Squatterpunk, Khavn, 2007
Tribu, Jim Libirian, 2007
Tirador / Slingshot, Brillante Mendoza, 2007
Auch jenseits der hierzulande leider praktisch unsichtbaren Werke von Lav Diaz ist das philippinische Kino derzeit auf dem besten Weg, nach dem südkoreanischen der nächste große Festivalhype zu werden. Allerdings sind die Philippinen im Gegensatz zu Südkorea ein bitterarmes Entwicklungsland. Inwiefern ein solches sich wiederstandslos in die Festivalökonomie auch außerhalb von Rotterdam integrieren lässt, wird die Zukunft zeigen.
Das internationale Forum des jungen Films präsentert neben neuen Arbeiten der aus dem Diaz-Umfeld entstammenden Filmkünstlern Khavn und John Torres unter anderem zwei Arbeiten, die wesentlich weniger reflektiert zu Werke gehen. Rundheraus Exploitationfilme sind beide Arbeiten zwar nicht, doch die jeweiligen Protagonisten (in beiden Fällen Kleinkriminelle in den Slums Manilas; Taschendiebe im Fall von Tirador, bewaffnete Jugendgangs mit Hiphop-Affinität in Tribu) bleiben stets reine Objekte des Films, Projektionsflächen eines freilich als sympathisiernd und mitfühlend vorausgesetzten Blicks.
In technischer Hinsicht bieten sich natürlich Vergleichsmöglichkeiten: Auch Tribu und Tirador setzen vehement auf ein digitale Bild, das nie Ersatz ist für ein verloren gegangenes analoges ist, sondern dessen spezifischen Fähigkeiten genutzt werden sollen. Beide Regisseure setzen auf eine Ästhetik der Unmittelbarkeit, die die Unterscheidung zwischen Dokumentarischem und Fiktiven tendenziell aushebelt. Dominant sind rasante Handkamerafahrten durch enge Gassen voller Menschen und selten ist markiert, wer zur Inszenierung gehört und wer nur zufällig im Bild auftaucht. Freilich geht es nicht darum, kohärente Räume zu etablieren. Insbesondere Tirador zerstört jede räumliche Kontinuität im selben Moment mit ihrer scheinbaren Etablierung durch Jump-Cut-Serien und Reißschwenks der schwindelerregnederen Sorte. Die manische Kamera besitzt kein Erkenntnispotential, die digitalen Bilder sind genauso defizitär wie die Bemühungen der Protagonisten, sich innerhalb der Ghettos ein auch nur halbwegs gesichertes Leben aufzubauen. Als eine der Hauptfiguren ihr künstliches Gebiss verliert, stochern sie und ihre Freunde hilflos im Dreck der Rinnsteine. Die Kamera stochert fleißig mit, aber genauso hilflos, der Schlamm löst sich in Pixel auf und rückt keine Information mehr heraus.
Beide Filme erzählen episodisch, anstatt sich (wie der ansonsten sehr ähnliche, aber deutlich bessere Kubrador / The Bet Collector) auf eine Hauptfigur zu konzentrieren. Allerdings ist die Beziehung der einzelnen Episoden zueinander jeweils unterschiedlich: Tirador springt von Miniplot zu Miniplot, ohne dass abgesehen von einer brutalisierten Grundathmosphäre ein roter Faden zu erkennen wäre. Das einzige Gebot ist Vollgas. Keine Sekunde Zeit zum Ausruhen gönnt Mendoza seinen Figuren und dem Publikum. Das Ergebnis tendiert manchmal doch in Richtung Elendstourismus. Schon in der Eingangssequenz (einer Polizeirazzia in den Slums) präsentiert die Kamera nacheinander Junkies, Prostituierte, Spieler etc, immer begleitet von einem entsprechenden Kommentar auf der Tonspur. Auch im weiteren Verlauf wird ein Themenfeld nach dem anderen abgegrast, bis hin zu nun nicht mehr ganz so ghettoaffinen Gebieten wie der Videopiraterie
Tribu dagegen unternimmt den Versuch, um einen zentralen Konflikt herum ein breites Panorama an Suberzählungen aufzuspannen. Mehr Platz bleibt hier für kleine, präzise Beobachtungen (Arbeitsalltag im Schlachthof, Ehestreitigkeiten auf offener Straße, Beschimpfungen des Stromzählerablesers etc), durchaus auch für eine etwas klassischere Figurenzeichnung, die auf der Differenz unterschiedlicher Formen der Welterfahrung auch im Ghetto beharrt. Freilich münden alle Erzählstränge letzten Endes in ein Blutbad von biblischem Ausmaß. Dennoch ist Tribu insgesamt aufgrund seiner offeneren Struktur der interessantere Film.
Einen völlig anderen Weg in die Slums wählt Khavn. Squatterpunk ist nach Aussage des Regisseurs größtenteils an einem einzigen Tag gedreht worden und besteht, wiederum nach Aussage des Regisseurs, zu 90% aus Beobachtung und zu 10% aus Inszenierung. Zu den 10% zählt die Frisur der Hauptfigur. Khavns Film verfolgt ein tag im Leben eines Straßenkindes, welchem er vorher die Haare zur Irokesenfrisur geschnitten hat. In einer quasihalluzinatorischen Sequenz improvisiert dieser Junge mit seinen Freunden ein Punkkonzert in der Kirche, springt vor dem Altar auf und ab und schreit ins Mikrofon. Zu hören ist davon freilich nichts.
Mit Ausnahme einiger Tiergeräusche verzichtet Squatterpunk auf Originalton. Zwar existieren wohl mehrere musikalische Tonspuren von Punkrock bis Techno, doch seine volle Wirkung entfaltet der Film nur als Teil einer Performance (oder zumindest muss der Ton voll aufgedreht werden: See This Movie Loud). So kann es hier nicht um den Film als Ganzes gehen, sondern aussschließlich um desssen ganz spezifische Manifestation am 21. Januar 2008 im Kino Babylon in Berlin Mitte. Wie die Arbeiten von Lav Diaz sprengt auch Khavns Werk nicht nur Konventionen der Filmsprache auf, sondern auch eingefahrene Präsentationsformen von Kino selbst (ohne freilich auf den Kino als Ort zu verzichten). Die von mir besuchte Vorstellung wurde von Khavn selbst am Klavier und an der Orgel sowie von John Torres' E-Gitarre (Torres' Todo Todo Teros ist nebenbei trotz aller Kryptik auch ein toller Film) begleitet: Hypnotischer, kraftvoll-ruppiger Hardrock intensiviert die Filmerfahrung in unwahrscheinlichem Ausmaß und macht Squatterpunk zu einem meiner großartigsten Kinoerlebnisse der letzten Zeit.
Khavn geht in die Slums und filmt ausnahmslos alles, was er dort vorfindet. Freilich findet er neben Drogen, Scheisse und Hautausschlägen auch eine Gruppe von Hühnern, denen er exakt dieselbe Aufmerksamkeit schenkt. Die Kamera in Squatterpunk nimmt nicht Partei, sondern stimmt allem, was sie anblickt, bedingungslos zu. Khavns Film ist eine halluzinaorische Feier der Wirklichkeit mittels frenetischer Montage- und Bildmanipulationsexperimenten.
Squatterpunk ist das exakte Gegenteil von Sozialarbeiterkino (in jeder Form; der Begriff muss kein Werturteil enthalten). Khavn weißt im Publikumsgespräch auf die absolute Differenz zwischen ihm und den Straßenkindern hin: Vor dem Dreh hatte er nicht den geringsten Kontakt zu ihnen, nach einem Tag war er wieder verschwunden. Geblieben ist nur der Film. Dieser Film gibt den Straßenkindern nicht nur die Subjektivität zurück, die in Sozialstatistiken und kirchlichen Spendenaufrufen noch stets verschwindet oder zum Klischeebild des traurig in die Kamera starrenden Babygesichts gerinnt, sondern er macht sie für die Dauer von 90 Minuten zum Zentrum eines ganzen Universums.
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