Die Gosho-Reihe ist zu Ende. Von mir aus könnte sie noch lange weiter gehen, meinetwegen auch Monate, vielleicht Jahre. Alle paar Tage ein Gosho-Film erhöht die Lebensqualität.
Utage ist zwar einer der schwächeren Filme der Reihe, doch auch er enthält große Momente. Der Film entstand 1967 als laut imdb Goshos drittletzter. In einer nur theoretisch großen Geste verbindet Gosho den realen Putschversuch vom 26. Februar 1936 mit der fiktiven melodramatischen Liebesgeschichte einer der Verschwörer.
Im Entstehungsjahr des Films war die japanische Nouvelle Vague in voller Fahrt. Genaues weiß ich nicht, aber vermutlich hielten Oshima und Co vom altmodisch humanistischen Gosho genauso wenig, wenn nicht noch weniger als von Mizoguchi oder Ozu. Utage bietet denn auch reichlich Angriffspunkte für eine politische Kritik. Die politisch-historische Seite der Story bleibt in Andeutungen und halb Ausformuliertem stecken. Der Film entzieht sich zum einen konsequent der Frage nach der Legitimation der Putschisten, zum anderen versucht er nicht einmal, das Ereignis (das den Verlauf des Pazifikkrieges und damit den des gesamten zweiten Weltkrieges entscheidend geprägt hat) auch nur irgendwie zu kontextualisieren. Am Ende raunt irgendwer, dass die Geschichtsbücher das Urteil fällen werden, damit ist alles geklärt. Manches mag an der sprachlichen / kulturellen Barriere liegen, aber sicher nicht alles. "Something's wrong somewhere": So vage und unverbindlich schätzt nicht nur der naive Offizier Tate die allgemeine politische Lage in Japan und in der Welt im Jahr 1936 ein, das ist auch die Position des Films. Ungenau in der Ausführung ist der Film dann ohenhin selbst in den wenigen Momenten, in denen er es wagt, Diskurs zu sein: Ob zB der linke, hilflose Sympathisant der Verschwörer die zivile Unterstützung der Aufständler verkörpern soll oder gar deren sozialistische Wurzeln (letzteres wäre grober Unfug, wird aber zumindest einmal nahegelegt), oder ob er vielleicht ganz im Gegenteil den gewaltsamen und fatalen Ausschluss solcher nichtmilitärischen Unterstützer repräsentiert, das weiß der Film selbst am allerwenigsten.
Doch die Gosho-Filme haben allesamt ihre Stärken in anderem. Umso schöner ist denn auch das Melodram, das sich am rande der Verschwörung entlang rankt. Zwei Szenen mindestens werden im Gedächtnis bleiben, dauerhaft. Die erste spielt im Schnee. In einer bizarren Wendung hat die Femme fatale Suzuko ihrem Tate schon vor dem Beginn der Szene deren Ende vorhergesagt: Sie erzäht ihm den Titel eines Theaterstücks: "Die verführerische Hexe im Schnee" (oder so ähnlich). Tatsächlich sehen sich die beiden gezwungen, sich durch einen Schneesturm zu quälen. Suzukos Füße drohen zu erfrieren. Tate beginnt, sie zu reiben, auf sie zu pusten, als nichts hilft, nimmt er ihre Zehen in den Mund. Suzuko vergeht vor Glück, der Gegenschuss zeigt ihre Extase, und im Folgenden beginnt sie, ihre eigenen Füße zu fetischisieren.
Mindestens ebenso schön das Ende. Auf dem Papier geht es zwar darum, Politik und Melodrama unter einen Hut zu bekommen, doch im Grunde siegt das Melodrama auf der ganzen Linie. Das Finale ist ein Liebestod, der nur scheinbar unrein daherkommt. Zwar begeht Tate rein technisch keinen Selbstmord, sondern wird als Verräter hingerichtet, doch er hat sich aus freien Stücken für diesen Tod entschieden und zwar in dem Moment, in dem er in einem seiner Opfer Suzuko wiedererkennt.
Nun also ein Liebestod (auch dieser wurde vorher im Film schon auf seltsame Art angekündigt: Auf einem ihrer ersten gemeinsamen Ausflüge kommen Suzuko und Tate einige aufgeregte Kinder entgegen, die von einem Liebestod in der Nachbarschaft berichten, der weder vorher, noch nacher irgendwie eine Rolle spielt und ganz und gar offscreen bleibt). Vor der Schlusssequenz findet sich noch eine not-quite-Pickpocket-Sequenz am Zellengitter. Kurz darauf wird Tate zum Hinrichtungsplatz geführt. Stellvertretend für die Kinozuschauer wird ihm ein Tuch über den Kopf gezogen. Konsequenterweise bleibt der zweifache Tod denn auch eine visuelle Abwesenheit. Ein Doppelselbstmord ohne Leichen.
Zunächst schwebt die Kamera über Tates Kopf hinweg, wie er sich aufmacht zum Hinrichtungsplatz am Rand der Gefängnismauer, gen Himmel. Es folgt ein Schnitt auf die Außenseite der Mauer. Die Kamera fährt langsam an den dunklen Steinen vorbei, auf der Tonspur Schüsse. Dann Schnitt auf die wilde Meeresküste, die als Szenerie bereits bekannt ist. Suzukos Handtasche liegt auf den Felsen, ihre Leiche bleibt aber im Meer genauso unsichtbar wie Tates Körper hinter der Gefängnismauer. Der Film verschiebt die Leiche, wie auch die Todesschreie, auf das Rauschen der Wellen.
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