Tuesday, February 25, 2014

Shoot Out, Henry Hathaway, 1971

Sein Kalkül trägt der Film offen vor sich her: Produzent Hal B. Wallis und Regisseur Hathaway wollen den Erfolg von True Grit wiederholen. Wieder wird ein alternder Star der klassischen Studioära, diesmal Gregory Peck anstatt John Wayne, in eine Western-Scope-Kulisse gepackt... und dann wird er sogar wieder von einem vorlauten Mädchen begleitet. Dass dieses Mädchen in Shoot Out allerdings gar keine Funktion für die Erzählung hat, dass sie tatsächlich nur Anhang ist, nur dazu gebraucht wird, der Peck-Figur, einem gerade aus dem Knast entlassenen gunman, ein wenig Menschlichkeit angedeihen zu lassen, verweist schon auf die Differenz zwischen beiden Filmen: Es geht zwar jeweils darum, eine filmische Form, die historisch eigentlich schon ausgedient hat, in einem halbironischen, halbmelancholischen Gestus noch einmal aufleben zu lassen; aber wo True Grit den alten Vitalismus noch halbwegs glaubwürdig zu simulieren in der Lage ist, gelingt die Charade in Shoot Out nicht mehr - was statt dessen an die Oberfläche drängt, ist der blanke Schrecken darüber, dass die Westernmythen keinerlei Geltungsanspruch mehr haben, dass sie völlig durchsichtig geworden sind auf sadistische (und sexistische) Gewaltausübung, auf Gewalt ohne jeglichen Sinninhalt.

Eine besondere Dissonanz in diesem - fasznierenden, großartigen - Film ist die Besetzung der Hauptrolle: Wohl kein alternder Westernhaudegen wäre in einem so gründlich durchbrutalisierten Film, wie Shoot Out einer ist, deplatzierter als Gregory Peck (schon "Haudegen" will man ihn kaum nennen; er will aber unbedingt so genannt werden, das merkt man jeder Szene an). Der nachdenkliche, leere Blick aus dem Zugfenster, den er in einer frühen Szene des Films wirft, noch bevor er in jenem Nest ankommt, von dem der Film seinen Ausgang nimmt, bringt das eigentlich schon auf den Punkt: Peck ist in einem solchen Film eigentlich höchstens ein Tourist, er steht dem, was um ihn herum angerichtet wird, völlig hilflos gegenüber, es bleibt ihm alles fremd, er verfügt aber eben auch nicht über Selbstschutzmechanismen, die ihm das Unheil und die eigene Verstrickung ins Unheil vom Hals halten könnten.

Physische Gewalt war von Anfang an ein zentraler Bestandteil von Hathaways Kino. Für gewöhnlich wird sie jedoch ökonomisch eingesetzt, als Mittel zum Zweck, in zweifacher Hinsicht: Die Helden kommen irgendwann an einen Punkt, an dem sie etwas klarstellen müssen, und Hathaways Filme konstruieren Schockeffekte, die of taufwändig vorbereitet und gerahmt, sind, die gleichzeitig lange nachhallen; zum Beispiel der Lattenschlag mitten ins Gesicht, den John Wayne einem bad guy in The Sons of Katie Elder versetzt. Das Grundmodell für Gewalt bei Hathaway, vielleicht das Grundmodell des Hathaway-Kinos überhaupt, ist dabei der Zweikampf - nicht das ritualisierte Pistolenduell, sondern Faust/Nahkämpfe, in denen der ganze Körper eingebracht werden muss, in der auch gewissermaßen die ganze materielle Welt des Films auf dem Spiel steht; einige dieser Zweikämpfe, insbesondere der am Ende von Prince Valiant, erinnern mich eher an die finalen fights im Hongkong-Kino, als an andere Kampfszenen im amerikanischen Kino.

In Shoot Out ist die Gewalt dagegen ein Dauerzustand, entlädt sich nicht in dynamischen, alle Zurückhaltung aufgebenden Aktionsbildern, sondern verstetigt sich in sadistischen Konstellationen. Nichts mehr wird bezweckt mit der Gewalt, sie ist nur noch dazu da, um zu demütigen; vor allem, um Frauen zu demütigen. Besonders irritierend ist, wie der Film, wie vor allem auch Gregory Peck, mit Alma (Susan Tyrell) umgeht, einer Prostituierten, die von den drei bad guys, die Jagd auf Peck machen, schon vor Anbruch dieser Jagd brutal mißhandelt wird, und die sie dann begleiten muss. Gleich zweimal überlässt Peck Alma ihren Peinigern, in Situationen, in denen völlig klar ist, dass sie gleich geprügelt und vergewaltigt wird. Ihr Leid verschwindet in der Montage, aber nicht vollständig, es manifestiert sich über den Film hinweg in immer weiter ausufernden blauen Flecken auf ihrem Gesicht, dringt durch die Poren der zwar noch formal, aber eben: nur noch formal geschlossenen Western-Oberfläche.

Weder Peck, noch der Film wissen, wie mit diesem Leid, wie überhaupt mit dieser Figur, wie vielleicht auch nur mit der Geschlechterdifferenz, mit dem Sex, der jetzt nicht mehr umspielt werden kann, sondern bezeichnet werden muss, umzugehen ist; am eindrücklichsten wird das in einer bizarren Szene, in der ihr empfohlen wird, die blauen Flecken mithilfe von Blutegeln zu kurieren, mithilfe dieser phallusartigen Kreaturen. (Dass der Film sie trotzdem bis zu ihrem bitteren Ende mitschleppt, ihr aber gleichzeitig ebenfalls keinerlei Funktion für den Fortgang der Erzählung zuweist, macht Shoot Out gerade erst zu einem solch widerspenstigen und dann auch wieder sehr rührenden Film.)

Ein Held, dem seine eigenen (Un-)Taten fremd bleiben, Frauen- und Mädchenfiguren, die nicht als Charaktere, sondern als Probleme im Film herumstehen; dazu noch die drei schon erwähnten bad guys. Deren Gewaltexzesse kippen fast ins comichaft überdrehte, werden von Hathaways nüchterner Inszenierung aber doch wieder geerdet. Wodurch ihre Sinnlosigkeit nur noch deutlicher hervor bricht. Nominell sind ihre Aktionen durchaus auf ein (Drehbuch-)Ziel ausgerichtet: Sie sind Handlanger von Pecks altem Gangsterkollegen, der ihn schließlich hinterrücks verraten (bzw eben tatsächlich: in den Rücken geschossen - die entprechende Rückblende bricht als hyperstilisierter Peckinpah-ismus über den sonst gespenstisch souveränen, klassisch geframten Film herein) und ins Gefängnis gebracht wird. Aber die einzelnen Gewaltakte der drei sind noch nicht einmal vorderhand auf diese Funktion hin perspektiviert, sie haben etwas Fahriges, Improvisiertes an sich, sie finden auch nicht mehr zu sich im Zweikampf, im die Verhältnisse klärenden Bewegungsbild, sondern vollziehen eher eine langsame Expansionsbewegung: Immer mehr Menschen (nicht nur, aber doch vor allem heißt das: immer mehr Frauen) müssen eingespannt werden in das Gewaltdispositiv, das nichts mehr klärt, sondern nur darauf angelegt ist, eine beschädigte Welt noch ein bisschen mehr zu beschädigen.

Und das alles irritierenderweise vor wunderschöner Kulisse, gefilmt on location, natürliche, ein wenig herbstlich-aquarellen ausgebleicht wirkende Farben, keine Italowestern-Großaufnahmeexzesse, keine Peckinpah-Zeitlupenstilisierung (mit einer Ausnahme, siehe oben), sondern eine klassische Souveränität, die die Figuren fest im Raum, den Raum fest in der Welt verortet; einer Welt, deren physische Schönheit und Stabilität umso schmerzvoller den Verlust ihrer Sinndimension mitbezichnen. Gesehen habe ich diesen vielleicht radikalsten aller Spätwestern, in diesem Sinne auch wieder passenderweise, als wunderschöne, nahezu perfekt erhaltene 35mm-Cinemascope-Technicolor-Kopie.

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