Die ersten Episoden des Films gehören dem Schriftsteller aus Tokyo. Der ist die einzige rein oder zumindest hauptsächlich funktionelle Figur in Aibu. Funktionell, weil er ein älterer Herr ist, der keine außerordentlichen Gefühle zu investieren hat in irgendeine der anderen Figuren. Er sagt das ganz deutlich: Wäre ich ein wenig jünger, dann wäre ich verrückt nach der Tochter des Hauses - oder könnte zumindest darauf hoffen, soll das vielleicht heißen, dass das verrückt sein etwas nützen würde und nicht nur lächerlich wäre. Wer keine außerordentlichen Gefühle hat in Aibu, der hat eben das nicht, worum es dem Film geht und kann deshalb höchstens noch eine Funktion haben. (Auch im anderen Goshofilm, den ich gesehen habe (Ryoju), gibt es genau eine primär funktionale Figur, auch da ist es ein älterer Mann, in diesem Fall zwar ein Verwandter, aber doch kein besonders wichtiger, keiner, der mehr zu tun hätte, als auf eine bestimmte Verhaltensweise /eine bestimmte Moral argumentativ hinzuwirken, was er erreicht, ist zwingend außerhalb seiner selbst.)
Ansonsten investieren alle Figuren, selbst die Nebenrollen, außerordentliche Gefühle und stehen jenseits der Funktionalität. Selbst der Rikschafahrer liebt seinen Meister so abgöttisch, dass er (die Fleisch und Blut gewordene Funktionalität seines Berufes nach) beim Betrachten der heruntergerissenen Werbetafel desselben, Zugang findet zur eigentlichen Ökonomie des Films, die sich aber nicht ganz lösen kann von einer funktionalen, schließlich benötigt Aibu auch eine Intrige; Die Szenen des Dichters wirken deshalb nicht falsch, sondern sind - vor allem, was sein zweites Auftreten betrifft, gegen Ende des Films - lesbar als sanfte Anrufungen der Figuren selbst durch den Regisseur, doch wieder zumindest ein wenig die Gefühle in den Griff zu bekommen und der dem Leben eben auch zugrundeliegenden funktionalen Ordnung Tribut zu zollen, es ist ja zu ihrem Vorteil auch jenseits der Erzählökonomie. Der Dichter (wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass er ein solcher ist und wahrscheinlich verfasst er Dichtungen ganz anderer Art als der Sohn der Familie, der das Medizinstudium für die Literatur aufzugeben trachtet) ist in Aibu eine Art auktorialer Eingriff auf einer ebene jenseits der restlichen Handlung, vielleicht eine verschobene japanische Verwandtschaft des deus ex machina.
Zunächst bleibt der Film lange im Dorf. Das Dorf wird bestimmt von Fluidität, von fein abgestimmten und sich dennoch ständig transformierenden Beziehungsgefügen. Antrieb der wichtigsten ist zunächst nur ein Foto: das des Sohnes, adrett in seiner Uniform. Der studiert, wie oben erwähnt, Medizin in Tokyo, noch hat man keinen Grund, daran zu zweifeln, dass er der Praxis seines Vaters beitreten wird. Lange enthält der Film einem den Sohn vor. Irgendwann kommt ein Brief, seine erster aktiver Akt. Erst in der Stadt trifft man ihn und nicht einmal dort sofort. Die Schwester, Mittelpunkt der ersten Filmhälfte muss den Bruder, Mittelpunkt der zweiten, erst aktiv suchen. Und zwar in der Stadt, die den gesamten Film transformiert.
Im Dorf ist auch die Filmsprache fluide, respektiert vor allem nicht die Grenzen zwischen innen und außen. Die klassische japanische Architektur öffnet sich direkt in die Natur, man schiebt eine Wandtür beiseite, dann muss sich nicht einmal die Kamera bewegen, um das zu offenbaren. (Sie bewegt sich dennoch manchmal, kleine, fein auskalkulierte Schwenks, manchmal hin von Handlung auf Pausenmotiv, manchmal umgekehrt, manchmal von Handelndem zu Beobachtendem, manchmal umgekehrt, ein imposanter Katalog an Bewegungen, die immer gerichtet sind, aber selten ganz klassisch motiviert, die immer ganz konkret zwei Dinge verbinden und nicht nur Schmuck sind, aber welche zwei Dinge das sind, lässt sich zu Beginn der Bewegung nie vorhersagen).
In der Stadt verwandelt sich Aibu dann in ein Kammerspiel. Die Wände sind fester geworden, öffnen sich selten direkt zur Straße (auf die wagt sich der Film dann in entscheidenden Momenten doch, aber vorsichtig, meist ist es genau eine Straße, die immer wiederkehrt, nur ein Ausflug wagt einen subjektivierten Blick auf die Stadt). Die Menschen sind eingeschlossen, verbringen ihre Zeit in Höusern, die sie so einrichten, wie sie selber sind. Die Schwester liest den Charakter des Bruders und seiner Geliebten in den Gegenständen, die in seiner Wohnung platziert sind, noch bevor sie einen von beiden kennengelernt hat. Ein wenig Angst vor der Stadt haben alle, am meisten die Kamera selbst. Froh ist sie, froh sind alle Figuren und man selbst mit ihnen, wenn es am Ende wieder aufs Land geht.
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