Gesehen in einer nicht restaurierten, dafür von Donald Richie höchstpersönlich untertitelten 16mm-Kopie: Der erste mir bekannte Gosho-Film mit historischem Setting erzählt die Geschichte der Adoleszenz eines Mädchens aus der japanischen Unterschicht in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts. Am Anfang lacht Midori ausgelassen in der Frühlingssonne, lässt die Jungen nach Kirschbaumblüten springen und manipuliert das männliche Geschlecht auch insgesamt nach Belieben. Am Ende wirft sie ihr Taschentuch in den Schlamm, ergibt sich in ihr Schicksal und lässt sich von ihren Eltern in die Sexindustrie verkaufen.
Die Kleider sind in der Mehrzahl noch klassisch japanisch, doch im Bildhintergrund kündigt der allgegenwärtige westliche Kirchturm (der das visuelle Prinzip des Films so konsequent, wenn auch nicht so selbstreflexiv strukturiert wie die Schornsteine in Where Chimneys Are Seen es tun) von der neuen Zeit. Ende des 19. Jahrhunderts befindet sich ein ganzes Land in der Adoleszenz. Die Prinzipien der Meiji-Restauration beginnen Fuß zu verfassen, die neuen Herrscher haben vorsichtige Schritte in Richtung Demokratie unternommen. Seit 1889 (nicht einmal zwei Jahrzehnte später als die ersten funktionierenden Pendants in Deutschland) existieren Parlament und Verfassung, die Aufrüstung ist bereits in vollem Gange.
Die althergebrachte Sozialstruktur ist zerrüttet, die Familienoberhäupter hilflos. Der eigene Lebensentwurf kann nicht mehr Vorbild sein, die Alternativen werden nicht klar artikuliert und für den weiblichen Teil des Nachwuchses sieht es ohnehin nicht rosig aus.
Takekurabe endet, ungewohnt im Kino Goshos, so radikal wie manche Frauenfilme Naruses oder Mizoguchis, nämlich mit der totalen Resignation der Protagonistin. Formal verweist die letzte Einstellung zwar auf eine zyklische Logik - sie ist beinahe die erste. Aber im Ganzen kann sich der Film wegen seinem historischen Setting keinen zirkulären Zeitbegriff aneignen. Klar definiert ist, was vorher kam, was später kommen wird, worin die Veränderung liegt und wer dieser zum Opfer fällt. Die schließende Geste am Ende ändert daran nichts, sie verstärkt in ihrer Strenge ganz im Gegenteil die Konsequenz des historischen Arguments, das sich freilich nicht so recht zu einer nationalen Allegorie ausweiten lässt, denn die historische Antwort Japans auf die eigene Adoleszen war doch eine weitaus aggressivere als die Midoris.
Eingefasst in diesen ungewohnten historischen Rahmen finden sich dann aber doch wieder typische Goshofiguren und -motive. Plotkonstruktionen mit Tendenz zur Abschweifung, Nebenfiguren, die sich im Lauf des Films von ihrer Funktionalität emanzipieren, eine Vorliebe für Weichzeichner, unaufdringlich kitischige Musik und flüssige szenische Auflösung. Auch ein selbstgerechter Mann ist wieder dabei. Genauer gesagt ein selbstgerechter Junge, dem es wie immer nicht gelingt, über seinen eigenen Schatten zu springen und der deshalb dazu verdammt ist, an seinen eigenen moralischen Ansprüchen zu scheitern. Auch dieses Scheitern aber ist in Takekurabe immer gleichzeitig ein historisches. In wieweit diese historische Dimension auf einer grundsätzlichen Ebene mit der humanistischen, offenen Welt der Gosho-Filme vereinbar ist, das weiß ich nicht so recht. Eventuell macht sie tatsächlich deren Grenze sichtbar, den Horizont, über welchen hinaus Goshos Filme nicht blicken können.
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