Zwei Jahre vor dem dunklen Meisterwerk Shura / Pandemonium dreht Matsumoto einen etwas weniger nihilistischen Film, der aber ebenfalls konsequent auf die Katastrophe hin programmiert ist. Schließlich ist Funeral Parade of Roses ein Ödipus-Adaption. Verlegt wird die Geschichte mit verdrehten Geschlechterrollen nach Japan und in die schwule Subkultur.
Matsumoto setzt eine Welt ins Bild, die davor kaum ein Bild haben durfte. Der Film ist durchsetzt von quasidokumentarischen Passagen, die meisten Darsteller gehören tatsächlich der portraitierten Szene an, bisweilen bricht der Film selbst mit seiner, sehr idiosynkratischen Vorstellung von Illusionsbildung und interviewt Schwule und real-life-Drag-Queens. Es entsteht dabei eine zuerst einmal sehr offene Struktur, die mit Dokumentarischem ebenso spielt, wie mit Genreelementen (das Film-noir-Zitat am Anfang steht zunächst sehr frei im Raum, wirklich Sinn ergibt es erst nach zwei Dritteln der Laufzeit). Dazwischen drängt sich innerdiegetisch ein Experimentalfilm, dessen Grenzen hin zum eigentlichen Film für den Zuschauer nicht immer leicht zu ziehen sind. Gedreht wird dieser von Peter, der Hauptfigur. Peter ist eine Drag-Queen (die Drag-Queens sind es denn auch insgesamt, was Matsumoto an seinem Thema am meisten, vielleicht sogar alleinig, zu faszinieren scheint), im echten Leben wie im Film. 17 Jahre alt war Peter (der im echten Leben mehr Glück hatte als in diesem Film und im Anschluss an diesen eine kleine Schauspielerkarriere startete), als der Film gedreht wurde und er bezaubert alle in seiner Umgebung. Peter ist die Verkörperung einer Utopie des neuen Lebens, ohne ihn würden die Filmclubs (Shinoda Masahiro hat einen Gastauftritt), die Drogenpartys, die Love-Ins, allesamt fragil und ohne Substanz, in sich zusammenbrechen.
Die erste halbe Stunde des Films fließt so frei hin und her zwischen verschiedenen Zeit-, Erzähl und Realitätsebenen, dass die nachfolgende Strukturierung des Materials dieses bisweilen etwas zu stark zu gängeln scheint. Die Konfrontation der anarchischen Freiheit der Filmsprache mit einem rigorosen Strukturprinzip ist manchmal produktiv, in anderen Momenten (das Lachen der Mutter in ihren Rückblenden, das zwangsläufig in ihrem Tod mündet) durchaus diskussionswürdig.
Dass der Film aber seine Figuren ausgerechnet mit Ödipus konfrontiert, kann ihm nur übelnehmen, wer Kino grundsätzlich nur als Anschauungsmaterial für Kulturtherorie begreift. Denn höchstwahrscheinlich ist der Hauptgrund dafür, dass Matsumoto sich auf die alten Griechen besinnt, das unglaubliche Schlussbild auf das er von Anfang an hinaus will: Peter, der mit blutenden Augen aus seinem Appartment und damit auch aus der schwulen Parallelwelt läuft, hinaus in das ebenso hell glänzende wie brutale Sonnenlicht umgeben von den staunenden Normalbürgern, die davor konsequent außen vor geblieben waren. Eine Szene, die den Bogen zum Filmbeginn schlägt, dort umschlangen sich zwei weiß gleißende, noch völlig geschlechtslose Körper; zweimal Blendung, am Anfang die utopische einer von gesellschaftlichen Zwängen befreiten Sexualität, am Ende die weniger dystopische als schlicht und einfach banal brutale der reinen Gegenwart; Augen benötigt Peter nur so langem, wie er in der Lage ist, mehr zu sehen als diese Gegenwart.
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