Monday, September 15, 2008

Entotsu no mieru basho / Where Chimneys Are Seen, Heinosuke Gosho, 1953

So ganz sicher bin ich mir auch nach dem Filmende nicht, wie die vier titelgebenden Schornsteine konkret arrangiert sind, wie es möglich ist, dass, je nach Winkel, mal einer, mal zwei, mal drei oder auch alle vier sichtbar sind. Vermutlich stehen die beiden mittleren sehr nahe beeinander und annähernd auf einer Senkrechten zur Verbindungslinie der beiden äußeren. Wie auch immer, der Film zumindest verschiebt mehrmals die Perspektive und lässt Schornsteine auftauchen oder verschwinden. Und irgendwie scheinen sich diese gleichzeitig in der Motivation willkürlichen und im Ausgang zwangsläufigen Verschiebungen in der Geschichte zwar nicht zu spiegeln, aber mit dieser in Verbindung zu stehen.
Wieder geht es um eine Hausgemeinschaft. Diesmal wohnt dort ein alterndes Ehepaar, sie hatte vorher einen anderen Mann, der nicht ganz so tot ist, wie sie zunächst behauptet. Oben haben sie zwei Untermieter einquartiert: Einen Mann und eine Frau.
Zunächst ist oben die Verbindungsür zwischen den Räumen geschlossen. Die Untermieter kommunizieren durch die Wand, die Filmsprache übernimmt dies ganz konkret: In Gesprächsszenen zeigt der Gegenschuss eine kahle Schiebewand, die den Ursprung der Stimme verbirgt. Unten dagegen herrscht ein Mangel an Wänden. Der Ehemann schließt nicht einmal die Öffnung zum Flur, wenn es sich über seine Angetraute hermacht. Der ist das dann manchmal zuviel, vor allem wenn die Untermieterin etwas zu lange auf der Treppe stehen bleibt.
Ein Film wie Entotsu no mieru basho benötigt die Flexibilität der japanischen Architektur mit ihren Schiebewänden, eine Architektur, die eine viel genauere Figuration des Sozialen erlaubt als ihr westliches Pendant: Dort gibt es nur Tür auf / Tür zu, mehr ist nicht möglich, während in japanischen Häusern zahllose Variationen selbst dann möglich sind, wenn jeder in seinem eigenen Zimmer bleibt (nicht zuletzt ist auch der Voyeurismus in japanischen Häusern / Filmen weitaus kreativer als der ewige, beschränkte Schlüssellochblick hierzulande).
Später dreht sich das Verhältnis um: Oben bleiben die Wände immer länger offen. Unten dagegen platziert der Mann eine Schiebewand zwischen sich und seine Frau, als dieser das Kind aufgedrängt wird, das ihr eben noch nicht gestorbener Mann mit einer anderen gezeugt hat.
Um dieses Kind dreht sich der Film im Folgenden hauptsächlich. Die Beziehungen der einzelnen Hausbewohner zueinander verschieben sich, es kommt zu Schwierigkeiten, die werden bearbeitet und am Ende hat sich ein neues Gleichgewicht eingestellt, das freilich ganz eindeutig nicht identisch mit dem alten ist.
Wie so oft in den Filmen Goshos, die ich bisher gesehen habe, geht es auch hier um aktive, leidende Frauen und passive, sich selbst bemitleidende Männer. Männer, die alle Menschen ihrer Umgebung an ihren strengen moralischen Maßstäben messen und die doch insgeheim wissen, dass sie selber diesen Maßstäben auch nicht so recht gehorchen. Und wenn doch, dann nur, weil sie nichts wagen. Oft genug aber ist die Unterlassung einer Handlung ihrerseits weitaus verwerflicher als die Handlung der aus Zwang unmoralischen Frau. Der alternde Mann in Entotsu no mieru basho verliert durch solch ein Unterlassung um ein Haar seine Frau.
Beim Wiederherstellen des Gleichgewichts ist nicht nur er wenig hilfreich, auch der Untermieter, dessen moralische Gesinnung aktionistischer ist, trägt wenig dazu bei. Seine Versuch, der Gerechtigeit und seinen Wirten genüge zu tun, resultiert im Selbstmord einer Nebenfigur. Am Ende sammeln die Frauen, die derartigen Kummer gewohnt sind, die Scherben auf und setzen sie wieder neu zusammen.

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