Guillaume Brac ist ein Auteur der freien Zeit, des Rumhängens, des Urlaubflirts. Seine Filme spielen in den Sommerferien oder in sommerferienartigen Situationen: Arbeit, Schule, Uni sind weit weg, so weit weg, dass man fast vergessen könnte, dass es diese Zwangssysteme überhaupt gibt. Stattdessen etablieren sich andere sozialen Regelsysteme, andere Blickregime, andere Bildrhythmen. Nicht die Aussicht auf langfristiges Vorankommen, sondern kurzfristige Bedürfnisse und die Schönheiten des Moments bestimmen sein Kino.
Vielleicht auch deshalb hat Brac, wiewohl seit geraumer Zeit ein Liebling der französischen Filmkritik, bislang nur einen “echten” langen Spielfilm gedreht: Tonnerre (2013). Eher scheint es ihn zu kurzen und mittellangen Formaten zu ziehen, die um ein, zwei Situationen herum gebaut - und stets stark von den Darstellerinnen und Darstellern her gedacht - sind: Une monde sans femmes (2011), sein Durchbruchsfilm, ist nur gut 50 Minuten lang, Contes de juillet (2017) dauert zwar knapp über eine Stunde, ist aber trotzdem nur ein (großartiges!) Pseudofeature, das aus zwei voneinander unabhängigen mittellangen Filmen besteht. Sein neuester Film L'île au trésor wiederum ist zwar “abendfüllend”, aber nicht, wie die anderen genannten, fiktional, sondern dokumentarisch.
Das Dokumentarische ist für Brac vielleicht in erster Linie eine weitere Möglichkeit, sich den - aus Sicht seines dem Ephemeren gewidmeten Kinos - totalitären Zurichtungen der Spielfilmform zu entziehen. L'île au trésor ist in einem Naherholungsgebiet in der Umgebung von Paris gefilmt, das um einen natürlichen Teich herum entstanden ist (und das, glaube ich, auch schon der ersten Hälfte von Conte de juillet als Schauplatz diente). Der Titel ergibt Sinn: Diese Freizeitoase auf einer früh im Film eingeblendeten Landkarte sieht tatsächlich aus wie eine blau-grüne Schatzinsel inmitten eines durchurbanisierten Niemandslandes. Der Film besteht aus Portraits von Besuchern und Zufallsbeobachtungen, locker hinter-, oder fast eher nebeneinander aufereiht. Wenn der Sommer zuende geht, ist auch der Film aus.
Der Film beschreibt ein soziales Spektrum, im engeren Sinne ethnografisch ambitioniert ist er allerdings nicht. Genau wie Bracs fiktionale Arbeiten sich offensichtlich einer außergewöhnlichen Beobachtungsgabe, einer unbedingten Aufmerksamkeit für soziale Situationen verdanken, mobilisiert der neue Film die narrativen Potentiale des Alltags und zeigt, dass die Versuche einiger Jungs, sich an den Aufsehern vorbei ins Bad zu schleichen, als Ausgangspunkt gleich mehrerer tragikomischer Miniaturen dienen können.
Unter den vielen kleinen Schönheiten des Films sei nur eine Einstellung herausgegriffen: ein Mädchen, vielleicht acht Jahre, beim Ballspiel. Genauer gesagt: beim Völkerballspiel, also bei jenem sadistischsten aller Ballspiele, bei dem es darum geht, die gegnerischen Spielerinnen und Spieler mit Ballwürfen am Körper zu treffen, regelrecht “abzuschießen”. Die von Martin Rit durchweg mit unaufdringlicher Eleganz geführte Kamera isoliert das Mädchen im Bild, die restliche Spielsituaton bleibt unsichtbar (auch hier interessiert Brac nur das Detail, nicht das Ganze), beziehungsweise lässt sie sich nur aus den Bewegungen und Blicken des Mädchens erahnen. Sie scheint die letzte “Überlebende” ihres Teams zu sein. Das heißt, rund um sie ist die gegnerische Mannschaft platziert und versucht, auch noch sie außer Gefecht zu setzen.
Das Tolle an der Einstellung ist die unbedingte Euphorie des Mädchens, ihre totale Hingabe an das Spiel. Wild schreiend und lachend rennt sie hin und her, vor dem Ball flüchtend. Für ein, zwei Minuten fühlt sie sich wie das Zentrum der Welt. Und zwar, wie Bracs Film zeigt, zurecht.
Die Textreihe "Konfetti" entsteht im Rahmen des Siegfied-Kracauer-Stipendiums. Mehr Informationen hier.
Vielleicht auch deshalb hat Brac, wiewohl seit geraumer Zeit ein Liebling der französischen Filmkritik, bislang nur einen “echten” langen Spielfilm gedreht: Tonnerre (2013). Eher scheint es ihn zu kurzen und mittellangen Formaten zu ziehen, die um ein, zwei Situationen herum gebaut - und stets stark von den Darstellerinnen und Darstellern her gedacht - sind: Une monde sans femmes (2011), sein Durchbruchsfilm, ist nur gut 50 Minuten lang, Contes de juillet (2017) dauert zwar knapp über eine Stunde, ist aber trotzdem nur ein (großartiges!) Pseudofeature, das aus zwei voneinander unabhängigen mittellangen Filmen besteht. Sein neuester Film L'île au trésor wiederum ist zwar “abendfüllend”, aber nicht, wie die anderen genannten, fiktional, sondern dokumentarisch.
Das Dokumentarische ist für Brac vielleicht in erster Linie eine weitere Möglichkeit, sich den - aus Sicht seines dem Ephemeren gewidmeten Kinos - totalitären Zurichtungen der Spielfilmform zu entziehen. L'île au trésor ist in einem Naherholungsgebiet in der Umgebung von Paris gefilmt, das um einen natürlichen Teich herum entstanden ist (und das, glaube ich, auch schon der ersten Hälfte von Conte de juillet als Schauplatz diente). Der Titel ergibt Sinn: Diese Freizeitoase auf einer früh im Film eingeblendeten Landkarte sieht tatsächlich aus wie eine blau-grüne Schatzinsel inmitten eines durchurbanisierten Niemandslandes. Der Film besteht aus Portraits von Besuchern und Zufallsbeobachtungen, locker hinter-, oder fast eher nebeneinander aufereiht. Wenn der Sommer zuende geht, ist auch der Film aus.
Der Film beschreibt ein soziales Spektrum, im engeren Sinne ethnografisch ambitioniert ist er allerdings nicht. Genau wie Bracs fiktionale Arbeiten sich offensichtlich einer außergewöhnlichen Beobachtungsgabe, einer unbedingten Aufmerksamkeit für soziale Situationen verdanken, mobilisiert der neue Film die narrativen Potentiale des Alltags und zeigt, dass die Versuche einiger Jungs, sich an den Aufsehern vorbei ins Bad zu schleichen, als Ausgangspunkt gleich mehrerer tragikomischer Miniaturen dienen können.
Unter den vielen kleinen Schönheiten des Films sei nur eine Einstellung herausgegriffen: ein Mädchen, vielleicht acht Jahre, beim Ballspiel. Genauer gesagt: beim Völkerballspiel, also bei jenem sadistischsten aller Ballspiele, bei dem es darum geht, die gegnerischen Spielerinnen und Spieler mit Ballwürfen am Körper zu treffen, regelrecht “abzuschießen”. Die von Martin Rit durchweg mit unaufdringlicher Eleganz geführte Kamera isoliert das Mädchen im Bild, die restliche Spielsituaton bleibt unsichtbar (auch hier interessiert Brac nur das Detail, nicht das Ganze), beziehungsweise lässt sie sich nur aus den Bewegungen und Blicken des Mädchens erahnen. Sie scheint die letzte “Überlebende” ihres Teams zu sein. Das heißt, rund um sie ist die gegnerische Mannschaft platziert und versucht, auch noch sie außer Gefecht zu setzen.
Das Tolle an der Einstellung ist die unbedingte Euphorie des Mädchens, ihre totale Hingabe an das Spiel. Wild schreiend und lachend rennt sie hin und her, vor dem Ball flüchtend. Für ein, zwei Minuten fühlt sie sich wie das Zentrum der Welt. Und zwar, wie Bracs Film zeigt, zurecht.
Die Textreihe "Konfetti" entsteht im Rahmen des Siegfied-Kracauer-Stipendiums. Mehr Informationen hier.