Eher versteckt selbst in der eigentlich sehr übersichtlichen Retrospektive Hiroshi Sugimoto in der Neuen Nationalgalerie finden sich, wenn ich mich richtig erinnere, drei Exponate der Reihe "Conceptual Forms" (eines davon ist hier zu sehen).
Sugimoto fotografierte zum Lehrexponate der Fachdisziplin Mathematik, die größtenteils dem 19. Jahrhundert entstammen. In diesen Exponaten gerinnt der Inbegriff abstrakten Denkens, die höhere Mathematik, zur materiellen Form. Die Fundamentalnaturwissenschaft möchte ihr Innerstes nach außen wenden und verfängt sich in zahllosen Paradoxien. Denn was hat die mathematische Formel (die in einem Fall Sugimotos Fotografie beigefügt ist) faktisch mit diesem Gebilde zu tun? Was hat eine tünerne Skulptur mit abstraktem Denken zu tun? Repräsentieren im engeren Sinn kann sie es nicht, sie kann höchstens auf etwas verweisen, dem ihre eigene Materialität entgegensteht. Je perfekter sie sich ihrem Referenten annähert, desto mehr muss sie sich selbst zerstören.
Schon im Moment seiner Fertigstellung ist das Exponat in gewisser Weise zu historisch und im Lauf der Zeit wird alle nur noch viel schlimmer. Betrachtet man es als archäologisches Artefakt (und genau so wird es auf der Fotografie präsentiert, im Stil einer antiken Vase), vergrößert sich die Differenz zwischen Exponat und Idee ins Unermessliche: Unebenheiten im Material werden sichtbar, Risse und abgeschliffene Kanten. Dabei erweitert sich nicht nur die grundsätzliche Paradoxie der Materialwerdung des Immateriellen um faktische, mathematische Fehler in der Darstellung selbst unter Ausblendung epistemologischer Probleme (das Exponat auf der verlinkten Fotografie soll einen Körper darstellen, der an jedem Punkt seiner Oberfläche negativ gekrümmt ist; tut es aber nicht, beziehungsweise aufgrund der abgeschliffenen Kanten tut er das noch weniger, als es ein realer Körper theoretisch vermöchte). Zusätzlich injiziert werden Fragen nach dem sozialen Gebrauch, nach der Geschichtlichkeit des Artefakts, jenseits seines fragwürdigen Referenten. Solche Fragen drängen sich in den Vordergrund und lassen das dem Exponat zugrundeliegende Weltbild sanft kollabieren.
Sugimotos Fotografie fügt dem Exponat auf den ersten Blick wenig hinzu (weniger zumindest als das in einigen anderen Serien der Fall ist zumindest, beispielsweise den leuchtenden Leinwänden), auf den zweiten aber sehr viel. Würden die Exponate selbst ausgestellt, folgte daraus zwangsläufig ein herablassender Blick, ein arrogantes und besserwisserisches Lachen über den amoklaufenden Positivismus vergangener Epochen (der sich freilich seiner selbst weit weniger sicher war als der der unseren und sich deshalb kunsthandwerklerisch be(s)tätigen musste; eigentlich ist es genau das, was diese Exponate offenlegen). Die Fotografien jedoch heben, schon durchs technische Verfahren, dann auch durch die konkrete Bildgestaltung, deren Sorgfalt und Symmetrie, den naiven Szientifismus auf in einem höheren, dem der mechanischen Reproduktion. Dieser erscheint in seiner ästhetischen Spielart im Allgemeinen und bei Sugimoto im Besonderen als ein multivariater, zeitlich komplexer Weltbezug, der durch gezielte Auslassungen vielleicht (obwohl wahrscheinlich auch immer nur tendenziell, mehr in der gedachten Fortsetzung des Sichtbaren als in diesem selbst, darin unerwarteterweise doch wieder vergleichbar den Exponaten) genau das erreicht, woran die Wissenschaftsmaterialisierungen vergangener Zeiten und ihre Gegenwartsobsession scheiterten.
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