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Wednesday, April 28, 2010

Die dritte Achse fehlt

Ob hier, hier, hier oder natürlich hier; das eigene Versprechen wird nicht eingehalten. 360°-View müsste doch eigentlich heißen: freie Bewegung um alle drei Achsen des Kartesischen Koordinatensystems. Wirklich frei drehbar ist die Kamera aber stets nur um die y-Achse. Auf der x-Achse ist immer nach 180° Schluss. Man stößt schnell auf die entsprechenden Bilder: die Kamera rastet auf dem Himmel, beziehungsweise auf einem nicht mehr näher differenzierten Untergrund ein. Ein Überschlag ist nicht möglich. Und zwar wohl vor allem deshalb, weil die Drehung um die z-Achse (die es unter anderem ermöglichen würde, ein auf dem Kopf stehendes Bild wieder umzudrehen) ganz untersagt ist.
Natürlich ist das ein Interfaceproblem: Der Bildschirm, auf der die Maus die Kamera steuert, hat nur zwei Dimensionen, deshalb lassen sich über die direkte Eingabe auch nur zwei Bewegungsdimensionen kontrollieren. Aber dies ist sicherlich kein Problem, das sich nicht lösen lassen könnte, wenn der Wille dazu vorhanden wäre; etwa durch eine Kombination der Maus mit den Steuerpfeilen der Tastatur.
Die Beschränkung scheint mir eher Ausdruck einer ärgerlichen anthropomorphen Tendenz dieser Bildpraxis zu sein. Die 360°-View-Technologie der Gegenwart strebt eben gerade nicht nach einer Vertov'schen Transzendierung der Beschränkungen menschlicher Wahrnehmungsfähigkeit, sondern ganz im Gegenteil nach deren bloßer Verdopplung. Anders ausgedrückt: Die körperliche Anwesenheit ist nicht mehr notwendig, ihre Bedingungen aber werden technisch nachgestellt. Der Überschlag auf der y-Achse entspräche entweder einer artistischen Körperdrehung, oder aber einem Unfall, deshalb darf es nicht mehr geben, als den Blick des in den Nacken geworfenen Kopfes. Die z-Achse des körpergebundenen Blicks wird meist im Moment eines entweder kontrollierten (liegen) oder unkontrollierten (Sturz) Kontrollverlusts gebeugt, selbst der schräg gestellte Kopf ist eher Geste als neue, andere Blickrichtung. Und ist vor allem: schief, falsch, ungesund. Ich sehe das ähnlich wie Simon Rothöhler und Ekkehard Knörer: Die 360°-Technologien bereiten einem touristisch-totalitären Blickregime den Weg, das auf totale visuelle Durchdringung bei gleichzeitiger eigener Unsichtbarkeit aus ist. Hinzufügen würde ich nur noch, dass den anthropomorphen Kameras von street view und Konsorten gleichzeitig eine Ideologie des aufrechten Gangs eingeschrieben ist.
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(Geerbt hat die 360°-Bildtechnologie ihre Beschränkung vermutlich vom Computerspiel, hauptsächlich vom Ego-Shooter. Auch da war die z-Achse, wenn ich mich richtig erinnere, lange kaum flexibel steuerbar, selbst dann noch, als die ersten Spiele mit 3-D-Engines auf dem Markt waren. Zumindest bei einigen dieser Spiele war die dritte Achse, auf die innerhalb der Spielwelt nicht zugegriffen werden konnte, sogar ganz eindeutig negativ kodiert: Der entkörperlichte Cybertod wurde nicht nur durch eine rötliche Einfärbung des Bildraums gekennzeichnet, sondern auch durch dessen Eindrehung um die z-Achse.)

Tuesday, November 10, 2009

Farockis Hand

Bilder der Welt und Inschrift des Krieges (1989)
Aufschub (2007)

Einige Minuten nachdem Harun Farocki in Bilder der Welt und Inschrift des Krieges die von Mitgliedern der SS augenommene Fotografie einer Frau, die in Ausschwitz an der Kamera vorbei in den Tod geht, ausführlich analysiert hat, taucht sie noch einmal kurz im filmischen Bild auf. Farocki durchblättert einen Fotoband, in dem das Bild enthalten ist. Als er die entsprechende Seite aufschlägt, bewegt sich seine Hand fast reflexartig über die Fotografie. Die Geste schließt nicht nur an eine andere im Film an, die den für kolonialistische Bildpraxis abgelegten Schleier algerischer Frauen erst reinstalliert, dann invertiert, vor allem ist sie eine ethische Bezugnahme auf das Bild, ein Bild, das zumindest in diesem Kontext (Fotoband) einer solchen Geste bedarf. Dieses Bild darf (so) nicht sein. Die Hand hat meine eigene Regung gestisch adäquat aufgegriffen: Will man im Kino den Bildern entfliehen, kann man entweder die Augen schließen, oder die Hand vor die Augen bewegen.
Diese Szene bedeutet auch: Solange man Hände hat und Augen, die man schließen kann, ist man dem Bild im Kino eben nicht hilflos ausgeliefert. Und: Solange man einen Körper und einen Geist hat, kann man sich auch nicht aus der Verantwortung stehlen, sich zu den Bildern, die vor einen projiziert werden, ethisch zu verhalten.

In Aufschub ist keine Autorenhand vorhanden. Quasigestische Bezugnahmen des Autors auf die fürchterlichen Bilder gibt es aber durchaus. Diese Bezugnahmen sehen zunächst aus wie das exakte Gegenteil zur Geste aus Bilder der Welt und Inschrift des Krieges. Zwischentitel und Bildmanipulationen wie Standbilder verdecken nicht, sondern funktionieren wie ein Zeigefinger, der nicht immer das offensichtliche, aber auch nicht einfach nur iregnd etwas, sondern das fürs Argument des Autors entscheidende auswählt. Fürchterlich ist an den Bildern nicht das, was der Zeigefinger auswählt, sondern die reine Macht des Indexikalischen, der Abdruck einer Wirklichkeit, in der der Schrecken als gerade-noch-abwesender präsenter ist, als er als direkt anwesender jemals sein könnte. Intensiviert Farocki den grausamen Index einfach nur in seinen Zusätzen zum Bild, wenn er zum Beispiel eine Einstellung, die einen anfahrenden Zug in Richtung Vernichtungslager zeigt, exakt dann anhält, wenn einer der Abtransportierten zum Abschied aus dem Fenster winkt? Ich glaube: nein. Uneditiert und -kommentiert wäre der Index reiner und auf eine fragwürdige Art und Weise kraftvoller, dekontextualisiert würde der Index zum Special Effect, potentiell auch zum Objekt eines wohligen Schauderns: KZ-Alltag als Geisterbahn.
Der Zeigefinger distanziert aber auch nicht, zumindest nicht in erster Linie. In erster Linie ist er eine andere Art ethischer Bezugnahme aufs Bild. Und in diesem Sinne eher komplementär zu als unvereinbar mit der Hand, die vors Bild geschoben / vor die Augen geschlagen wird.

Friday, April 27, 2007

Code inconnu: Récit incomplet de divers voyages, Michael Haneke, 2000

Kaum je war ein Filmtitel unpassender: Auch ein tendenziell immer eher unsubtiler Regisseur wie Haneke dreht nicht alle Tage einen Film, dessen Code von Anfang an derart offen liegt. Und zwar auf zwei Ebenen. Zum einen macht bereits der dämliche Prolog (der schlechteste Abschnitt des Films) klar, worum es gehen soll, um die unmöglichkeit der Kommunikation sowie der Seinnstiftung in einer chaotischen, globalisierten Welt nämlich. Danach folgen noch genau 28 Wiederholungen desselben Motivs. Die Message wird so lange nach Hause gebracht, bis sie wirklich jeder nicht nur verstanden hat, sondern sie wahrscheinlich im Schlaf vor sich her beten kann. Zum anderen auf der Ebene der Filmsprache, deren Grammatik von Anfang an offenliegt und das Werk so unmittelbar lesbar macht, wie dies bei kaum einer anderen Filmform der Fall ist. Den Code eines Hollywoodfilms etwa versteht man zwar, man kennt ihn deshalb jedoch noch lange nicht, schon gar nicht nach einmaligem Ansehen.
Noch dazu ist das Ganze trotz allem inkonsequent. Die Räume, die Haneke in Paris, Rumänien und Afrika eröffnet, werden zwar nicht durch die Montage manipuliert, erscheinen jedoch stets als Funktion des Erzählregimes, zentriert auf die Figuren und alles übrige durch - dezente - Unschärfe ausschließend.
Code inconnu zeigt Haneke von seiner didaktischsten Seite. Bisweilen ist es in den inzwischen zielstrebig gen Hollywood strebenden Werken des Österreichers gut möglich, diese oberlehrerhafte Schlagseite zu ignorieren und sich auf die autonomen Qualitäten einzelner Episoden oder Erzählstränge zu konzentrieren (denn ein hervorragender und äußerst effektiver Techniker ist Haneke allemal). So hat mir neben dem sehr schönen Cache beispielsweise auch Funny Games viel Freude bereitet. Code inconnu jedoch bietet nur wenige Ansatzpunkte einer alternativen Rezeption, zu streng ist das formale Konzept der moralischen Diktion unterworfen. Lediglich zwei seh schöne Szenen (eine verwirrende und verstörende Begegnung in der U-Bahn und ein auf seltsame Weise intimes Gespräch in einem Swimmingpool auf einem Hochhaus) konnten mich ein wenig mit diesem Lehrstück versöhnen.