgt und dem ab und an denn doch eine melodramatische Note beigefügt wird, ist durch die unbedingte Betonung der geschichtsprägenden Wirkung aller dargestellten Ereignissen, durch die darin enthaltene didaktische Absicht, die weit über den jubelnationalistischen Anlass des Films hinaus weist, in vieler Hinsicht das genaue Gegenteil der Geschichtsfilmerei der letzten Jahre, die nicht erklären, nicht einmal überzeugen, sondern einfach nur bestätigen / sedieren möchte.
Denn alle Figuren, und letztlich sogar die Ziegen der sizilianischen Bauern sind in Viva L'Italia zuallererst und im Grunde ausschließlich historische Agenten. So gut wie in der oben beschriebenen Sequenz ist der Film im weiteren Verlauf zwar nicht mehr, oder nur noch punktuell, und das meistens in Momenten, in welchen die Kamera einen ähnlich großen Abstand zu ihren Figuren hält. Dennoch, auch der vergleichsweise konventionelle Historienfilm, der auf die Schlacht in Sizilien folgt und dem ab und an denn doch eine melodramatische Note beigefügt wird, ist durch die unbedingte Betonung der geschichtsprägenden Wirkung aller dargestellten Ereignissen, durch die darin enthaltene didaktische Absicht, die weit über den jubelnationalistischen Anlass des Films hinaus weist, in vieler Hinsicht das genaue Gegenteil der Geschichtsfilmerei der letzten Jahre, die nicht erklären, nicht einmal überzeugen, sondern einfach nur bestätigen / sedieren möchte.
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Sunday, June 10, 2007
La Paura, Roberta Rossellini, 1954
La Paura basiert auf einer Vorlage Stefan Zweigs und ist ein in mancher Hinsicht ein narrativerer, etwas wenbiger befreiter Film als andere Werke Rossellinis aus dieser Phase. Die Handlung wie die szenische Auflösung zumindest im mittleren Abschnitt erinnert an den Film Noir, der zur gleichen Zeit in Amerika seine letzten, oft reichlich wahnwitzigen Highlights findet. Rossellini hält sich demgegenüber jedoch zurück, inszeniert ein bittersüßes Melodram mit einer widerum äußerst souveränen Ingrid Bergman, die deutsch mit einem recht sonderbaren Akzent spricht.
Immer wieder jedoch - und vornehmlich zu Beginn und am Ende des Films - wendet sich der Film von der Familiengeschichte ab (ein kompletter Zusammenbruch derselben findet sich freilich anders als in Viaggio in Italia, Stromboli oder Europa '51 nie, es geht nie um einen kompletten Neuanfang, sondern um Freiräume, Irritationen und wechselseitige Betrügereien innerhalb einer Ordnung, die letztlich nie transzenidert werden kann). In der seltsamen und retrospektiv durch und durch falschen und faulen Idylle der deutschen Provinz übt sich Ingrid Bergman im nostalgischen Blick, doch die Kamera seziert die Machtverhältnisse von Beginn an gnadenlos, das Gewehr gehört den Männern, wird von einer Generation zur nächsten weitergereicht, die Frauen bleiben im Hintergrund, setzen diese Machtübertragung in hilflosen Gesten fort.
Mehr Potential hat der wissenschaftliche Blick. Doch der Status der Bilder, die Albert Wagners Tierexperimente zeigen, bleibt immer etwas unklar. Zwar stellt der Film verschiedene Versuchsanordnungen nach, doch wenn Bergman am Ende, in einer unglaublich großartigen Sequenz, wie von Sinnen durch Alberts Labor irrt, vorbei an eingesperrten Versuchstieren, weist der Film weit über die naheliegende allegorische Ebene hinaus. Freigestellte Emotionen, befreite und gerade deshalb morbide Gedankenwelten treffen auf eine kategorisierende, analytische Logik, die in Rossellinis Welt immer ein Fremdkörper bleiben wird - ein faszinierender Fremdkörper allerdings, der niemals einfach zurückgewiesen werden kann.
Die Intrige selbst ist zu diesem Zeitpunkt bereits fast vergessen, ausgelöscht vor allem durch die reine ausgestellte Emotion, die Großaufnahmen Bergmans und Renate Mannhardts, die in einer Schlüsselsequenz des Films in das sich bis dahin recht konsequent entfaltende Melodrama eindringt und dieses gleichzeitig zum Abschluss bringt und zerstört.
Immer wieder jedoch - und vornehmlich zu Beginn und am Ende des Films - wendet sich der Film von der Familiengeschichte ab (ein kompletter Zusammenbruch derselben findet sich freilich anders als in Viaggio in Italia, Stromboli oder Europa '51 nie, es geht nie um einen kompletten Neuanfang, sondern um Freiräume, Irritationen und wechselseitige Betrügereien innerhalb einer Ordnung, die letztlich nie transzenidert werden kann). In der seltsamen und retrospektiv durch und durch falschen und faulen Idylle der deutschen Provinz übt sich Ingrid Bergman im nostalgischen Blick, doch die Kamera seziert die Machtverhältnisse von Beginn an gnadenlos, das Gewehr gehört den Männern, wird von einer Generation zur nächsten weitergereicht, die Frauen bleiben im Hintergrund, setzen diese Machtübertragung in hilflosen Gesten fort.
Mehr Potential hat der wissenschaftliche Blick. Doch der Status der Bilder, die Albert Wagners Tierexperimente zeigen, bleibt immer etwas unklar. Zwar stellt der Film verschiedene Versuchsanordnungen nach, doch wenn Bergman am Ende, in einer unglaublich großartigen Sequenz, wie von Sinnen durch Alberts Labor irrt, vorbei an eingesperrten Versuchstieren, weist der Film weit über die naheliegende allegorische Ebene hinaus. Freigestellte Emotionen, befreite und gerade deshalb morbide Gedankenwelten treffen auf eine kategorisierende, analytische Logik, die in Rossellinis Welt immer ein Fremdkörper bleiben wird - ein faszinierender Fremdkörper allerdings, der niemals einfach zurückgewiesen werden kann.
Die Intrige selbst ist zu diesem Zeitpunkt bereits fast vergessen, ausgelöscht vor allem durch die reine ausgestellte Emotion, die Großaufnahmen Bergmans und Renate Mannhardts, die in einer Schlüsselsequenz des Films in das sich bis dahin recht konsequent entfaltende Melodrama eindringt und dieses gleichzeitig zum Abschluss bringt und zerstört.
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