Obwohl wie in La Grain et la mulet letztlich irgendwie der italienischen Neorealismus als hauptsächliche ästhetische Referenz im Hintergrund steht, macht Man Push Cart doch in mancher Hinsicht alles genau andersrum. Während Kechiches Handkameraexzesse auf eine plastische, modellierbare, durchdringbare, kurz: durch und durch dreidimensionale Welt verweisen, betont Bahrani radikal die dem Medium eigene Flächigkeit und erschwert dadurch den Weltzugriff sowohl von Seiten der Protagonisten als auch von Seiten des Publikums.
Ahmad ist einen Großteil des Films damit beschäftigt, einen fahrbaren Coffee & Donut Shop durch New York zu ziehen. Der Silberbeschlag des Wagens reflektiert das sparsam eingesetzte Licht und sorgt für eine leicht halluzinierende, plastische Flächigkeit, die nach und nach den ganzen Film übernimmt. Die extrem langen Brennweiten der Kameralinse vernichten jeden Anflug von Tiefenschärfe, die Bewegungsrichtung der Kamera (aber auch der Figuren innerhalb der Diegese) ist stets rein lateral. Verschiebung statt Durchdringung, sanfte Akkumulation (von Bildern, Personen, Affekten) statt Penetration. Die lateral organisierten Kamerabewegungen können alles erfassen und behandeln alles tendenziell gleich.
In der Tat erzählt der Hauptdarsteller nach dem Film, dass viele Kundengespräche (und auch einige andere Episoden) mit zufällig Anwesenden Passanten improvisiert wurden (unter anderem ein sehr lustiges Pornoverkaufsgespräch). Den Bildern jedoch sieht man nie einen wie auch immer gearteten Bruch zwischen Inszenierung und Improvisation an, beides verbindet sich zu einem dichten, strikt zweidimensional organisierten Geflecht. Manchmal legt sich (ähnlich wie in Thomas Arslans ohnehin in vieler Hinsicht ähnlichem) Dealer eine kleine melancholische Melodie weniger über als neben die Bilder. Das Fehlen der Tiefendimension verweist in beiden Filmen auf die Schwierigkeit gesellschaftlich marginalisierter Individuen, sich als handelnde Subjekte in einem dreidimensionalen Raum zu konstituieren.
Irgendwann verschwindet der Wagen durch das Geflecht in die dem Film, dem Protagonisten und dem Zuschauer nicht zugängliche Tiefe des Raumes. Konsequenterweise ist er dann auch nicht mehr aufzutreiben, wenn sich auch für einen kurzen Moment eine Straße in Richtung Fluchtpunkt öffnet.
Man Push Cart ist ohne Zweifel ein kleinerer Film als La Grain et la mulet, ein Film, dem manch einer vorwerfen wird, er schrecke davor zurück, Machtstrukturen auch außerhalb seiner bloßen Form zu diskutieren und dadurch Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen. Für manche ist Man Push Cart vielleicht nichts anderes als eine Übung in sozialrealistisch verbrämtem Bressonianismus. Mir jedoch gefällt der Film weitaus besser als Kechiches Sozialepos, auch und gerade in seiner Reduktion. New York beispielsweise wird in einer eigenartigen Mischung aus Naturalismus und Artifizialität inszeniert, die diese neben Los Angeles wahrscheinlich meistgefilmte Stadt der Welt wieder einmal völlig neu zu erschließen scheint. Aber eben gerade nicht als einen kohärenten, sozial differenzierten Handlungsraum, sondern als ein sonderbares Nebeneinander schummrig beleuchteter Straßenecken und halbrenovierter Appartments.
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