Haynes filmt den Mythos und zielt auf die Wahrheit. Dahinter steht die Behauptung, dass letztere nur über erstere erreichbar sei. Das heißt konkret: Hinter der gigantischen Ansammlung aus Zitaten und Pop-Fantasien soll etwas sichtbar werden, was andernfalls verloren wäre. Wie Shaviro schreibt, hat die Zeichenlogik des Films wenig mit Tarantino und seinen Nachfolgern zu tun. Die Zeichen sollen nicht zirkulieren, sondern in letzter Instanz wieder auf Welt verweisen. Vielleicht nicht einmal so sehr auf Bob Dylan (dessen Name taucht im Film erst im Abspann wieder auf, dort wohl auch notgedrungen aber umso vehementer; das Urheberrecht zeigt sich von allen dekonstruktivistischer Bestrebungen unbeeindruckt und kann, wer weiß, vielleicht gar als normalerweise unsichtbare Gegenseite der spätindustriellen Zeichenverflüssigung begriffen werden) als allgemeiner auf die Brüche in der Zeitgeschichte.
Eine solide Kenntnis der amerikanischen (Pop-)Kulturgeschichte ist Voraussetzung dafür, I'm Not There angemessen zu rezipieren, andernfalls bleibt nur ein Bildersturm. Songtexte schreiben sich in die Dialoge ein, manchmal auch direkt in die Bilder, Plattencover werden mal mehr, mal weniger aufdringlich nachgestellt, die Realnamen der Schauspieler dringen durch die Lücken der Fiktionalisierung, Zeugenschaft wird durch mehrfache Vermittlung dekonstruiert, die Beatles rollen im Gras vor einem englischen Landhaus, Dylan philosophiert in seiner Cate Blanchett-Inkarnation gemeinsam mit Alan Ginsberg. Die Brüche drohen zu verschwinden, blitzen jedoch immer wieder auf, vor allem, wenn I'm Not There Dylans Verhältnis zur Black culture verhandelt. Der Marcus Carl Franklin-Dylan bleibt auch nach seinem Verschwinden als Utopie stets präsent, während Dylans reales Verhältnis zur Bürgerrechtsbewegung problematischer wird. Freilich ist schon anfangs ganz eindeutig etwas falsch, wenn drei Schwarze Tombstone Blues singen. Das Black Panther-Treffen fällt dann völlig aus dem Film heraus, findet keine Anschlüsse mehr in anderen Zeichensystemen.
Natürlich besteht immer die Gefahr, dass der Film ins Dekorative abgleitet. In seinen besten Momenten jedoch macht I'm Not There mit Popmusik das gleiche, was Godard in der Histoire mit Filmgeschichte macht. Von anderen Musikerbiografien der letzten Jahre ist Haynes' Film damit so weit entfernt, wie es nur geht. Wo diese mithilfe der Songs Geschichte fetischisieren und unzulässig homogenisieren, schreibt Haynes die Brüche und Paradoxien der Geschichte wieder in die Musik ein.
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